Vor 90 Jahren bei Anschlag gestorbenRevolutionäre erschossen den Botschafter

Lesezeit 3 Minuten
Auf Schloss Harff wohnte der in Moskau Ermordete. Im Jahr 1972 wurde das prachtvolle Gebäude abgebrochen, weil die Braunkohlebagger anrückten. BILD/ REPROS: CLEMENS

Auf Schloss Harff wohnte der in Moskau Ermordete. Im Jahr 1972 wurde das prachtvolle Gebäude abgebrochen, weil die Braunkohlebagger anrückten. BILD/ REPROS: CLEMENS

Bedburg – Seine Karriere war beeindruckend, sein Ende tragisch. Wilhelm Graf von Mirbach-Harff entstammt einer rheinischen Adelsfamilie, die zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Sein Vorfahr Johann Wilhelm von Mirbach-Harff war es, der im Jahr 1837 die Rheinische Ritterakademie gegründet hat, eine Schule für Söhne des deutschen und ausländischen Adels. Wilhelm hat dort Abitur gemacht, danach studiert und ist dann in den diplomatischen Staatsdienst eingetreten. Auf der Höhe seiner Laufbahn, als deutscher Botschafter in Moskau, wurde von Mirbach-Harff am 6. Juli 1918 - am Sonntag vor 90 Jahren - im roten Saal der deutschen Botschaft erschossen.

Der Bedburger Heimatkundler Helmut Stassen hat sich das Leben des Mannes, der auf Schloss Harff unweit von Bedburg-Kaster gelebt hat, genauer angeschaut. Nach dem Tod des Vaters, Ernst Graf von Mirbach, hat der Sohn das Schloss bezogen, das Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts den Braunkohlenbaggern weichen musste. Bevor der spätere Botschafter für den Kaiser nach Moskau ging, lernte er die Politik an der Basis. „Von 1901 bis 1916 war er Mitglied des Gemeinderates von Morken-Harff“, hat Stassen dem alten Gemeindebuch entnommen.

Stimmungsmache

Nach Stationen in Den Haag, Budapest und Paris kam der im Jahr 1871 geborene Adelige aus Harff nach Petersburg. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk stand ihm dann seine letzte berufliche Station bevor. Dieser Friedensvertrag, bei dem Russland große Gebiete verlor, die Bolschewiken aber an der Macht bleiben konnten, wurde zum Todesurteil für den deutschen Botschafter. Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre erschossen ihn, um gegen den Friedensvertrag - in der späteren Sowjet-Union wurde er Raubfrieden genannt - Stimmung zu machen.

In der Heimat löste die Nachricht Betroffenheit aus. „Der einzige Schmerz, den er uns je verursachte, war, als er die Welt verließ“, schrieb seine Familie in der Todesanzeige. „Nicht fragen, nicht klagen, tragen, wie Gott will.“ Der Leichnam von Wilhelm Graf von Mirbach-Harff wurde nach Deutschland überführt und traf dort am 12. Juli ein. Die Aufbahrung fand im Roten Saal des Schlosses statt, Morken-Harffer Schulkinder hielten tagsüber die Totenwache. Die Sowjetregierung hatte damals eine Abordnung zum Begräbnis geschickt, die den Verwandten ihr Beileid aussprach. Wenige Tage später wurde die Zarenfamilie ermordet. Zeitgenossen des Grafen beurteilen seine Arbeit unterschiedlich. Dr. Gustav Hilger, Botschaftsrat in Moskau, nannte ihn einen „mittelmäßigen Diplomaten“, in deutschen Zeitungen wurde er als „Rokokograf“ oder „Feudalherr“ beschrieben. Doch aus Unterlagen des politischen Archivs des Auswärtigen Amtes und aus Dokumenten von Kaiser Wilhelm II. und von Reichskanzler Hertling geht hervor, dass sie seine Arbeit schätzten. Noch kurze Zeit vor seinem Tod hat sich der Botschafter mehrmals mit Lenin getroffen.

Nachdem Morken-Harff und mit dem Ort auch das prachtvolle Schloss dem Braunkohlentagebau weichen mussten, erinnert in Bedburg oder Kaster heute nicht mehr viel an die Familie von Mirbach-Harff. Ein gerade erst saniertes Kreuz unweit des Rathauses in Kaster hat die Umsiedlung überstanden und gibt einen Hinweis auf die Adelsfamilie.

Wilhelm Graf von Mirbach Harff war nicht der einzige Spross der Familie, der die diplomatische Laufbahn eingeschlagen hat. Und tragischerweise war er auch nicht der einzige, der diesen Dienst mit dem Leben bezahlen musste. Andreas Baron von Mirbach war ein entfernter Verwandter des Grafen, er war Oberstleutnant und im Jahr 1975 Verteidigungsattaché in der deutschen Botschaft in Stockholm. Bei einem Überfall von RAF-Terroristen bot er sich als Austauschgeisel an und wurde, weil die Polizei der Forderung abzurücken nicht nachkam, von den Terroristen erschossen.

KStA abonnieren