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Stasi-Vergangenheit holt TV-Moderator ein

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„IM Diplomat”: Ingo Dubinski hat vorläufig Bildschirmverbot

„IM Diplomat”: Ingo Dubinski hat vorläufig Bildschirmverbot

Leipzig - Vor einigen Wochen schrieb Wolfgang Kenntemich einen bemerkenswerten Brief. Der Sender, klagte der 54-jährige Chefredakteur des MDR-Fernsehens gegenüber seinen Redakteuren, habe - gesamtdeutsch gesehen - ein Image-Problem. Die aktuelle Berichterstattung konzentriere sich vor allem „auf die spannendsten Konfliktfelder: auf Sozialhilfe, Stasis, Skins". Nun sei es also an der Zeit, mahnte der gebürtige Rheinländer, „dem Vorurteil vom (dutt)-grauen Osten" entgegenzutreten und „Zukunftsoptimismus made in Mitteldeutschland" zu vermitteln. Kenntemichs Sorge ist durchaus begründet. Tatsächlich ist die Öffentlichkeit bereits seit Monaten mit dem Thema Stasi beschäftigt - allerdings in Sachen MDR. Auch im Jahre elf der Einheit werden in regelmäßigen Abständen immer neue Namen von MDR-Mitarbeitern bekannt. Was sie allesamt eint: Sie haben vor 1989 für das MfS gearbeitet. Der jüngste Fall, der erst aus dieser Woche datiert, ist der von Hendrik Petzold. Er moderierte die erfolgreiche Sendung mit dem an die MDR-Initialen angelehnten Titel „Mach dich ran". Angesichts der peinlichen Tatsache, dass dem MDR immer mehr seiner Moderatoren verlustig gehen, ist klar, dass die fünftgrößte ARD-Anstalt weg will vom mausgrauen Image. Einer der wenigen, der die Sonne überhaupt noch scheinen ließ im Sender, war Ingo Dubinski. Der 37-Jährige, inzwischen zum Star-Moderator im Ersten avanciert, hatte seine Karriere im September 1989 als Moderator des DDR-Jugendmagazins „Elf 99" begonnen. Später wurde er durch „Mit Dubinski reisen" bekannt, bevor er mit der „WunschBox" (SWR) den Sprung ins tägliche ARD-Nachmittagsprogramm schaffte. Inzwischen gibt es keinen Tag mehr, an dem Dubinski nicht im Ersten oder den Dritten zu sehen ist: derzeit auf der IFA in Berlin. Und am Samstag kommender Woche sollte ihm mit seiner ersten großen ARD-Abendshow „Das Lied zum Glück" (unter anderem mit Heino, Karel Gott, Gotthilf Fischer, Karl Dall) der endgültige Durchbruch gelingen. Doch nun gibt es Fragen. Jetzt aufgefundene Akten der Gauck-Behörde belegen: Der Berliner Ingo Dubinski war in seiner inoffiziellen Karriere als Mitarbeiter des MfS tätig. Während seiner Armeezeit verpflichtete er sich 1983 gleich zweimal handschriftlich. Das erste Mal erklärte er sich „auf freiwilliger Basis" bereit, dem MfS Informationen zum Soldaten ... zu geben". Nur drei Wochen später verpflichtete er sich, Berichte „mit dem von mir selbst gewählten Decknamen 'Diplomat' zu zeichnen." Ein Deckname mit Hintersinn. Dubinski wollte ursprünglich Außenpolitik in Moskau studieren und wurde dann Journalist - entsprechend groß war das Interesse der Auslandsspionage HVA. Dubinski, ausdrücklich angeworben, um einen kirchlich engagierten Soldaten zu bespitzeln, berichtete intensiv über diesen, dessen Einstellung und Argumentation. Er traf sich - in größter Sorge um die Geheimhaltung - in konspirativen Wohnungen. Und als der Soldat auf Urlaub war, wagte „Diplomat" auch schon mal einen Blick in den Spind des Kameraden. Der Inhalt: ein Altes und ein Neues Testament, ein Buch aus Düsseldorf, eine Bibel und zwei innerkirchliche Rundschreiben. Später übergab der IM auch kirchliche Materialien an seinen Führungsoffizier. Die Zusammenarbeit endete erst, als sich Dubinski entschied, nicht in Moskau zu studieren. 1988 war er erneut für das MfS erfasst: diesmal durch die für Militärspionage zuständige Abteilung IV der HVA. Der Fall Ingo Dubinski ist deshalb so brisant, weil die Stasi-Affäre des MDR nach dem Fall der belasteten Moderatorin Sabine Hingst nun endgültig die ARD erreicht. Dass MDR-Intendant Udo Reiter wegen der Versäumnisse in den letzten Jahren dabei die größte Schuld trifft, ist allgemein bekannt. Und dass sich die ARD in Person ihres Vorsitzenden Fritz Pleitgen bislang hinter Reiter gestellt hat, auch. „Er hat uns auf unseren offenen Brief zur Stasi-Affäre geantwortet: ,Reiter genießt das Vertrauen aller Intendanten der ARD'", sagt Konrad Taut vom Bürgerkomitee Leipzig. Dass dies im eigenen Sender so ist, darf inzwischen bezweifelt werden. Immer offener wird Reiter dort vorgeworfen, dass durch seine zögerliche Haltung das Ansehen des MDR dauerhaft beschädigt werde. Ost-Minister Rolf Schwanitz (SPD) lehnte kürzlich ein Interview mit Sabine Hingst ab - wegen des befürchteten Image-Schadens. Die Angehörigen von Pfarrer Oskar Brüsewitz, der sich vor 25 Jahren aus Protest gegen die Zustände in der DDR selbst verbrannte, wollten dem MDR kein Statement geben - wegen des befürchteten Image-Schadens. Das Fass zum Überlaufen brachte schließlich, dass Hingst einen Beitrag über den 40. Jahrestag des Mauerbaus recherchierte und sprach. Als die Redakteure selbst für diese Geschmacklosigkeit verantwortlich gemacht wurden, hagelte es Proteste - hatte Reiter doch zuvor Hingst ausdrücklich, mit allen Rechten und gegen den Willen des Personalausschusses wieder inthronisiert. Der Intendant begab sich also höchstselbst in die Redaktionskonferenz und vertröstete die Journalisten. Doch Fragen wird sich Reiter weiter gefallen lassen müssen. Gerade im Zusammenhang mit dem Fall Ingo Dubinski. Denn entweder - was kaum vorstellbar ist - hat MDR-Intendant Udo Reiter von der dunklen Vergangenheit seines Topmannes gewusst und ihn entgegen seiner eigenen Ankündigung nicht vom Sender genommen. Oder aber, und das bestätigt der Sender offiziell, Dubinski hat sich trotz aller Angebote der Intendanz und trotz der gesetzten Fristen nicht offenbart - und damit jedes Vertrauen verspielt. Dass er die Unterlagen der Gauck-Behörde bereits kennt, darf als sicher gelten. Einer internen Richtlinie zufolge muss er nämlich als Erster benachrichtigt werden. „Uns hat er bislang nichts mitgeteilt", so MDR-Sprecher Eric Markuse. Überrascht sind auch NDR und SWR, wo Dubinskis andere Sendungen produziert werden. Bei beiden Sendern will man zunächst aber einmal eine Stellungnahme des Betroffenen einholen, bevor man über ein mögliches Bildschirmverbot entscheidet. Wie immer das ausgeht: Vor allem MDR-Intendant Reiter wird erklären müssen, wie die auffällige Häufung von stasi-belasteten Mitarbeitern in seinen Reihen zustande kommt. Da ist mit Wilfried Zaspel beispielsweise ein ehemaliger IM der Auslandsspionage HVA. Er schied 1996 als stellvertretender Chefredakteur bei der Leipziger Volkszeitung aus, als dies bekannt wurde. Heute ist der 50-Jährige Mitarbeiter des MDR und regelmäßig im Abspann der erfolgreichen Freitagabend-Sendung „Unter uns" zu sehen. „Seine Überprüfung ist erst beantragt", so Markuse. Udo Reiter wird auch erklären müssen, was es mit MDR-Redakteurin Elke Waindock auf sich hat. Als Mitarbeiterin der Abteilung Inneres beim Rat der Stadt Leipzig war sie an einer Nahtstelle zum MfS zuständig für das „Personenstandswesen". Noch am 15. November 1989 - die Mauer war sechs Tage zuvor gefallen - verpflichtete sie sich schriftlich, der Stasi als „Heidi" zuzuarbeiten. Den letzten vierseitigen Bericht verfasste die heutige Sekretärin im Bereich Kultur/Wissenschaft des MDR am 23. November. Nur elf Tage später wurde die Leipziger Stasi-Zentrale von empörten Bürgern gestürmt. (Aus: Mitteldeutsche Zeitung)

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