Villa AndersEine neue Familie finden

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Eine Wohnanlage für Schwule und Lesben jeden Alters ist die Villa Anders. Vor einem Jahr zogen die ersten Mieter ein. (Bild: Leinweber)

Eine Wohnanlage für Schwule und Lesben jeden Alters ist die Villa Anders. Vor einem Jahr zogen die ersten Mieter ein. (Bild: Leinweber)

Ehrenfeld – In der Provinz hat es mir nicht gefallen, ich wollte da weg.“ Die Provinz, das ist für Reiner Matthée (40) das Sauerland. Hier lebte er alleine in einem Einfamilienhaus, nachdem seine Eltern in ein Pflegeheim umgezogen waren. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft führte ihn 2009 nach Köln: in das bundesweit erste generationsübergreifende schwul-lesbische Wohnprojekt Villa Anders. „Hier wollte ich mir eine neue Familie schaffen“, sagt er.

Mit 42 weiteren Mietern zwischen 22 und 69 Jahren zog Matthée vor einem Jahr in die Villa Anders, eines von fünf Mehrgenerationenhäusern der GAG Immobilien AG in Köln. Ziel des auch von der Stadt geförderten Projekts: Miteinander zu leben, statt nebeneinander her zu leben, und Unterstützung von zuverlässigen Nachbarn zu bekommen, wenn man sie braucht.

„Für mich war das Älterwerden der Grund, ein Wohnprojekt wie die Villa Anders zu machen“, sagt Lisa Weiß. Die 54-jährige Verwaltungsangestellte ist Vorstandsmitglied des Vereins Schwul-Lesbisches Wohnen, der zusammen mit dem Beratungszentrum „Rubicon“ das Projekt „Villa Anders“ 2003 initiierte. „Ich hatte damals einen Unfall und war für eine Weile gehandicapt“, schildert Weiß. „Da sah ich, wie wichtig Freundschaften sind - Menschen, die einen in der Not betreuen.“

Ein soziales Netz wollte sie sich schaffen, und für das Alter als Singlefrau vorsorgen. Nach einem Jahr in der Villa Anders haben sich viele Erwartungen erfüllt: Für chronisch kranke Mitbewohner etwa kaufen die Nachbarn ein. Wenn einer im Urlaub ist, werden seine Blumen gegossen oder die Katze versorgt. „In welchem Maße Unterstützung geleistet werden kann, stellt sich für jeden Mitbewohner im Lauf der Zeit heraus“, sagt Weiß. „Es sind Kleingruppen entstanden, die eine Bindung geschaffen haben, aber die Vorstellung, dass alle mit allen können, ist eine Illusion.“ Gut die Hälfte der Bewohner engagiere sich gut, die andere Hälfte nicht so sehr. Aber Bindung schaffen und Vertrauen aufbauen, das dauere auch zwei bis drei Jahre, glaubt Weiß. Zudem sei es wichtig, eine Balance zu finden zwischen Gemeinschaft und Privatleben: Jeder habe seine Wohnung und könne die Tür zumachen, das sei auch wichtig. „Es gibt genügend Kontaktmöglichkeiten hier, aber man will ja auch noch sein eigenes Leben führen.“

Wer die Geselligkeit in der Villa Anders sucht, findet sie etwa im Gemeinschaftsraum. Hier treffen sich verschiedene Freizeitgruppen, es gibt regelmäßig ein Lese- und Erzählcafé, und man diskutiert über positive und negative Erfahrungen des Zusammenlebens. Und da die Mehrzahl der Bewohner schwul oder lesbisch sei, müsse sich auch keiner in der Villa Anders erklären, so Matthée: „Es gibt gemeinsame Lebenswelten und dadurch auch gemeinsame Themen. Das erleichtert den Umgang miteinander - eine Kommunikationsbarriere ist nicht vorhanden.“

Freundschaften hat der ehemalige Sauerländer schon geknüpft, und sich so eine neue Familie geschaffen. „Wir sind nach einem Jahr auf einem guten Weg“, resümiert Weiß. Aber schon jetzt biete die Villa Anders mit ihrem solidarischen Wohnkonzept ein Mehr an Lebensqualität.

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