Stress aus Angst: Neue Studie zum Effizienz-Denken in der Gegenwart

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Der Journalist Dirk Kurbjuweit hat ein Buch über die „McKinsey-Gesellschaft“ verfasst.

Der Mensch ist ein nur wenig optimiertes Wesen. Er muss schlafen, essen, trinken, braucht Entspannung, Liebe und Anerkennung. Menschen sind neurotisch, depressiv oder einfach nur schlecht gelaunt. Sie handeln umständlich, unberechenbar und emotional.

Es ist ein Zeichen der Zeit, diese Unregelmäßigkeiten unter Kontrolle bringen zu wollen - in einer ökonomisch orientierten Gesellschaft gilt Schwäche als Gefahr für die Profitmaximierung. Wir zählen Kalorien, schlucken Psycho-Pharmaka, lesen Zeitmanagement-Ratgeber und rationalisieren unseren Alltag mit Laptops, Handys und Taschencomputern. Rechtsschutz-Versicherungen und Eheverträge sollen uns vor Lebensrisiken schützen. Fitness-Trainer und Chirurg geben dem schönen neuen Menschen den letzten Schliff.

Wir leben in einer „Diktatur der Effizienz“, meint der Journalist und Buchautor Dirk Kurbjuweit und gibt dem Phänomen einen griffigen Namen: „McKinsey-Gesellschaft“. McKinsey, der Name der berühmten und unter Arbeitnehmern wegen ihres Jobkiller-Images gefürchteten Unternehmensberatung, ist für Kurbjuweit eine Metapher für die totale Ökonomisierung unserer Gesellschaft. Zehn Jahre lang hat er Mitarbeiter der Unternehmensgruppe beobachtet, die mit 300 von den 400 größten Unternehmen der Welt zusammengearbeitet hat.

Niemand kämpfe so entschlossen für Beschleunigung, Verschlankung und „Zufallsvernichtung“. Es seien besonders die Unternehmensberater, die „still und effizient unsere Welt umbauen, indem sie ihre Ideen und Konzepte in mehr und mehr Köpfe pflanzen“, so Kurbjuweit in seinem Buch „Unser effizientes Leben“. Die McKinsey-Berater verbreiteten die Botschaft einer athletischen Gesellschaft, die sich auszeichne durch Mobilität, Flexibilität und das Denken in Zahlen, das Denken von Managern, „die Verwandlung der gesamten Gesellschaft in ein Unternehmen“.

Unter dieser Prämisse analysiert Kurbjuweit gesellschaftliche Trends, unter ihnen die Veränderung der Politik: Wahlkampf-Kampagnen seien nichts anderes mehr als Produktkampagnen: „Politik wird so, wie ein bei den Massen erfolgreiches Produkt zu sein hat: gefällig, unkompliziert, irgendetwas im mittleren, wohltemperierten Bereich.“ Gleiches gelte für den Einzug des McKinsey-Denkens in die religiöse Sphäre - Kurbjuweit lässt Geistliche zu Wort kommen, die die Kirche als Dienstleistungs-Unternehmen oder internationale Non-Profit-Organisation bezeichnen. Der Hamburger Pastor Axel Denecke: „Ich bin Dienstleister im geistlichen Sinn und konkurriere mit anderen Anbietern auf dem Markt für Sinn-Angebote.“ Doch Transzendenz und Effizienz passen einfach nicht zusammen, meint Kurbjuweit. Wer die Instrumente der Wirtschaft übernehme, dürfe nicht glauben, dass seine Inhalte davon unberührt blieben.

Warum unterwerfen sich die Menschen so willig dem Bild, das McKinsey für sie entworfen hat? Als einen wichtigen Grund hat Kurbjuweit ein existenzielles Gefühl ausgemacht: Angst. Besonders die Arbeitslosigkeit verunsichere und gefährde die Stabilität einer Gesellschaft. Triebfeder der McKinsey-Philosophie sei ein ständig nagender Gedanke des Nicht-Genügens. Sicherheit und ein zu dichtes soziales Netz machten träge. Stress für sich und andere erzeuge hingegen den Wunsch nach Verbesserung, Aufwertung und Innovation.

Was den Autor stört, ist die Totalität, mit der das Modell Manager alle anderen Rollen verdrängt. Der Stress sei allgegenwärtig und mache auch vor dem Privatleben nicht mehr halt: „Die Nervosität der Börse zieht ein in den Alltag.“ Ein Anzeichen dafür sei der übertriebene Körperkult: „Es hat wohl nie eine größere Diskrepanz gegeben zwischen dem Menschen, wie er ist, und dem Menschen, wie er sein möchte.“

Dem Stress müssten sich zunehmend auch Kinder aussetzen. So werde das Thema „frühkindliche Bildung“ weniger unter der Prämisse diskutiert, was dem Wohl des Kindes dient, sondern unter einer klaren Nutzen-Analyse. Bildung sei eben vor allem ein Standortfaktor - oder wie McKinsey es auf seinen Internetseiten postuliert: „Früh investieren statt spät reparieren.“

Kurbjuweits Thesen sind kein durchgestyltes Theoriegebäude, werden auch nicht empirisch belegt, sondern beziehen ihre Schlagkraft aus einer konsequenten Unkompliziertheit. Es ist ein tief sitzendes Unbehagen, das sich in seinem Buch manifestiert - Unbehagen angesichts des Ideals eines immer glatteren Menschen, eines unbarmherzigen Elitedenkens und der drohenden Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und solche, die im imaginären McKinsey-Sieb hängen bleiben.

Dennoch ist Kurbjuweit kein Moral-Fanatiker, und das macht sein Buch so sympathisch. Er findet, dass dieses Land Reformen vertragen könne, die auch den Arbeitnehmern einiges zumuten. „In fast jedem Einzelfall lassen sich gute Gründe für Effizienz und ökonomisches Verhalten finden, in der Summe kommt dabei eine Gesellschaft heraus, die nicht lebenswert ist.“

Dirk Kurbjuweit: „Unser effizientes Leben“ , Rowohlt Verlag, 186 Seiten, 17,90 Euro.

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