"Wir streben die 100-Millionen-Marke an"

Lesezeit 6 Minuten
  • Marion Glagau gehörte zum Gründungsteam von Orthomol in Langenfeld - Familienunternehmen mit 400 Mitarbeitern

Der Spitzenreiter der 2. Fußball-Bundesliga, Fortuna Düsseldorf, trägt Ihren Firmennamen auf den Trikots. Ihr Umsatz wächst. Wie planbar ist Erfolg?

Orthomol hat einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Damit hat 1991 bei der Firmengründung niemand gerechnet. Begonnen haben wir in unserem Wohnhaus in Langenfeld. Da habe ich im Kinderzimmer Rezepturen für Orthomol auf einer alten elektrischen Schreibmaschine geschrieben. Eigentlich wollten die Firmengründer verkaufen, sobald der Umsatz drei Millionen Mark beträgt. Das waren mein verstorbener Mann Kristian Glagau und sein ebenfalls verstorbener Partner Hans Dietl, ein Bio-Chemiker, der fasziniert von der orthomolekularen Medizin war.

Eine Firma gründet man doch nicht einfach so?

Mein Mann hatte als Geschäftsführer in einem mittelständischen Betrieb gearbeitet. Nicht glücklich, aber erfolgreich. Als der Firmeninhaber selbst wieder übernehmen wollte, schied er aus und die Abfindung war unser Startkapital. Hans Dietl hatte nach den Erkenntnissen des US-Nobelpreisträgers Linus Pauling Rezepturen für Produkte entwickelt, die der Gesundheit dienen. Er hat sich auch selber damit behandelt. Mein Mann war zuständig für Marketing und Vertrieb, Dietl für die Wissenschaft. Das passte sehr gut zusammen. Die beiden sind sich nie ins Gehege gekommen.

Es ist ein Familienunternehmen.

Buchstäblich. Wir waren, was man heute ein "Start up" nennen würde. Die ganze Familie packte an und wir hatten zwei Mitarbeiter. Die sind immer noch bei uns. Eine Kurdin, Turfanda Erinmez, und ein Kroate, Goran Potpara. Anfangs haben wir noch im Keller die Pakete gepackt. Das war eine ganz besonders intensive Zeit. Wir feierten Geburtstage gemeinsam und Feste wie Ostern oder Weihnachten. Nach der ersten Umsatzmillion gab es Pizza für alle.

Worauf führen Sie den Erfolg zurück?

Wir hatten ein völlig neues Produkt aus sehr guten Substanzen und es gab eine Marktlücke. Etwas wie Orthomol war neu in Deutschland. In der Firma waren wir ein buntes Völkergemisch. Jeder packte an. Als wir einen Buchhalter und fünf Packerinnen einstellten, sorgten wir uns, das könne uns das Besondere nehmen. Deshalb gibt es von mir persönlich auch heute noch zu Ostern einen Hasen und am 6. Dezember einen Nikolaus.

Haben Sie zu viel gearbeitet damals?

Viel, aber nicht zu viel. Mein Mann hatte große Freude an dem, was er tat. Er konnte seine Ideen und Visionen umsetzen. Wir machten damals keinen Urlaub und das verdiente Geld wurde gleich wieder in die Firma gesteckt. Meinem Mann habe ich immer den Rücken frei gehalten. Er war ein sehr kluger Kopf und ich habe ihn in allem ermutigt.

Ihr Mann starb 2009.

Das kam aus heiterem Himmel. Wir hatten gerade ein neues Haus in Düsseldorf erworben und wollten in 14 Tagen umziehen. Kristian war frühmorgens aufgestanden und dann gab es plötzlich diesen furchtbaren Schlag. Er war tot zusammengebrochen. Obwohl er viel Sport getrieben hat und eigentlich kerngesund war. Die Ärzte haben eine Lungenembolie festgestellt. Er kam gerade von einer anstrengenden Reise nach China zurück.

Wie haben Sie reagiert?

Mittags haben wir in der Firma eine Betriebsversammlung einberufen und ich habe die Mitarbeiter informiert. Dann bin ich zu meinem Enkel, der Geburtstag hatte. Ich wollte nicht, dass er diesen Tag mit dem Tod des Großvaters verbindet. Ein paar Tage später sagte er zu mir: Ich kann doch Zeitung lesen.

Sie sprechen so nüchtern über Tod und Verlust. Ging das alles nicht über Ihre Kräfte?

Das musste ich auf mich nehmen. Das ist mein Verständnis von Familie und Unternehmen. Ich war die Frau des Chefs und hatte Verantwortung. Den Mitarbeitern wollte ich die Unsicherheit nehmen, denn eigentlich drehte sich im Betrieb alles um meinen Mann. Er kannte jeden mit Namen. Wir waren in Sorge, dass uns Leistungsträger verlassen. Aber alle sind geblieben und haben uns die Treue gehalten.

Wer hat die Firmenleitung übernommen?

Ich habe die Familie kurz nach dem Tod meines Mannes zusammengerufen und gesagt, dass ich mit 63 Jahren keinen Betrieb leiten möchte. Wir müssten entweder verkaufen oder eine Geschäftsführung ernennen. Da haben mein Sohn Nils, meine Tochter Gesche und mein Schwiegersohn Michael die Verantwortung übernommen. Nils kannte den Betrieb ja, hatte ihn aber wegen seines Vaters wieder verlassen.

Sie hatten 2011 einen Schlaganfall?

In Krisensituationen kann ich gut funktionieren. Aber dann waren sie vorbei und ich fühlte mich allein. Langenfeld und unser Haus waren mir in 30 Jahren zur Heimat geworden. Die Firma hatte dort begonnen. Und nun war ich im neuen Haus in Düsseldorf. Und dann der Tod meines Mannes, der immer der Mittelpunkt gewesen war. Ich hatte meinen Halt verloren. Die Psyche hat sich gemeldet und ich erlitt einen leichten Schlaganfall. Aber ich bin ein positiver Mensch und habe mich zurück gekämpft, tapfer alle Übungen gemacht.

Wie hat die Firma den Wechsel verkraftet?

Als mein Mann starb, belief sich unser Jahresumsatz auf 70 Millionen Euro. Wir mussten danach Erbschaftssteuer zahlen und das Finanzamt forderte neun Millionen Euro zurück, wegen einer Änderung der Mehrwertsteuerregelung. Aber in diesem Jahr wollen wir die 100-Millionen-Marke nehmen. Wir wachsen weiter.

Wie oft sind Sie noch in der Firma?

Regelmäßig, aber zu selten, wie mir Mitarbeiter immer wieder sagen. Es sind ja auch Bindungen entstanden. Bei manchem Firmen-Jubilar waren wir zu Hause zum Essen eingeladen. Und in der Kita unserer Firma wurden auch meine Enkel betreut. Aber ich gehöre einer anderen Zeit an und fühle mich manchmal wie ein Relikt.

Würden Sie irgendetwas in Ihrem Leben anders machen?

Ich habe die Volksschule besucht. Heute würde man sagen "nur". Das hätte vielleicht anders sein können. Aber so war das nach dem Krieg und ich habe es nie verheimlicht. Vieles war schwer. Meine Großmutter sah mit 45 Jahren wie eine alte Frau aus. Ein Stiefvater kam. Und doch erinnere ich mich an eine glückliche Kindheit.

Wie leben Sie heute?

Eher zurückgezogen. Ich bin kein Mensch für Galas und öffentliche Auftritte, obwohl ich vor Hunderten von Menschen sprechen kann. Die Firma wird aber immer ein Thema bleiben. Mein Mann und ich haben kaum über etwas anderes geredet. Einmal wollten wir mit meinem Sohn essen gehen. Ich komme aber nur mit, sagte er, wenn ihr nicht wieder den ganzen Abend über Orthomol redet.

Zur Person

Marion Glagau (1946 geboren) war lange Jahre Geschäftsführerin des Langenfelder Familienunternehmens Orthomol. Dessen Produkte aus dem Bereich der Nahrungsergänzungsmittel und Mikronährstoffe sind Bestandteil fast jeder Apotheke und werden weltweit exportiert. In der Zentrale in Langenfeld sind heute mehr als 400 Mitarbeiter beschäftigt. (ksta)

KStA abonnieren