„Keine Entscheidungskompetenz“Wieso Kölner Baugenehmigungen teils 22 Monate brauchen

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Wohnen in Köln Michael Bause

Wohnen in Köln (Symbolbild)

Köln – Corona macht auch Häuslebauern das Leben schwer. Bauherren haben mit Lieferengpässen und Preissteigerungen auf dem Baustoff-Markt zu kämpfen. Und den Genehmigungsverfahren hat die Pandemie auch nicht unbedingt einen Turbo verpasst, viele Absprachen sind langwieriger geworden. In Köln muss man sagen: Noch langwieriger. Denn für die Metropole am Rhein beklagen Bauträger und Wohnungsbauunternehmen ohnehin seit Jahren eine zunehmende Verlangsamung.

Die aktuellen Zahlen dazu wurden zuletzt bekannt und markieren einen Negativrekord: Im vergangenen Jahr sind in Köln nur 2000 neue Wohnungen entstanden. Das von der Stadt ausgegebene Ziel liegt eigentlich bei 6000 neuen Wohnungen pro Jahr.

Antragsstau bei der Stadtverwaltung

Ein wesentliches Problem ist nach Ansicht der Bauherren der Antragsstau in der Stadtverwaltung. Dort stapelten sich die Akten auf den Schreibtischen von zu wenigen Sachbearbeitern mit zu wenig Entscheidungskompetenz.

Und die Berge an Papier sind dabei kein fiktives Bild zur Veranschaulichung der Situation. Sie sind Realität. Digital geht in Sachen Baugenehmigungen noch nicht viel in Köln. Die digitale Bauakte ist seit 2018 angedacht, wann es wirklich losgeht, weiß aber niemand so genau. Da werden die Anträge also nicht wie etwa in Berlin übersichtlich in Dateien gepackt und auf einen Server geladen, auf den alle beteiligten Ämter Zugriff haben. Nein, es gehen Hunderte Blätter Papier in die Post – und mit viel Glück beim Verteilen an all die an so einem Genehmigungsverfahren beteiligten Personen nicht verloren. Eine gute Grundlage dafür, dass trotz dünner Personaldecke effektiv und schnell gearbeitet werden kann, ist das kaum.

Einigungen dauern Jahre

„Alles schreit nach Wohnungsbau, und trotzdem dauert es oft Jahre, bis man sich auf einen Kompromiss einigen kann“, sagt Martin Venjakob, bei der Bonava Deutschland zuständig für die Region Köln/Bonn. „Ich wäre nachts sehr unruhig, wenn wir nur in Köln arbeiten würden“, so formuliert es Carsten Rutz, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Reihenhaus. Und Erika Werres, Geschäftsführerin der WvM Immobilien + Projektentwicklung, sagt: „Die Verwaltung der Stadt Köln ist an vielen Stellen nicht sonderlich transparent. Es gibt wenig Verbindlichkeit, für uns Investoren ist es schwierig, Planungssicherheit zu bekommen.“

Die drei Unternehmen gehören der Wohnungsbau Initiative Köln an. In der WIK haben sich 31 Bauträger, Projektentwickler und bauträgernahe Dienstleister zusammengeschlossen. Sie sind Konkurrenten, aber es eint sie der Wunsch, schneller mit ihren Projekten in Köln voran zu kommen.

Na klar, sie wollen Geld verdienen. Und doch darf wohl als relativ unstrittig gelten, dass in Köln nicht nur gebaut werden muss, damit die Bauindustrie die Sektkorken knallen lassen kann – sondern vor allem, um die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt zu stoppen. In Köln steigt die Nachfrage nach Wohnraum in Überschallgeschwindigkeit, während das Angebot eher im Tempo einer gemütlich dahinschreitenden Schildkröte vorankommt. Zwischendurch wird immer mal wieder der Kopf eingezogen und dem Nichtstun gefrönt. Das Resultat: Auch die Preise jagen wie Düsenjets in den Himmel.

In Grundstücke außerhalb Kölns investieren

Martin Venjakob erklärt, die Bonava wolle künftig vermehrt nach Grundstücken zwischen Köln und Aachen suchen: „Wir merken, dass die Leute die Preise in Köln nicht mehr zahlen können. Die werden einfach zu hoch.“ Carsten Rutz betont: „Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist nur aufzulösen, wenn viel gebaut wird. Da sind sich alle einig.“

Die Grünen, seit der Kommunalwahl 2020 stärkste Kraft im Kölner Rat, wollen mehr Verdichtung in der Stadt und weniger Flächenverbrauch an den Rändern. Aber Stillstand wollen auch sie offiziell nicht. „Wir leben hier an der wichtigen Rheinschiene, wir sind eine Stadt, die sich in 2000 Jahren immer weiterentwickelt hat, und sie wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln“, sagt etwa Sabine Pakulat, Vorsitzende im Stadtentwicklungsausschuss. Und doch hakt es auch bei Bauprojekten auf alten Industrieflächen.

Baudezernent Markus Greitemann gestand kürzlich ein, dass sich die Stadtverwaltung in Sachen Baugenehmigungen „noch weiter beschleunigen“ könne, „ebenso bei der Schaffung von Planrecht“. Allerdings betonte Greitemann auch, dass die erteilten Baugenehmigungen 2020 im Vergleich zum Vorjahr immerhin um 35 Prozent zugenommen hätten. Und er schob der Bauindustrie den schwarzen Peter zu: Die Stadt habe den höchsten Bauüberhang seit 20 Jahren. Bei vielen genehmigten Bauvorhaben stocke es auf den Baustellen.

Es hapert am Tempo

Also müsste nicht schneller genehmigt, sondern vor allem schneller gebaut werden? Dem widerspricht Erika Werres: „Wenn wir eine Baugenehmigung haben, dann fangen wir auch sofort an zu bauen.“ Verzögerungen kosteten nur unnötig Geld. Die WvM Immobilien errichte rund 400 Wohnungen pro Jahr in Köln. „Und wir könnten und würden gern noch viel mehr schaffen“, sagt Werres. An Grundstücken mangele es dem Unternehmen nicht, sondern es hapere primär am Tempo der Genehmigungsverfahren.

Für einfache Baugenehmigungen habe man vor zehn Jahren noch drei Monate veranschlagt. „Heute planen wir mit zwölf Monaten, aber damit betuppen wir uns, unsere Auswertungen zeigen, dass es tatsächlich 22 Monate sind“, erklärt Werres. Manchmal dauere es inzwischen allein drei Monate, bis die erste Rückmeldung von der Stadtverwaltung komme. Und die laute dann: „Ihr Antrag ist eingegangen und das Aktenzeichen ist soundso.“ Weitere drei Monate später bekomme man endlich einen Sachbearbeiter zugeteilt. So ist dann schnell mal ein halbes Jahr um, ohne dass es nennenswerte Fortschritte gegeben hätte.

Bei Bebauungsplanverfahren (wenn für ein größeres Areal Baurecht geschaffen werden muss, inklusive Berücksichtigung der Infrastruktur) sieht es noch düsterer aus. In Mülheim will die WvM Immobilien auf dem „Lindgens-Areal“ – einer alten Industriebrache, die konvertiert werden soll – 230 Wohnungen schaffen. Die Planungen starteten 2014, damals rechnete man mit einer Fertigstellung Ende 2021. Passiert ist: nicht viel. Nur Absprachen, die früher oder später wieder über den Haufen geworfen wurden. Aktuellste Volte der Verwaltung: Beim Hochwasserschutz soll nicht mehr wie bisher gefordert mit der Marke des 100-jährigen Rhein-Hochwassers (Pegelstand 10,69 Meter) gerechnet werden, sondern mit der des 200-jährigen Hochwassers (Pegelstand über elf Meter). „Ich will mich nicht gegen solche Vorgaben sträuben“, sagt Werres: „Aber ich frage mich schon, warum diese Forderung so spät auftaucht. Der Rhein war schon immer da. Und dass er immer mal wieder Hochwasser führt, ist auch bekannt.“

Der dritte Baudezernent für ein Projekt

Carsten Rutz berichtet von einem Bauvorhaben der Deutschen Reihenhaus in der Steinstraße in Porz. Das Grundstück habe man 2009 gekauft, und das Projekt erlebe nun den dritten Baudezernenten. 2010 habe es einen Architekten-Wettbewerb gegeben, in der Jury saßen Vertreter aller entscheidenden Stellen: des Baudezernats, des Stadtplanungsamtes, dazu der Gestaltungsbeirat und der Bezirksbürgermeister etwa. Man einigte sich auf eine gemeinsame Planungsgrundlage, 2011 sollte der Bau losgehen. Doch erst in diesem Jahr hat die Deutsche Reihenhaus die Baugenehmigung erhalten. Zehn Jahre lang wurde geplant, verworfen, gestritten und gefeilscht. Nach neun Jahren war der Bezirk zwischenzeitlich noch auf die Idee gekommen, dass vielleicht doch lieber ein Supermarkt auf das Grundstück passt.

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Carsten Rutz fordert: „Gebt den Sachbearbeitern in den Ämtern ihre Verantwortung wieder und auch ein Stück weit ihren Stolz zurück.“ Er habe in den letzten zehn Jahren beobachtet, dass „die Leute, die die Arbeit machen, eine Entscheidungsstufe nach der anderen zurückgestuft“ wurden. Das sei weder sachdienlich noch erfolgversprechend.

Neben der fehlenden Entscheidungskompetenz der Mitarbeiter scheint ein weiteres Problem zu sein: „Jedes Amt guckt mit seiner Brille auf seine Belange. Und Sie als Investor müssen die größte gemeinsame Schnittmenge zwischen allen Belangen finden, das ist wirklich ein schwieriger Prozess“, sagt Erika Werres. Hier ein fiktives Beispiel: Bei einem größeren Bauvorhaben möchte beispielsweise das Amt für Straßen und Verkehr eine bestimmte Fläche für die Ein- und Ausfahrt einer Tiefgarage nutzen. Das Liegenschaftsamt aber meldet Bedarf an dieser Fläche für die öffentliche Straße an. Das Grünflächenamt wünscht sich einen Baum. Doch die Bauaufsicht hat andere Vorstellungen: Sie will die Fläche als Feuerwehrzufahrt freihalten.

Wohnungsbauleitstelle hat keine Kompetenz

Und nun? Wer entscheidet? Die Wohnungsbauleitstelle vielleicht, die seit 2017 bei Projekten ab 50 Wohneinheiten eingeschaltet wird? Klingt sinnvoll und die Bauträger würden das begrüßen. Doch Werres sagt: „Leider ist die Wohnungsbauleitstelle nicht mit der erhofften Durchgriffskompetenz ausgestattet. Da sitzen kompetente Leute, aber denen sind die Hände gebunden.“

Martin Venjakob vergleicht die Institution gar mit einem „zahnlosen Tiger“. Carsten Rutz sagt: „Die Wohnungsbauleitstelle müht sich redlich, hat aber keinerlei Entscheidungskompetenz.“

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Reihenhaus vermisst in Köln ein einheitlich formuliertes Ziel, dem sich alle Beteiligten in der Stadt unterordnen. „Wir führen immer nur Diskussionen über Partikular-Interessen, aber selten Ziel-Diskussionen“, sagt er.

Doppelhaushälften für 1000 Euro pro Quadratmeter

Ein Beispiel für innerstädtisch überkreuz laufende Interessen: Da werden in Sürth städtische Grundstücke für Doppelhaushälften für 1000 Euro pro Quadratmeter angeboten. „Für welche junge Familie soll das denn sein?“, fragt Rutz. Aber na klar, das Liegenschaftsamt soll seine Flächen so gewinnbringend wie möglich verkaufen. Andererseits will das Stadtplanungsamt so viel sozial geförderten Wohnraum wie möglich realisieren. Das wiederum ist aber schwer möglich auf Grundstücken, die zu Fabelpreisen verkauft werden.

Um zumindest beim sozialen Wohnungsbau voran zu kommen, gibt es in Köln das „Kooperative Baulandmodell“, seit 2017 besteht es in seiner jetzigen Form. Danach müssen Bauträger bei größeren Projekten mit Baurechtschaffung 30 Prozent der Neubauflächen als öffentlich geförderten Wohnungsbau errichten. Auf diese Art beteiligen die Bauträger die Stadt an ihrem Gewinn, den sie ja nur erzielen können, wenn die Stadt ihnen das Bauen erlaubt. Und die Stadt bekommt durchmischte Wohnquartiere anstatt reiner Billigwohn-Siedlungen, wie sie entstehen würden, wenn Köln selbst Sozialwohnungen errichten würde.

Schnellere Genehmigungen täten der Stadt gut

Die Grundstückpreise werden durch das Modell natürlich gedrückt. Für Ehrenfeld etwa beziffert Martin Venjakob den Unterschied so: „Der Erlös für ein Grundstück liegt mit gefördertem Wohnungsbau etwa ein Drittel unter dem, was sonst möglich wäre.“ Erika Werres betont: „Aber die Spielregeln sind für alle gleich, das ist in Ordnung so. Natürlich haben manche Grundstücksbesitzer Preisvorstellungen, die nicht marktgerecht sind und nur zustande kommen, weil da jemand gern mal Millionär wäre – aber dann ist das Grundstück für alle nicht auf dem Markt.“

Am Ende bleibt festzuhalten: Bauprojekte schneller zu genehmigen, täte auch der Stadt gut. Denn nur wenn gebaut wird, entsteht auch neuer sozialer Wohnraum. Und nur wenn gebaut wird, kann sich das Angebot wieder etwas mehr der Nachfrage annähern. Nur dann können sich weiterhin Menschen, die eine Stadt braucht, um eine vielfältige, quirlige, lebens- und liebenswerte Metropole zu sein, es auch leisten, in Köln zu wohnen.

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