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TierpopulationenWo der Fuchs den Hasen jagt

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Vertreiben lassen sich Dachse nicht mehr aus der Stadt. Dazu ist ihre Population zu groß. (Bild: dpa)

Vertreiben lassen sich Dachse nicht mehr aus der Stadt. Dazu ist ihre Population zu groß. (Bild: dpa)

Köln – Zora hatte Glück. Sie lebt. Etwas verstört hockt das schwarze Kaninchen in seinem doppelstöckigen Stall mit kleinem Außengehege. In einem Garten nahe des Ehrenfelder Gleisdreiecks lässt sie sich die Sonne auf ihr Fell scheinen. Doch seit ein paar Tagen wohnt Zora hier allein, denn ihr Stallgenosse Branko hatte Pech. Seine Überreste entdeckte eine Nachbarin in ihrem Garten. Haarbüschel lagen im Gras verteilt.

Unfreiwillig wurde die Kölnerin Ohrenzeugin von Brankos Todeskampf. „Wenn Kaninchen Angst haben, schreien sie wie Babys“, weiß Frank Berg (Name geändert), der Brankos Tod seinen Kindern nahebringen musste. Im Überbringen schlechter Nachrichten hat er Übung, denn vor nicht einmal einem Jahr hat ein Fuchs zwei Kaninchen im Garten der Familie gerissen und die Eingeweide auf der Wiese verteilt. „Dieses Mal war es entweder wieder ein Fuchs oder ein Marder“, vermutet Berg. Und Branko war Opfer Nummer drei.

Köln gehört längst zu den Großstädten, in denen der Fuchs dem Hasen eine gute Nacht wünscht und ihn dann verspeist. Auch Dachse, Marder und Wildschweine sind inzwischen bis in die Forstgebiete der Stadt vorgedrungen. „Das ist ein europaweiter Trend. Einige Tierarten, die sehr anpassungsfähig sind, suchen die Nähe zu Menschen wegen des guten Nahrungsangebots“, sagt Förster Michael Hundt, der zugleich zum Vorstand der Kölner Jägerschaft gehört. Er führt zwar nicht Buch, doch nach eigenen Schätzungen hat er in Köln etwa hundert Füchse und zehn Wildschweine erlegt.

Wildschwein für einen Hund gehalten

Die Zeiten sind vorbei, in denen Spaziergänger in Königsforst, Chorbusch und anderen Waldgebieten höchstens mal eine Spitzmaus über den Weg huschen sahen. Neulich hat sich ein fassungsloser Jogger in der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ gemeldet und von einer Begegnung mit einem Wildschwein berichtet. Seine Frau habe das borstige Vieh im Äußeren Grüngürtel für einen Hund gehalten. Der Bewegungsablauf des Tieres habe jedoch wenig mit einem Hund gemein gehabt.

Auf offenem Gelände dürfen Michael Hundt und seine jagenden Kollegen Wildscheine schießen. „Diese Tiere haben sich massiv vermehrt. Maisfelder bieten ihnen Schutz und Nahrung“, weiß Hundt. Im Rechtsrheinischen hätten sich die Wildschweine flächendeckend bis über die Stadtgrenze gepirscht. „Wir versuchen gegenzuhalten“, sagt der Förster, und man hört förmlich das Durchladen der Gewehre, wenn er spricht. Vor zwei Jahren musste ein Wildschwein erlegt werden, das in Dellbrück in eine Grube gestürzt war.

Vertreiben lassen sich Füchse, Wildschweine und Dachse nicht mehr aus der Stadt, dafür sind ihre Populationen zu groß. Tollwutimpfungen haben dazu beigetragen, dass sich die Fuchsbestände ausgeweitet haben. Der Bestand der Wildschweine reguliert sich hin und wieder durch die Schweinepest, auch Kaninchen fallen in regelmäßigen Abständen Seuchen zum Opfer. „Die Stadtbevölkerung muss lernen, mit diesen Tieren zu leben“, sagt Michael Hundt. Zäune seien nur selten ein Hindernis für sie.

Helmut Sütsch aus Grevenbroich hat einen lukrativen Weg gefunden, mit den wilden Stadttieren zu leben. Nachts legt sich der Hobbyfilmer auf die Lauer und hofft auf spektakuläre Tieraufnahmen, die er dann verkauft. Auf dem Melatenfriedhof hat er einst hinter einem Tarnnetz versteckt vor einem Fuchsbau gelegen. Als sich ein Jungfuchs herauswagte und die Gräber inspizierte, hat Sütsch Fotos geschossen, die ihn noch heute begeistern. Der Friedhofsgärtner kann die Freude über die pelzigen Gäste nicht teilen. „Sie buddeln schon mal ihre Höhlen direkt neben Grabsteinen“, sagt er. Für viele Angehörigen sei die Vorstellung schwierig, dass die Füchse in direkter Nachbarschaft der Verstorbenen wohnen.

Im Kölner Norden haben inzwischen auch die Dachse eine stattliche Population erreicht. Rund um Esch und das Wasserwerk in Weiler ist das Tier verbreitet. Feinde hat der Dachs in Köln nicht, höchstens Autos. Immer wieder haben die Kölner Förster aufgeregte Bürger am Telefon, die von ihren Begegnungen mit all jenen Tieren berichten, die sie eher im Zoo vermuten als in offener Wildbahn. „Melden muss man die Tiere natürlich nicht, es sei denn, sie verhalten sich besonders aggressiv oder sind krank“, sagt Hundt. Vor knapp zwei Jahren warnte die Stadt öffentlich vor einem Mäusebussard, der in Roggendorf-Thenhoven auf Jogger und Radfahrer losflog, um sein Revier mit aller Macht zu verteidigen.

Frank Berg aus Ehrenfeld hat beschlossen, die Existenz von Füchsen und Mardern vor seiner Haustür zu dulden. Den Kaninchenstall hat er mit Gittern in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt. „Das sieht jetzt aus wie Alcatraz“, sagt er trotzig. Doch sicher ist sicher. Denn der Fuchs soll nicht auch noch Zora reißen.

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