AbgasskandalGute Chancen für geprellte Dieselfahrer

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Im Rahmen einer Rückrufaktion zum Abgasskandal erhält dieser VW ein Software-Update.

Im Rahmen einer Rückrufaktion zum Abgasskandal erhält dieser VW ein Software-Update.

  • Viele Kläger erhalten Experten zufolge von VW den Kaufpreis ihres manipulierten Wagens zurück

Frankfurt – Zehntausende geprellter Besitzer von Dieselautos verlangen Schadenersatz oder einen neuen Wagen. Die Chancen dafür steigen. Denn immer mehr Gerichte entscheiden zugunsten der Kläger. Zugleich rückt eine wichtige Verjährungsfrist näher. Wir erläutern, welche wichtigen Entwicklungen bevorstehen. Bestehen für Halter von Autos mit manipuliertem Abgassystem noch Chancen, Entschädigungen zu bekommen? Die Chancen bestehen, allerdings nicht mehr uneingeschränkt. Mit dem Jahreswechsel ist die Verjährung für Fälle eingetreten, bei denen es um sogenannte Sachmangelhaftung von Autohändlern geht - hier sind aber noch Tausende von Verfahren nicht entschieden. Wer ein Auto mit Manipulationssoftware aus dem Volkswagen-Konzern hat, kann jetzt nur noch gegen das Unternehmen vor Gericht ziehen, wenn sogenannte deliktische Ansprüche geltend gemacht werden - wenn also wegen Betrugs oder vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung geklagt wird. Hier läuft die Frist bis zur Verjährung am Ende des Jahres aus. Wer also bislang untätig war und Schadenersatz durchsetzen will, muss bis 31. Dezember aktiv werden. Wie kommt die Verjährung zustande? Mitte September 2015 legte der damalige Volkswagenchef Martin Winterkorn ein öffentliches Geständnis ab und räumte ein, dass sein Unternehmen Autos mehrerer Konzernmarken mit einer illegalen Abgasreinigung seit Jahren verkauft hat. Allein hierzulande sind rund 2,7 Millionen Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Skoda, Seat und Porsche betroffen. Wer noch nach dem Geständnis einen Wagen des Volkswagen-Konzerns gekauft hat, kann keine Entschädigung geltend machen, da der Betrug dann allgemein bekannt war. Während beim Sachmangel eine Verjährungsfrist von zwei Jahren gilt, sind es bei den deliktischen Ansprüchen drei Jahre, wobei die Uhr erst zum Jahreswechsel 2015/2016 zu ticken begann. Wie ergeht es den Autobesitzern, die klagen?Rechtsanwalt Marco Rogert schätzt, dass inzwischen bis zu 50 000 Verfahren in Deutschland zusammengekommen sind - seine Kanzlei Rogert&Ulbrich vertritt mehr als 7000 Dieselfahrer. Der Anwalt, aber auch Verbraucherschützer sprechen davon, dass immer mehr Gerichte zugunsten der Autobesitzer und gegen den Wolfsburger Konzern entscheiden. "Wir gewinnen deutlich mehr Verfahren, als wir verlieren", sagt Rogert. Am weitesten verbreitet ist dabei, dass die Halter den Wagen zurückgeben und sie den Kaufpreis abzüglich eines Betrages für die gefahrenen Kilometer erstattet bekommen. Sind Klagen also risikolos?Die Gerichte entscheiden nach wie vor höchst unterschiedlich. Das Landgericht Braunschweig etwa ist inzwischen dafür bekannt, dass es fast ausschließlich zu Gunsten von Volkswagen entscheidet. Verbraucherschützer raten, Klagen mit dem Vorwurf des Betrugs oder der vorsätzlichen Schädigung nur anzugehen, wenn die Betroffenen über eine Rechtsschutzversicherung verfügen. Gibt es bereits Entscheidungen von höheren Gerichten? Nein. Verbraucherschützer gehen davon aus, dass die Strategie von VW darauf zielt, die juristischen Entscheidungen klein zu halten und Entscheidungen von höheren Instanzen zu vermeiden. "Sobald sich vor einem Oberlandesgericht die Tendenz zeigt, verbraucherfreundlich zu entscheiden, ist Volkswagen zu einer außergerichtlichen Einigung bereit", sagt Christoph Herrmann von der Stiftung Warentest. Dem Vernehmen nach werden dabei relativ großzügige Summen gezahlt. Dahinter steckt offenbar, dass Volkswagen Urteile verhindern will, die Präzedenz-Charakter bekommen und damit als Orientierung für nachfolgende Klagen dienen könnten. Klägeranwälte versuchen gleichwohl, einzelne Fälle vor den Bundesgerichtshof als höchster Instanz zu bringen - ein Urteil kann da frühestens 2020 fallen. Denkbar ist auch, dass die außergerichtlichen Einigungen Volkswagen irgendwann zu teuer werden und der Weg durch die Instanzen frei wird. Wie sieht es bei anderen Autobauern aus? Rogert berichtet, dass seine Kanzlei mittlerweile auch zahlreiche Klagen gegen Mercedes, BMW, Opel, Renault und weitere Hersteller auf den Weg gebracht hat, die Dieselautos offerieren. Die rechtliche Lage ist hier schwieriger: Das Kraftfahrtbundesamt hat bislang nur bei Volkswagen die illegalen Abschaltvorrichtungen festgestellt. Alle anderen Autobauer streiten Verstöße gegen die EU-Abgasvorschriften nach wie vor ab. Wie steht es um BMW?BMW rückt zunehmend in den Fokus. Bei den Münchnern sind Motorsteuerungen festgestellt worden, die die Reinigung des Abgases beim Erreichen bestimmter Drehzahlen und Drehmomente abschalten. Staatsanwälte ermitteln wegen Betrug. Der Autobauer teilt mit, dass es sich um eine "fehlerhafte Software-Zuordnung" handele und nicht um eine gezielte Manipulation. Dennoch steigert es die Chancen für Fahrer von BMW-Dieselautos, ebenfalls Entschädigungszahlungen zu erreichen. Wie glaubwürdig sind die Argumente der Autobauer?Umweltschützer sprechen von vorgeschobenen Argumenten. In einem Verfahren vor dem Landgericht Münster hat der Kläger auf die Ergebnisse einer vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten Untersuchungskommission verwiesen, die auch bei Mercedes-Fahrzeugen Abschaltvorrichtungen festgestellt hat. Das Verfahren ist offiziell noch nicht abgeschlossen. Der Stuttgarter Autobauer ist nach Informationen von Insidern bestrebt, solche Klageverfahren über außergerichtliche Einigungen mit großzügigen Entschädigungen möglichst geräuschlos zu beenden. Das soll auch für Renault gelten. Was bedeuten drohende Fahrverbote für die Klagen?Die Klägeranwälte gehen davon aus, dass die Chancen für Geprellte nun gestiegen sind. Deren Argumentation: Werden Fahrverbote tatsächlich verhängt, entstehen den Betroffenen unmittelbare Nachteile, da sie in Innenstädte nicht mehr einfahren dürfen. Hinzu kommt: Allein durch die Möglichkeit der Verkehrsbeschränkungen haben die Diesel-Autos noch einmal an Wert verloren.

Millionen verteidigt

VW-Chef Matthias Müller hat sein Millionengehalt gegen Kritik verteidigt. Es gebe zwei Gründe für so eine hohe Vergütung, sagte er dem "Spiegel" - die Relevanz des Unternehmens für die Volkswirtschaft sowie das mit dem Posten verbundene Risiko. Als Chef "steht man immer mit einem Fuß im Gefängnis", sagte er. Er denke, dass die Vorstandsgehälter "angesichts dieser Verantwortung gerechtfertigt sind". Einem kürzlich veröffentlichten Geschäftsbericht zufolge bekommt Müller 2017 eine Vergütung von gut zehn Millionen Euro. Das ist ein Plus von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. (afp)

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