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Troisdorfer KlimaschutzsiedlungWo sich Haus-Traum und Nachhaltigkeit verbinden lassen

Lesezeit 7 Minuten
Klimaschutzsiedlung Troisdorf

Eine Einfamilienhaussiedlung in Troisdorf, die als Klimaschutzsiedlung ausgewiesen ist.

Troisdorf – Melanie Da Costa Soares sitzt inmitten ihres wahrgewordenen Traumes. Ein Einfamilienhaus auf dem Land, vier Zimmer, 107 Quadratmeter Wohnfläche, Terrasse, kleiner rechteckiger Garten, Baumhaus, der Rasen getrimmt, Photovoltaik auf dem Dach. Ein Steinwurf entfernt beginnt das Naturschutzgebiet rund um den Sieglarer See. Hier geht die Familie Da Costa Soares, Ehepaar, zwei Kinder, oft spazieren, joggen, im Sommer fahren sie Schlauchboot auf der Sieg. „Die Umgebung ist toll“, sagt die 43-Jährige. Auch verkehrstechnisch sei der Ort optimal. Mit Bus und Bahn ist sie schnell in Köln oder an ihrem Arbeitsplatz in Bonn. Das Auto benutzt die Familie nur noch in Ausnahmefällen.

Das Haus ist Teil einer Klimaschutzsiedlung, 18 Häuser stehen hier wie an einer Schnur gezogen nebeneinander, in einer kleinen Straße im Troisdorfer Stadtteil Friedrich-Wilhelms-Hütte. 53 dieser Siedlungen gibt es inzwischen in ganz Nordrhein-Westfalen, weitere 50 sind derzeit im Bau oder in Planung. Die EnergieAgentur.NRW, ein Unternehmen des Landes, hatte das Projekt 2009 ins Leben gerufen, um Bauträger und Käufer gestützt durch Förderungen zu nachhaltigem Bauen zu motivieren.

Leben wie in der Thermoskanne

Wichtigstes Kriterium für das Label Klimaschutzsiedlung ist ein CO2-Grenzwert von maximal neun Kilogramm pro Quadratmeter, also ungefähr die Hälfte des gesetzlich vorgeschriebenen Werts für normale Einfamilienhäuser. In Troisdorf sind die Fenster dreifach verglast, geheizt wird über Erdwärme, auf der Fassade klebt eine 35 Zentimeter dicke Dämmschicht aus Styropor. Frischluft kommt nicht durch geöffnete Fenster, sondern über eine hausinterne Anlage. Stoßlüften unerwünscht, Passivbauweise.

„Man lebt hier wie ein einer Thermoskanne“, sagt Architekt und Diplom-Ingenieur Hans-Werner Piel, der die Siedlung geplant, gebaut und 2014 fertiggestellt hat. „Wir wollten für unsere Familie und die Kinder ein Haus mit Garten“, sagt Da Costa Soares, „aber es war uns wichtig, dass wir beim Kauf auf Nachhaltigkeit achten“. Dennoch räumt sie selbstkritisch ein, dass auch für ihren Traum vom Einfamilienhaus Fläche versiegelt werden musste, denn vor dem Bau der Siedlung, die Architekt Piel „grüne Kolonie“ getauft hat, war hier nur freies Feld. „Ich hätte das gerne anders gehabt“, sagt sie, lieber ein altes Haus gekauft, saniert und auf klimaneutral getrimmt. Aber kostenmäßig wäre das nicht erschwinglich gewesen. „Deshalb haben wir uns letzten Endes doch für einen Neubau entschieden.“

Idealtypus deutscher Wohnkultur

Das Einfamilienhaus mit Garten, idealerweise noch in Stadtnähe, verkörpert für viele Familien noch immer den Idealtypus deutscher Wohnkultur. Doch angetrieben von der Debatte um den Klimawandel hat auch die Kritik am Bau immer neuer Einfamilienhaus-Siedlungen deutlich zugenommen.

In den Städten gibt es hierfür ohnehin kaum noch Flächen. Die Knappheit wiederum hat zur Explosion der Grundstückspreise geführt. Also zogen die Menschen immer weiter nach draußen, um sich dort ihren Traum vom Eigenheim zu erfüllen.

Die Konsequenz: Auch in den Speckgürteln rund um die Metropolen schnellten die Preise nach oben. Ein Effekt, der am Beispiel der Familie Da Costa Soares anschaulich wird. Vor sieben Jahren haben sie ihr Haus bezogen. In der Zwischenzeit habe sich der Wert verdoppelt.

Diskussion über Wohnungsmarkt

Mitte Februar eröffneten die Grünen eine Diskussion darüber, wie viel Einfamilienhaus die Umwelt und die sich zuspitzende Lage auf dem Wohnungsmarkt überhaupt noch verträgt. Am Beispiel des Stadtteils Hamburg-Nord argumentierte Fraktionschef Anton Hofreiter damals, dass Boden endlich und gerade in Ballungsgebieten Wohnraum für viele und nicht für einzelne geschaffen werden müsse.

Trotz der Bemühung um Klarstellung, dass man den Menschen nicht grundsätzlich den Traum vom Einfamilienhaus zerstören wolle, entglitt den Grünen rasch die Deutungshoheit. Gegenwind kam vor allem von den Immobilienverbänden.

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Trotz der hitzig geführten Debatte erhielt Hofreiter Zustimmung auch jenseits grüner Parteizugehörigkeit. „Ich habe nicht den Eindruck, dass hier jemand jungen Eltern ihren Traum vom Eigenheim kaputt machen will“, sagt Roland Schäfer, Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW auf Anfrage dieser Zeitung. Das Ganze sei eine Geisterdebatte.

Ökologie und Bauen verbinden

Natürlich dürften auch weiter Einfamilienhäuser gebaut werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. „Es geht darum, in Zeiten des Klimawandels Ökologie und Bauen auf einen Nenner zu bringen. Was spricht gegen ein CO2 -neutrales Einfamilienhaus, gebaut mit Holz, begrüntem Dach und nur minimalem Energiebedarf?“

Der Naturschutzbund Nabu spricht sich für eine effektivere Flächennutzung aus. „Der Logik gemäß passiert diese besser mit Mehrfamilienhäusern als mit Einfamilienhäusern, weil einfach auf dem gleichen Raum mehr Familien oder mehr Bewohnern Wohnfläche gegeben werden kann“, sagte Stefan Petzold in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts befinden sich 31 Prozent aller Wohnungen in Einfamilienhäusern. Dabei nehmen sie 41 Prozent der bebauten Fläche ein. Bei Mehrfamilienhäusern ist es genau andersherum: 42 Prozent der Wohnunterkünfte entfallen auf 33 Prozent der Fläche. Derzeit werden jährlich rund 100 000 neue Einfamilienhäuser genehmigt. Besonders drastisch ist der Unterschied zwischen Stadt und Land beim Flächenverbrauch: In Gemeinden unter 2000 Einwohnern entfallen auf eine Person im Schnitt 1545 Quadratmeter. In Großstädten mit mehr als einer halben Million Einwohnern sind es nur 219 Quadratmeter.

Kleine Kommunen profitieren

In Köln gab es nach Angaben der Stadt bis zum Jahr 2019 knapp 70.000 Einfamilienhäuser. Wie dramatisch sich das Flächenproblem in der Millionenmetropole in den vergangenen Jahren zugespitzt hat, zeigt ein Blick auf die Baugenehmigungen. Während die Verwaltung 2015 und 2016 noch mehr als 500 Genehmigungen für den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern erteilt hat, brach die Zahl 2017 um die Hälfte ein und stagniert seitdem auf einem Niveau von etwa 250.

Profiteure der Entwicklung sind kleinere Kommunen. Da wäre zum Beispiel Weilerswist, eine 16 000-Seelen-Gemeinde im Kreis Euskirchen. Vor etwa zehn Jahren habe den Ort noch kaum jemand gekannt, sagt Hans-Ulrich Schneider, Seniorprojektleiter im Bonner Büro der Deutschen Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft (DSK) und zugleich Treuhänder und Erschließungsträger für die Gemeinde Weilerswist. Für Eigenheim-Interessenten aus der Großstadt ein Niemandsland. Wer im Kölner Umland wohnen, aber die Stadt in greifbarer Nähe haben wollte, den trieb es allerhöchstens bis nach Brühl. Das hat sich schlagartig geändert, als die Kommune Anfang der Nuller Jahre 47 Hektar zu Bauland erklärte, unter anderem für den Bau von 600 Einfamilienhäusern.

Die Gemeinde lockte potenzielle Käufer mit einem Anschluss an die Bahn und junge Familien mit Kinderrabatten. Der Verkauf der durchschnittlich 450 Quadratmeter großen Grundstücke sei zu Beginn noch etwas schleppend verlaufen, sagt Schneider, der mit der DSK das Bauland erschlossen und an die Eigentümer verkauft hat.

Grundstückpreise steigen

Bei den letzten beiden der insgesamt vier Bauabschnitte seien die Flächen dann aber schneller weggegangen als „ein Briefträger seine Post austragen kann“. Auch die Grundstückspreise stiegen innerhalb von knapp zehn Jahren von anfangs 160 auf schließlich 240 Euro pro Quadratmeter. „Der Bedarf an Einfamilienhäusern ist nach wie vor sehr groß“, sagt Schneider, der schon an der Vermarktung des nächsten Projekts arbeitet. In Weilerswist-Hausweiler sollen weitere 70 Einfamilienhäuser entstehen.

Anders als damals wolle man hier beim Bau mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen. Die Forderung, wegen des Umwelt- und Klimaschutzes künftig eher auf Mehr- statt Einfamilienhäuser zu setzen, könne er nachvollziehen. Doch in Orten wie Weilerswist mehrgeschossige Gebäude hochzuziehen, hält er für falsch. „Der Charakter der Gemeinde muss gewahrt bleiben.“ Eines der gravierendsten Probleme beim Bau immer weiterer Häuser ist seit Jahren die Flächenversiegelung. Nach Angaben des Statistischen Landesamts werden noch immer jeden Tag 8,1 Hektar, also eine Fläche von etwa acht Fußballfeldern, für Siedlung und Verkehr erschlossen, überwiegend auf Kosten der Landwirtschaft. Der damalige grüne NRW-Umweltminister Johannes Remmel hatte schon 2011 eine Reduktion auf einen Zielwert von fünf Hektar ausgegeben. Die Bundesregierung wollte den Verbrauch bis 2020 auf deutschlandweit 30 Hektar drücken. Die Ziele sind allesamt krachend gescheitert. Die Frist wurde kurzerhand um zehn Jahre bis 2030 verlängert.

Das NRW-Umweltministerium zeigt sich problembewusst, nimmt aber vor allem Stadtplaner, Bauwirtschaft und Eigentümer in die Pflicht. „Da ist noch viel Luft nach oben, wenn es um die Umsetzung einer nachhaltigen und klimaresilienten Siedlungsentwicklung geht“, sagt Ministerin Ursula Heinen-Esser auf Anfrage dieser Zeitung. „Zurzeit werden hier zu oft noch falsche Prioritäten gesetzt.“

Flächen besser durchmischen

Es müsse nachhaltiger, kompakter und flächensparender gebaut werden. Man dürfe nicht weiter der grünen Wiese und dem eingeschossigen Gewerbebau den Vorrang geben, sondern müsse „auch die Brachflächen systematisch erschließen, wiedernutzen und baulich in die Höhe gehen“.

Gerade in urbanen Gebieten müsse die Nutzung der Flächen besser durchmischt werden. „Im Sinne der Charta von Leipzig ist es wichtig, wieder Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Städten zusammenzudenken und die Attraktivität zu steigern, um so eine Zersiedelung der Landschaft zu vermeiden und damit den Flächenverbrauch zu reduzieren.“

Die Kommunen in ihren Entscheidungen zu beschneiden, ist für Heinen-Esser dagegen keine Option. „Eine Reglementierung des Neubaus von Einfamilienhäusern durch das Land lehne ich als Eingriff in die kommunale Planungshoheit ab.“

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