Van Almsick im Interview„So einen Tag vergisst man nicht“

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Franziska van Almsick (Bild: dpa)

Franziska van Almsick (Bild: dpa)

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Frau van Almsick, wie präsent ist Ihnen noch der turbulente Tag von Rom, der 6. September 1994? Sie strauchelten damals als Favoritin im Vorlauf über 200 Meter Freistil, und Dagmar Hase verzichtete auf die Teilnahme am Endlauf, damit Sie doch noch schwimmen durften.

FRANZISKA VAN ALMSICK: Oh, so einen Tag vergisst man nicht. Das ging ja auf und ab und große Heulerei war ja auch dabei. Am Ende war es ja dann doch noch ein schöner Wettkampf, ein richtiger Triumph: Weltmeistertitel in Weltrekordzeit.

Sie werden bei der WM 2009 in Rom TV-Expertin sein. Stellen Sie sich vor, Sie müssten eine ähnliche Situation wie damals kommentieren.

VAN ALMSICK: Es wurde damals ja sehr schnell über alles Mögliche debattiert. Ich finde es schlecht, wenn man als Reporter auf einen fahrenden Zug aufspringt. Ich habe es in meiner Karriere selbst erlebt, wie manche Journalisten einfach von Kollegen abschreiben. Journalisten sollten, bevor sie eine schnelle Geschichte schreiben, doch besser recherchieren. Das haben damals nicht viele gemacht. Ich war mit Dagmar Hase im Höhentrainingslager. Sie war dort sehr oft krank, hat kaum trainiert. Sie war an ihrer Leistungsgrenze. Sie hat sich nicht viele Chancen über die Strecke ausgerechnet. Dagmar hat für mich Platz gemacht, weil sie sicher war, dass ich noch schneller schwimmen kann, als ich bis dahin gezeigt hatte.

Es wurden dann Stimmen laut, die vermuteten beim Platztausch sei Geld geflossen. Das bringt Sie bis heute auf die Palme?

VAN ALMSICK: Ja, weil das absoluter Quatsch ist. Ich war 16 Jahre alt. Ich lag im Hotelzimmer und habe mir die Augen ausgeheult. Ich fand es schade, dass gleich wieder eine Story erfunden wurde. Es war eigentlich ganz harmlos. Dagmar Hase ist auch nicht der Typ, der wegen ein paar 1000 Mark auf eine Chance verzichtet hätte. Sie wusste, dass Sie nicht schneller schwimmen konnte. Ich bin nie geschwommen, um berühmt und reich zu werden. Ich habe in der DDR mit Schwimmen angefangen. Ich wollte Titel gewinnen, sonst nichts. Beim Schwimmen habe ich nicht an Geld gedacht.

Wie ist denn ihre Beziehung zu Dagmar Hase heute?

VAN ALMSICK: Wir sind nicht so eng befreundet, aber wir denken an Geburtstagen aneinander und schicken uns auch bei anderen Gelegenheiten mal eine SMS.

Sie müssen doch in Rom dann mit zitternden Knien auf dem Startblock gestanden haben. Wie erklären Sie sich dann diese Leistung?

VAN ALMISCK: Ich glaube, das Erfolgsrezept war, dass ich von mir nichts erwartete. Ich wollte das nur noch hinter mich bringen. Das hat mir wahnsinnig viel Aufregung genommen. Ich habe mir gedacht: Spring'ste halt mal rinn, du wirst es schon irgendwie rumkriegen.

War dieses Erlebnis bedeutend für ihr Leben und ihre Laufbahn?

VAN ALMSICK: Das war unheimlich wichtig. Ich habe an dem Tag gemerkt, auch wenn scheinbar nichts geht, ist noch alles möglich. Das hat mich geprägt. Dranbleiben, irgendwie geht es immer weiter. Entstanden ist dort auch die Liebe zu den 200 Metern Freistil.

Ihr damaliger Manager, Werner Köster, hat später gesagt, der 6. September 1994 sei der Tag gewesen, an dem Sie ihr Image als Berliner Göre verloren hätten?

VAN ALMSICK: Na ja. Also bis heute gibt es noch Leute die meinen, ich sei die Kleine aus Ost-Berlin. Ich denke nicht, dass ich das Image ganz verloren habe. Aber das war der Tag, an dem es anfing auf und ab zu gehen. Es war der Tag, an welchem ich, in Anführungsstrichen, menschlich wurde. Von da an begannen die Leute mich zu lieben oder mich eben nicht zu mögen.

Mittlerweile sind Sie als stellvertretende Vorstandsvorsitzende der deutschen Sporthilfe ja eine gestandene Sportpolitikerin geworden. Wie denken Sie als ehemalige DDR-Sportlerin über die wieder aufgekommene Diskussion über die in das DDR-Dopingsystem verstrickten Trainer. Auch ihre drei Trainer (Dieter Lindemann, Gerd Eßer und Norbert Warnatzsch) mussten sich deswegen vor verschiedenen Institutionen verantworten. Wie soll der deutsche Sport mit den Personen umgehen?

VAN ALMSICK: Ich finde, es ist schwierig, über solche Leute heute zu urteilen. Die Mauer ist vor 20 Jahren gefallen und wir reden heute über Delikte, die noch länger, also 30, 35 Jahre her sind. Außerdem war und ist Doping nicht allein ein Thema des Ostens. Ich denke ein Schlussstrich wäre angebracht, wenn es nichts wirklich Neues gibt. 20 Jahre hat man sich das Wissen und die Erfahrung dieser Trainer zunutze gemacht. Britta Steffen wird ja immer noch von Norbert Warnatzsch gecoacht. Und in deren Erfolg sonnen sich ja viele. Wenn es dann aber langweilig wird, werden die alten Themen wieder hervor gekramt und man fängt wieder an, über Doping zu diskutieren. Es ist ja auch kein Thema, was man unter den Teppich kehren sollte. Es sind schließlich auch schlimme Sachen passiert damals. Aber wieso haben wir das nicht hingekriegt, das damals auch aufzuklären? Heute, 20, 30 Jahre danach, sollten wir uns lieber auf die aktuellen Probleme konzentrieren.

Das Gespräch führte Jürgen Ahäuser

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