Wie tolerant bist du?

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Regisseur Züli Aladag über seinen provozierenden Fernsehfilm.

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Herr Aladag, als „Wut“ auf dem Kölner Medienforum gezeigt wurde, kam aus dem Publikum der Vorwurf , Ihr Film sei ausländerfeindlich. Haben Sie solche Reaktionen erwartet?

ZÜLI ALADAG: Es gab einen älteren türkischen Herrn, der die Sorge formulierte, dass der Film Ausländerfeindlichkeit schüren könnte. Diese Meinung steht sicher für eine Gruppe unter türkischen Einwanderern. Alle bestätigen, dass es die Erscheinungen, die der Film zeigt, unter Jugendlichen in Problemvierteln gibt. Der Film schildert, wie ein junger Türke einen deutschen Mitschüler und dessen Familie terrorisiert.

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Ein Vorwurf war, dass der Film keine Lösung anbietet.

ALADAG: Ein Lehrer im Publikum fragte: Wie soll ich das denn meinen Schülern erklären? Wie soll ich versuchen, die Probleme, die ich im Alltag habe, zu lösen, wenn hier ein Film - scheinbar - die Unmöglichkeit des Zusammenlebens zeigt? Das hat mich verwundert, weil ich von Lehrern erwarte, dass sie einen fiktionalen Dramastoff für ihre Schüler aufarbeiten können. Ich finde, der Film ist prädestiniert für die Arbeit an Schulen.

Wollten Sie provozieren?

ALADAG: Ich habe damit gerechnet, dass der Film polarisieren würde. Das steckte schon im Drehbuch. Wenn man eine Konfrontation der Kulturen auf die Spitze treibt und am Ende eine tragische Eskalation steht, weiß man, dass es provoziert - sowohl auf der deutschen als auch auf der türkischen Seite. Aber ich finde jede Reaktion besser als keine. Im Idealfall werden althergebrachte Positionen und Haltungen aufgebrochen, auf beiden Seiten.

Was sind das für Haltungen?

ALADAG: Die linksliberale deutsche Familie, aus deren Sicht wir erzählen, sieht ihren Begriff der Toleranz konfrontiert mit Begriffen wie Männlichkeit, Ehre und Respekt. Sie muss sich fragen: Was ist mit der Toleranz, wenn das Fremde nicht in seinem Ghetto bleibt, sondern zu uns nach Haus kommt und mit unseren Kindern zu tun hat? Wie tolerant ist man da noch? Wie gleich sind Menschen dann noch?

Sie erzählen eine Tätergeschichte aus dem Migrantenmilieu. Warum war Ihnen das wichtig?

ALADAG: In deutschen TV-Filmen gab es schon einige gut gemeinte Geschichten, die sich verpflichtet fühlten, den Ausländer zu schützen, ihn als Opfer seiner Situation zu schildern. Eine Tätergeschichte aus dem Migrantenmilieu zu erzählen kann ein Schritt zur Normalisierung sein. Denn die Grundelemente der Menschen sind gleich, es gibt Opfer und Täter in allen Ethnien, auch unter Türken. Man muss das erzählen dürfen, ohne sofort die Erklärung für die Sozialisierung einer Figur mitzuliefern.

Was ist mit der Gefahr, Applaus von der falschen Seite zu bekommen?

ALADAG: Die Unbelehrbaren kann man nicht belehren und ich glaube auch nicht bestärken. Wenn jemand Rassist ist, ist er Rassist. Dieser Film ist auch nicht rassistisch, sondern ein Film, der den Umgang mit Fremdheit und Schwierigkeiten damit thematisiert. Man darf dieses Feld nicht nur Rechten überlassen, denn es sind ja Probleme, die uns alle betreffen. Am Anfang versucht der Philosophieprofessor Simon Laub noch, politisch korrekt zu handeln. Das gelingt ihm im Laufe des Films immer weniger.

Ist „Wut“ auch ein Statement gegen die politische Korrektheit ?

ALADAG: In Gesprächen mit Linksliberalen habe ich bemerkt, dass es eine Befangenheit im Umgang mit dem Thema Migrantenkriminalität gibt. Dass man sich eine Toleranzschwelle auferlegt hat, die Worte fünfmal wendet, bevor man sie ausspricht, weil man bloß nicht als intolerant gelten will. Viele sind frustriert darüber, dass von manchen Einwanderern bestimmte Werte gebrochen werden - ob das Ehrenmord ist oder eine Verrohung an Hauptschulen. Es gibt ein Unbehagen, dass man aussprechen möchte, ohne dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt zu sein. Die Dinge beim Namen nennen zu können und den Unmut über bestimmte Zustände zu formulieren hat für eine bestimmte Schicht der Deutschen etwas sehr Befreiendes. Es gibt das Bedürfnis nach mehr Selbstverständlichkeit.

Die Fragen stellte Michael Aust

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