Amazon-Chef Jeff Bezos„Ich wollte wie Mr. Spock sein“

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Amazon-Chef Jeff Bezos

Amazon-Chef Jeff Bezos

Sein Lachen ist so laut, dass man mitunter zusammenzuckt, wenn es plötzlich aus ihm herausbricht. Und Jeff Bezos lacht oft. Der Gründer und Präsident des weltweit größten Online-Kaufhauses Amazon ist nach München gekommen, um für neue Produkte und Angebote zu werben. Bezos ist ein pragmatischer Visionär, der es glänzend versteht, sich und sein Unternehmen zu verkaufen. Er macht das stets auf die lässige Art - trägt aus Prinzip keine Krawatte und begegnet seinem Gegenüber immer freundlich.

Für Bill Gates ist der Mann, der das elektronische Lesegerät Kindle erfunden hat, eine Art moderner Johannes Gutenberg. Frühere Mitarbeiter von Amazon äußern sich dagegen weniger euphorisch über den knallharten Leistungs- und Erfolgsdruck in dem Unternehmen. So oder so - der 48-jährige Bezos ist für Amazon eine ähnlich starke Schlüsselfigur, wie es Steve Jobs für Apple war. Kurz nach dem Interviewtermin mit Bezos gab der Onlineversandhändler bekannt, dass er im vergangenen Quartal erstmals seit mehr als fünf Jahren in die roten Zahlen gerutscht ist und 274 Millionen Dollar Verlust gemacht hat.

Als Gründe dafür wurden unter anderem hohe Investitionskosten in die neuen Tablet-Computer genannt. Die erste Frage in dem Gespräch gilt einem weit entfernten Verwandten dieser Alleskönner. Jeff Bezos stutzt, als er den Apparat vor sich sieht: "Was haben Sie denn da für ein Gerät auf dem Tisch liegen?"

Das ist ein ziemlich antiquierter Walkman. Ich nehme ihn immer zur Sicherheit mit, falls das digitale Aufnahmegerät mal aussetzt.

JEFF BEZOS: Verstehe. Das Ding hat Ihnen vermutlich gute Dienste erwiesen. Und wissen Sie was, wir verkaufen auch so etwas heute noch auf Amazon.

Wo wir gerade von Vergangenem reden, zur Jahrtausendwende prophezeiten viele Kritiker, Ihr Internet-Konzern sei auch nur ein Teil der großen E-Commerce-Blase und würde irgendwann mit ihr platzen.

BEZOS: Ich erinnere mich gut an den Gegenwind.

Heute ist Amazon ein Weltkonzern, der online fast alles verkauft: Bücher, CDs, DVDs, Mode, Spielzeug, Werkzeug oder E-Reader. Seit neuestem gibt es auch einen Tablet-Computer aus eigener Herstellung in Deutschland - den Kindle-Fire, mit dem Sie Apple Konkurrenz machen. Rüsten Sie Ihr Warenhaus zu einem Technologiekonzern um?

BEZOS: Wir haben mit dem E-Reader Kindle vor acht Jahren damit angefangen, Hardware zu entwickeln und bauen das kontinuierlich aus. Inzwischen haben wir mit dem Paperwhite die fünfte Generation auf den Markt gebracht. Und mit dem Kindle Fire HD gehen wir diesen Weg auf dem Tablet-Markt weiter. Sie können darauf wetten, dass wir in Zukunft ständig neue Generationen solcher Geräte entwickeln werden, die eben viel mehr bieten als die elektronischen Lesegeräte.

Nachdem der Kindle-Fire in den USA im vergangenen Jahr erstmals auf den Markt kam, waren die Kritiken zunächst gemischt. Sie hätten den Mund sehr voll genommen für ein Produkt, das ganz ordentlich, aber nicht außergewöhnlich sei, mäkelte die "New York Times". Am Ende des Jahres musste sich deren Wirtschaftsteil dann Respekt abringen, weil sich das Gerät viel besser verkauft hatte, als erwartet wurde. Lesen Sie solche Beiträge?

BEZOS: Ich interpretiere solche Besprechungen sehr genau und vorsichtig. Dazu muss man wissen: Wir bauen keine Geräte für Technologie-Freaks. Wir bauen Geräte für Menschen, die gern Medien konsumieren und nutzen. Mit den Geräten selbst wollen wir kein Geld machen, wir geben sie zu Produktionspreisen ab und hoffen, dass wir dann mit dem Amazon-Angebot Geld verdienen, das mit diesen Geräten vernetzt ist. Also den Filmen, Büchern, Zeitungen, Spielen, Apps. In den USA halten wir mit den Verkäufen der Kindle-Fire-Tablets einen Marktanteil von 22 Prozent. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich lese Kritiken, aber ich lasse mich nicht vom Wind, den sie oft machen, hin und her wehen. Ich werfe nicht meine Überzeugungen über Bord. Manchmal ist es sogar wichtig, Kritiken komplett zu ignorieren. Ich würde sogar sagen: Das kommt ziemlich häufig vor.

Wenn Sie neue Geräte vorstellen, machen Sie nicht nur in den Wirtschaftsteilen Schlagzeilen. Die Feuilletons sehen nicht nur ein neues Produkt, sondern auch eine neue Art zu lesen oder gar zu leben, die damit verbunden ist. Das gelang bisher nur dem verstorbenen Apple-Chef Steve Jobs und Ihnen.

BEZOS: Zu behaupten, wir würden mit unseren Produkten den Lebensstil prägen, ist das Netteste, was man über uns sagen kann. Das ist auch unser Ziel. Das Kindle-Team beispielsweise ist stolz darauf, dass Leute, die einen E-Reader gekauft haben, heute mehr lesen als vorher - und zwar digitale wie gedruckte Bücher. Das ist eine gute Sache für die Welt. Wenn wir, egal in welchen Bereichen, Widerstände und Hürden abschaffen, kommen die Leute zu uns - einfach, weil es ihnen das Leben erleichtert. Wir haben bei uns im Unternehmen sogenannte Missionar-Teams. Sie fangen mit einer Mission an ...

Also zum Beispiel E-Reader zu entwickeln.

BEZOS: Genau. Und dieses Ziel motiviert sie dann. Wenn ich mir Mitarbeiter ansehe, versuche ich immer herauszufinden: Ist es ein Missionar oder ein Söldner?

Was meinen Sie damit?

BEZOS: Söldner fragen sich zuerst: Wie viel Geld werde ich verdienen? Bei den Missionaren steht die Leidenschaft für ein Produkt oder einen neuen Service im Vordergrund. Das Kuriose ist, dass die Missionare am Ende sowieso immer mehr Geld machen als die Söldner.

Und Sie sind der Guru, der über allem schwebt?

BEZOS: Ich mache mir über solche Charakterisierungen in den Medien keine großen Gedanken - auch wenn sie schmeichelhaft sein mögen. Das ist nichts, was mich beschäftigt oder umtreibt. Im Unternehmen denken wir darüber nach, wie wir Services und Produkte verbessern können. Und ich bin sehr dankbar, dass es die Menschen zur Kenntnis nehmen. Es wäre viel weniger erfüllend, wenn wir etwas erfunden hätten und niemand würde es kaufen. Dann hätten wir ein Problem. Aber unsere Produkte kommen an, weil sie nützlich sind. All unsere Innovationen wurden anfangs als radikal wahrgenommen. Heute sind sie normal. Wenn man die Überleitung von radikal zu alltäglich hinbekommt, hat man etwas Wichtiges erfunden. Für junge Menschen von heute ist E-Commerce ganz selbstverständlich. Du klickst mit der Maus, am nächsten Tag klingelt es an der Tür und jemand gibt dir ein Paket. Wenn die Leute eines Tages über den Kindle sagen: Was wollt ihr denn?! Das ist doch keine große Sache - wäre das für mich das schönste Kompliment.

Reden wir ein bisschen über die Dinge, die Ihnen Spaß machen. Sind Sie immer noch ein Star-Trek-Fan?

BEZOS: Bin ich. Als Kind wollte ich Mr. Spock sein.

Haben Sie vor ein paar Jahren den letzten Star-Trek-Kino-Film gesehen, in dem sich Kirk und Spock in jungen Jahren erstmals treffen?

BEZOS: Natürlich, was glauben Sie denn?

In einer Szene kann der gealterte Spock nach einem Zeitsprung sein jüngeres Ich treffen und ihm Ratschläge für sein weiteres Leben geben. Wenn nun der ältere Jeff Bezos auf den jungen träfe, was würde der ihm sagen?

BEZOS: Welchen Rat würde ich meinem jüngeren Ich geben? Wissen Sie, ich nehme es heute gerne in Kauf, dass ich missverstanden, falsch eingeschätzt werde - oft sogar über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Warum? Weil das eine Voraussetzung dafür ist, überhaupt erfindungsreich sein zu können. Wann immer du etwas Neues machst, das den traditionellen Verlauf der Dinge in Frage stellt und durchschüttelt, melden sich sofort die Kritiker. Wenn ich mich also wie Spock in der Zeit zurückbeamen und mit meinem jüngeren Selbst reden könnte, würde ich ihm sagen: "Wenn du Dinge auf neue Weise denkst, nimm es in Kauf, missverstanden zu werden. Lass dich nicht verrückt machen." Das wäre mein Ratschlag an mich selbst als junger Mann.

Das klingt so, als wären Sie 1994, als Sie Amazon gründeten, nicht entspannt gewesen.

BEZOS: Sagen wir so: Ich hätte so einen Rat damals sehr gut gebrauchen können. Damals haben mich Kritiken emotional sehr mitgenommen. Ich hatte Angst davor, missverstanden zu werden. Es kostet viel Kraft und Energie, wenn man meint, Widersacher ständig davon überzeugen zu müssen, dass man richtig liegt, ihnen immer wieder zu erklären, was man macht und warum man es macht. Heute weiß ich: Es ist okay, wenn alle an dir zweifeln.

Was treibt Sie an, permanent diese Herausforderung zu suchen?

BEZOS: Spaß. Erfinden macht Spaß. Ich beschreibe Ihnen mal meine Lieblingssituation: Wir stehen alle in einem Raum, vor uns eine Tafel mit weißem Papier. Dann fangen wir an zu brainstormen, und allmählich füllen immer mehr Ideen das weiße Blatt. Wir streiten, wir streichen, wir ergänzen die Liste - wir verfeinern unsere Ideen. Ich liebe diesen Prozess.

Dieser Prozess führte dazu, dass Sie mit der Einführung des E-Readers Amazons Kerngeschäft kannibalisierten - den Verkauf von gedruckten Büchern. Haben Sie die Konsequenzen Ihrer Erfindungen immer bis zum Ende im Blick, wenn Sie sie auf den Markt bringen?

BEZOS: Nein, wir wissen anfangs nicht exakt, wo es hinführt. Aber die Entwicklung gibt uns recht: Inzwischen verkaufen wir auch in Deutschland erstmals mehr digitale als gedruckte Bücher. Unser Job ist es, das beste Produkt, den besten Service anzubieten. Dann lassen wir die Kunden auswählen, wie sie lesen wollen und wo sie ihre Bücher kaufen.

Bei Amazon gibt es keine heiligen Kühe, nicht mal eigene einst erfolgreiche Geschäftsmodelle?

BEZOS: Unsere einzigen heiligen Kühe sind die drei großen Ideen, die Amazon ausmachen: 1. Konzentration auf den Kunden statt auf die Wettbewerber. 2. Der permanente Wille zum Erfinden. Viele Unternehmen scheuen das, weil man sich dabei oft in Sackgassen verrennt, Fehler macht oder scheitert. Scheitern ist wichtig. Dann steht man wieder auf und versucht es noch einmal. 3. Geduld. Unser Geschäft ist langfristig ausgelegt. Unseren Aktionären sagen wir: Wir stellen uns bei allem, was wir machen, an die Seite der Kunden - das zahlt sich letztlich auch für euch aus.

In Zeiten der Finanzkrise trauen sich viele Unternehmen nicht, langfristige Perspektiven zu formulieren. Sie schauen stattdessen gebannt auf die Zahlen des nächsten Quartals.

BEZOS: Manchmal habe ich den Eindruck, als würden wir in vielen Bereichen die Saatkörner essen, bevor sie aufgehen. Kurzfristig ausgerichtete Businesspläne mögen für eine Weile funktionieren, aber irgendwann geht dir die Puste aus, wenn du nicht weiter voraus planst. Nun ist es bei uns auch nicht so, dass wir jetzt die nächsten 100 Jahre vorhersehen könnten. Aber wir haben die nächsten fünf, sechs, sieben Jahre im Blick und kalkulieren entsprechend. Ich bin nicht so vermessen zu sagen, unser Ansatz sei der richtige. Ich sage nur: So machen wir es!

Lesen Sie noch gedruckte Bücher?

BEZOS: Kaum noch. Biografien oder Belletristik lese ich nur noch als E-Book. Ich bin fast komplett auf den Kindle umgestiegen, das Lesen ist dort einfach viel bequemer. Er ist leichter zu halten als ein Buch. Die einzige Ausnahme sind Kochbücher, die lese ich noch in der gedruckten Form.

Warum das denn?

BEZOS: Ich weiß nicht, ob die gedruckten Kochbücher besser sind, oder ob ich sie nur deshalb noch in der Küche benutze, weil ich dort meine bisherigen Gewohnheiten noch nicht abgelegt habe. Fest steht: Ich benutze immer noch den Klassiker "The Joy Of Cooking", der steht als Buch in meiner Küche und ist von vielen Kocheinsätzen gegerbt.

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