„Die Eskalation war unnötig“

Lesezeit 5 Minuten

Frau Professorin Kemfert, der Streit um die Zukunft der Kohle ist eskaliert, seitdem der Stromkonzern RWE den Hambacher Forst räumen lässt. Hätte das nicht verhindert werden können?

Ja, man hätte in der Tat „erst reden, dann roden“ können und sollen. Dann hätte die Kohlekommission ausreichend Zeit für Diskussionen gehabt, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Die Eskalation war unnötig und kontraproduktiv. Das ist im höchsten Maße bedauerlich. Aber wenn wir schon bei „hätte“ sind: Hätte die Politik den Kohleausstieg nicht seit Jahren verschleppt, stünden wir nicht in dieser Situation.

RWE hat eine Genehmigung zum Roden und für den weiteren Kohleabbau ...

Alles zum Thema RWE

Claudia Kemfert

Claudia Kemfert

Recht zu haben heißt nicht, Recht auf Teufel komm raus durchzusetzen. Der Konzern hätte problemlos bis zum Jahresende auf die Rodungen verzichten können.

Der Konzern argumentiert: Wenn nicht bald gerodet wird, dann fehlt der Brennstoff für die Kraftwerke und es drohen Blackouts in Nordrhein-Westfalen. Was ist da dran?

Nichts. Das Angstszenario Blackouts wird zwar oft beschworen, aber ohne jede Grundlage: Derzeit produzieren wir mehr Strom, als wir brauchen, und exportieren ihn ins Ausland. Wir könnten die ältesten und ineffizientesten Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen sofort vom Netz nehmen und hätten immer noch genug Strom. Für die verbleibenden modernen Kraftwerke ist ausreichend Braunkohle vorhanden. Kurz: Deutschlands Energieversorgung ist sicher, auch wenn der Hambacher Wald erhalten bleibt.

Kohleabbau im rheinischen Revier

Kohleabbau im rheinischen Revier

Der Vorgang zeigt: Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission steht unter gewaltigem öffentlichen Druck – von Konzernen, Gewerkschaften und den betroffenen Regionen, die einen Kohleausstieg frühestens 2045 wollen. Aber auch von den Umweltverbänden, die 2030 als Enddatum fordern. Kann da überhaupt eine sachgerechte Entscheidung getroffen werden?

Natürlich kann man das. Die Politik hat sich nur bislang davor gedrückt. Die Konflikte gären schon lange, doch jetzt sind sie offen sichtbar. Die sehr heterogen zusammengesetzte Kommission soll nun Empfehlungen erarbeiten und sich auf einen konkreten Ausstiegspfad einigen. Keine leichte Aufgabe. Und was die Politik dann wirklich daraus macht, ist komplett offen.

Können Sie die Sorgen der Kumpel und ihrer Familien nicht verstehen, die ihre Jobs so lange wie möglich behalten wollen?

Selbstverständlich! Genau deswegen brauchen wir endlich kluge Lösungen für einen nachhaltigen Strukturwandel, Unterstützung und Perspektiven für alle Beteiligten. Man darf bitte nicht vergessen: Wir reden von einem Ende der Kohle bis zum Jahr 2030 oder etwas später. Vier von fünf Beschäftigten in der Branche sind heute über 50 Jahre alt und werden bis dahin ganz normal in Rente gehen. Für die restlichen 5000 jüngere Arbeitskräfte werden sich in den nächsten zehn Jahren ganz gewiss Perspektiven finden, wenn wir den Strukturwandel endlich beginnen.

Welchen Ausstiegspfad für die Kohle empfehlen Sie also?

Die Ziele des Pariser Klimavertrags sind eindeutig: Der Stromsektor in Deutschland darf noch maximal 1500 Millionen Tonnen Kohlendioxid emittieren. Das heißt: Wenn wir so weitermachen wie bisher, ist 2025 Ende! Dann hätten wir den brutalstmöglichen Kohleausstieg. Oder wir reduzieren die Emissionen ab sofort schrittweise und steigen auf diese Weise nach und nach sanft aus der Kohle aus. Je früher wir beginnen, desto mehr Spielraum haben wir, jüngere und effizientere Kraftwerke länger laufen zu lassen. Solche Drosselung der Produktionskapazitäten – ähnlich wie beim Atomausstieg – brächte den Kraftwerksbetreibern Flexibilität, selbst zu entscheiden, welche Kraftwerke im Einsatz sind.

Was bedeutet das konkret für RWE und die Kohle-Konzerne im Osten?

RWE betreibt zahlreiche ältere Kraftwerke, die vom Ausstieg schneller betroffen sein werden. Der Kohleausstieg steht und fällt in NRW. Im Osten sind die Kraftwerke zu großen Teilen jünger, also nicht so schnell betroffen. Allerdings ist im Osten die Sorge vor Arbeitsplatzverlusten größer.

Wäre mit diesem Ausstiegsmodell auch das deutsche CO2-Ziel für 2020 – minus 40 Prozent CO2 gegenüber dem Basisjahr 1990 – noch zu schaffen? Die Regierung hat es ja bereits aufgegeben. Sie sagt, die derzeit noch fehlenden 13 Prozentpunkte seien nicht erreichbar ...

Es wird sehr schwer. Wir sollten schleunigst die Ärmel hochkrempeln. Wenn wir die älteren Kohlekraftwerke sofort abschalten, kämen wir dem Ziel näher. Erhebliches Einsparpotenzial liegt auch im Verkehrssektor, der große Mengen Treibhausgase produziert. Also los! Und in puncto Energieeffizienz könnten wir auch noch deutlich zulegen. Wir müssten nur mal was tun, statt zu lamentieren.

Wäre die Stabilität des Stromnetzes denn weiterhin gesichert? Die Abschaltung von Kohlemeilern bedeutet ja, es gibt weniger Kraftwerke, die die Grundlast sichern.

Das ist Energie-Denken von gestern. Kohle schafft keine Stabilität, sondern gefährdet sie: Grundlast bedeutet Inflexibilität. Das Energiesystem von morgen jedoch ist flexibel, digital, hochdynamisch, dezentral und intelligent. Erneuerbare Energien ergänzen sich als Teamplayer wechselseitig. Kohlekraftwerke sind zu behäbig für eine moderne Energieversorgung. Sie sind nicht Teil des Teams, sie stehen im Weg.

Welche Folgen hat Ihr Ausstiegspfad für den Stromnetz-Ausbau, der den Plänen hinterherhinkt?

Das Thema Netzausbau wird leider viel zu sehr durch die Brille der Vergangenheit betrachtet: Anstelle – planwirtschaftlich angeordnete – Kabel von Großkraftwerken durch die Lande zu ziehen, sollten wir den Strom da produzieren, wo er gebraucht wird. Mit erneuerbaren Energien geht das. Das bringt kurze Wege, die wir mit intelligenten dezentralen Verteilnetzen überbrücken können, am besten, indem wir auch Energiespeicher integrieren. Wir brauchen endlich mehr Markt und die richtigen Rahmenbedingungen.

ZUR PERSON

Claudia Kemfert leitet den Energie- und Klima-Bereich am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance in Berlin. Seit 2016 ist Kemfert Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung.

KStA abonnieren