Von der Koka in Coca-Cola

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Die USA bekämpfen den Koka-Anbau im Rahmen ihrer Antidrogenpolitik, aber für Coca-Cola gibt es Einfuhr-Ausnahmen.

Sei es, dass Coca-Cola den rot gekleideten Weihnachtsmann erfunden hat (falsch), ein Schnitzel über Nacht in Coca-Cola verschwindet (auch falsch), oder Kokain früher zu Coca-Colas Zutaten zählte (richtig) - solche Geschichten zu sammeln und über ihren Wahrheitscharakter zu streiten, das hat beinahe schon den Rang einer Wissenschaft, „Cokelore“ heißt sie, und eine gute Story mehr oder weniger fällt da kaum auf.

„Stillhalten!“ ist deshalb die nahe liegende Parole, wenn die Coca-Cola Company wieder einmal gefragt wird, ob, warum und wie sie Koka verwendet. Bislang war das eine leidlich erfolgreiche Strategie - obwohl mittlerweile Vertreter der peruanischen Regierung, der US-Botschaft in Bolivien und des einzigen zum Kokahandel autorisierten Unternehmens Perus, Enaco, den Export von Kokablättern als Zutat für Coca-Cola bestätigen.

Das Zentrum des peruanischen Kokahandels liegt fast 3000 Meter hoch in Cuzco, der einstigen Hauptstadt des Inkareichs. Ein symbolträchtiger Standort für die „Empresa Nacional de la Coca“, kurz Enaco und auf Deutsch: Nationales Kokaunternehmen. Hier laden Kokabauern und ihre Zwischenhändler aufs Jahr verteilt gut 52 000 Tonnen Koka ab, die Enaco in alle Welt verschickt. „Coca-Cola, der weltweit bekannte Brausehersteller, kauft von Peru 115 Tonnen Koka jährlich und von Bolivien 105 Tonnen, aus denen, ohne Alkaloide, 500 Millionen Flaschen Brause am Tag hergestellt werden“, schreibt die peruanische Drogenbekämpfungsbehörde Devida in einer Stellungnahme zur legalen, industriellen Verwertung von Kokablättern.

Ein Bericht, den Jose Luis Castillo Herrera, der bei Enaco für den nationalen Handel sowie die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, nicht nur bestätigt, sondern auch sehr begrüßt. Geheimniskrämerei ist Enacos Sache nicht. Erklärtes Ziel des „dem Wohl und der Gesundheit der Menschen“ verpflichteten Dienstleisters ist es, „den legalen Absatz von Koka und ihrer Derivate im In- und Ausland zu steigern“. Zu diesem Zwecke unterhält Enaco keineswegs nur handverlesene Geschäftsbeziehungen zu Pharmaunternehmen und der Coca-Cola Company, das Unternehmen betreibt auch einen Internetauftritt inklusive virtuellem Einkaufswagen. In diesen kann der Besucher 92-prozentiges Kokain legen, für das Enaco je nach Bestellmenge zwischen 1840 und 2100 US-Dollar pro Kilogramm abrechnet. Allerdings wird nicht jede Bestellung bearbeitet: „Unverzichtbare Bedingung ist die Einfuhrgenehmigung des korrespondierenden Landes.“

Die meiste Koka verlässt Cuzco in Form von Blättern. In den Lieferbedingungen schreibt Enaco dazu, es gebe zwar „in allen Ländern der Welt Beschränkungen“ nach der Wiener Konvention zur Kontrolle von Betäubungsmitteln. Deshalb sei damit zu rechnen, dass „die Ware beim Übertreten der Landesgrenze beschlagnahmt werde“. Gleich darauf heißt es aber beruhigend: „Trotzdem passiert das sehr selten bei kleinen Lieferungen.“

„La hoja de Coca no es droga.“ Das Kokablatt ist keine Droge, das ist eine Feststellung, auf die Enaco großen Wert legt. Zwar kann aus Koka Kokain gewonnen werden, doch während Kokain als eine der Drogen mit dem größten Suchtpotenzial gilt, entspricht die berauschende Wirkung reiner Kokablätter eher der einer Tasse friesischen Tees. Und nicht einmal davon ist in Coca-Cola etwas zu spüren. Denn wie die US-Botschaft in La Paz betont, sind das, was später tatsächlich in der Cola landet, nichtalkaloide Extrakte: Koka ohne jegliche Rauschwirkung, nichts weiter als ein Aromastoff - hergestellt von dem US-Unternehmen Stepan, das als diskretes Glied in der Wertschöpfungskette für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung stand.

Für Gerry W. Fuller von der US-Botschaft in La Paz ist die panamerikanische Handelsbeziehung deswegen auch „kein Widerspruch zur internationalen und US-amerikanischen Antidrogenpolitik“. Eine großzügige Auslegung, die auf den Kokafeldern im Chapare, dem für den illegalen Kokainmarkt wichtigsten Lieferanten Boliviens, gleichwohl altgediente, antiamerikanische Reflexe auslöst: „Verbieten sie Blei“, fragt einer der Bauern, „weil daraus Gewehrkugeln gemacht werden? Verbieten sie den Tabakbauern ihr Handwerk, weil die Leute am Rauchen sterben? Nein. Aber uns wollen sie die Koka verbieten. Die gleiche Koka, für die sie ihren Konzernen großzügige Ausnahmen genehmigen. Warum kriminalisieren sie eigentlich nicht Coca-Cola?“ Die Worte klingen wie auswendig gelernt, und das sind sie wahrscheinlich auch. Der Urheber dieser Pro-Koka-Rhetorik ist die Person, über die Gerry W. Fuller nur mitzuteilen hat, „dass die Botschaft nicht mit ihm spricht und auch nicht über ihn“. Warum? „Weil unsere Bürger es nicht verstehen würden, wenn wir mit dem größten Befürworter einer illegalen Substanz an einem Tisch säßen.“

Verteidiger der Koka

Gemeint ist Evo Morales. Zwei Standpunkte prägen seine Politik und die seiner Partei MAS (Movimiento al Socialismo): erstens das Bekenntnis zum Sozialismus, das in jüngster Zeit insbesondere eine staatliche Kontrolle der Rohstoffe Boliviens zum Ziel hat, und zweitens die Absicht, Koka, die „tausendjährige Pflanze“, zu einem ohne Auflagen kultivierbaren und frei verkäuflichen Handelsgut werden zu lassen. Ein Anliegen, das bislang kaum ernst genommen wird. Besonders die USA und ihre Botschaften zweifeln regelmäßig daran, dass Produkte auf Kokabasis - Tee, Energydrinks oder auch Zahnpasta - den Bauern ein Auskommen sichern könnten: Koka werde zum geringsten Teil auf traditionelle Weise konsumiert, das meiste lande als Kokain in aller Welt, und für alles andere gebe es schlichtweg keinen ausreichenden Markt.

Wirklich nicht? Den Gegenbeweis liefert Coca-Cola, das Symbol des American Way of Life. Einem Evo Morales muss das vorkommen wie das Geschenk eines besonders listigen Gottes.

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