"Dieser Versuch ist ein Skandal"

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  • Medizinethiker Ludwig Siep über die Abgas-Tests und die Bedeutung von Ethik-Kommissionen

Herr Siep, VW soll Tierversuche angestellt haben, um die Unschädlichkeit von Stickoxiden zu demonstrieren. Dabei wusste man jedoch bereits um die Gefährlichkeit der Abgase. Wie beurteilen Sie dies als Ethiker?

Wenn die "Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor" (EUGT) ein wissenschaftliches Labor beauftragt hätte und eine Ethikkommission das geprüft hätte, wäre das noch anders zu beurteilen. Wenn es wie in diesem Fall so gewesen ist, dass die Unschädlichkeit der Abgase gezeigt werden sollte, obwohl es solide Untersuchungen zur Schädlichkeit gegeben hat, ist es ein Skandal.

Die Versuche wurden in den USA an Tieren gemacht. Unter welchen Bedingungen werden Versuche an Menschen und Tieren angestellt?

Ich kann das nur aus dem Bereich der Forschungen an Arzneimitteln einschätzen. Bei Versuchen mit Arzneimitteln wird zunächst geprüft, ob die Probanden gesund und nicht in irgendeiner Weise von den Forschern oder Auftraggebern abhängig sind. Sie müssen sich freiwillig dem Versuch unterziehen und sehr gut aufgeklärt werden. Die Ethik-Kommission muss klären, dass das Risiko nicht zu groß ist. Natürlich muss es vorher auch entsprechende Tierversuche gegeben haben. Wir sollten also nicht so tun, als gäbe es keine Tierversuche und auch keine Versuche mit Menschen in unserer Landschaft.

Aber auch Tierversuche sind kritisch zu sehen.

Dass Tierversuche ein ethisches Problem sind, sehe ich auch so. Vor allem soll man höhere Tiere möglichst verschonen. Allerdings sollte man hier graduell vorgehen. Drosophila-Fliegen und Mäuse sind nicht dasselbe wie Primaten oder gar Hominiden, also menschenähnliche Affen. Ich glaube nicht, dass wir vorläufig in der Arzneimittelforschung ohne Tierversuche auskommen werden. Es ist auch fraglich, ob man bei der Wirkung von Schadstoffen schnell ohne Tierversuche auskommen wird.

Aber auch hier gibt es eine größere Sensibilität...

Die Uni Münster hat sich gerade eine neue Richtlinie gegeben, um Tierversuche in der gesamten Universität zu überprüfen, was davon wirklich notwendig ist. Als Richtlinie gilt dabei das ethische Prinzip der "3R": Replace (Vermeiden), Reduce (Verringern) und Refine (Verbessern). Das ist alles völlig richtig, aber ob man über kurze Zeit ganz darauf verzichten kann, halte ich für fraglich. Wie es sich hier bei Schadstoff-Untersuchungen verhält, weiß ich nicht. Was ich weiß, ist, dass es bei den europäischen Chemikalien-Richtlinien Tierversuche in großem Stil gegeben hat. Allerdings niedrige Tiere, keine Primaten.

Wie gut arbeiten Ethik-Kommissionen an Universitäten?

Sie wurden ja nach dem Contergan-Skandal eingerichtet als es die schlimmen Folgen für Menschen nach nicht richtig geprüften Arzneimitteln gegeben hat. Das Problem, dass die Industrie solche Studien sponsert, hat man bei Arzneimittelversuchen auch. Es gibt auch von Universitäten selbst finanzierte Studien, aber die meisten medizinischen Fakultäten sind nicht mehr in der Lage, solche großen Studien ohne Industrie-Unterstützung durchzuführen. Die Ethik-Kommissionen sind ja gerade dazu da, dass die Forscher von der Industrie unabhängig sind.

Aber da bleibt doch sicher immer eine Spannung?

Die Unabhängigkeit muss sichergestellt werden. Es darf nur Aufwandsentschädigungen geben, aber nicht etwa großzügige Belohnungen für Ärzte oder Patienten. Ob das hundertprozentig klappt, darüber kann man immer streiten. Auch ob medizinische Fakultäten zu sehr abhängig sind von der Pharmaindustrie oder Medizinprodukten. Die Ethik-Kommissionen sind dazu da, das zu verhindern. Aus meiner eigenen Zeit in den Kommissionen kann ich sagen, dass wir uns mit Industrie-Vertretern oft darüber gestritten haben. Vor allem über die Frage, ob die Sache auch publiziert wird, selbst wenn es negative Ergebnisse gibt. Die Unternehmen wollen natürlich nur positive Ergebnissen veröffentlichen. Aus den negativen erwächst kein positives Image und die Konkurrenz weiß, was sie gemacht haben. Doch das muss man unbedingt durchsetzen. Aber natürlich können auch Ethik-Kommissionen Fehlurteile treffen.

Ludwig Siep lehrt Philosophie an der Uni Münster. Der 75-Jährige war lange Jahre Vorsitzender der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung des Robert-Koch-Institutes.

Ein Affe, an dem Tierversuche durchgeführt wurdenFoto: dpa

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