Arbeitsmarktforscher warnt„Dauerhafte Schäden für Jobsuchende der Generation Corona“

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Agentur für Arbeit Symbolbild

Die Lage auf dem Markt hat sich in kürzester Zeit stark verschlechtert.

  • Enzo Weber forscht am Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung. Im Interview warnt er davor, dass sich Arbeitslosigkeit verfestigen könnte.
  • Weber sagt, dass jene, die aktuell arbeitslos sind, in größerer Gefahr sind, dauerhafte Einbußen in ihrer Karriere hinnehmen zu müssen.
  • Der Professor hat aber auch einen Vorschlag, wie negative Effekte verhindert werden können und sagt: „Es gibt auch Grund für Optimismus“.

Köln – Die Corona-Pandemie hat der Weltwirtschaft die größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschert. Viele Millionen Menschen haben in den vergangenen Monaten weltweit ihren Job verloren. Allein in den USA verdreifachte sich die Zahl der Jobsuchenden – im Juni waren mehr als 20 Millionen Menschen ohne Arbeit. In Deutschland gab es im vergangenen Monat 2,85 Millionen Arbeitslose. Gegenüber Juni 2019 entspricht das einer Steigerung von fast 30 Prozent. Was bedeutet das für Berufseinsteiger und Lohnniveaus? Und was kann der Staat tun, um die Erholung des Arbeitsmarktes zu beschleunigen? Enzo Weber, der am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung den Jobmarkt analysiert, gibt Antworten.

Vor der Krise konnten sich die meisten Fachkräfte ihren Traumjob aussuchen, so gut war die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Wie sieht es heute aus?

Das stellt sich zumindest kurzfristig grundsätzlich anders dar: Die Zahl der Neueinstellungen ist in der Krise total eingebrochen, die Unternehmen suchen deutlich weniger intensiv. Innerhalb kürzester Zeit hat sich sehr viel zum Schlechten gewandelt. Im April und Mai war die Krise am schwersten, aber so schlimm wird es nicht weitergehen. Es besteht jedoch das Risiko, dass die Generation, die das Pech hat, in der Krise in den Arbeitsmarkt zu rutschen, dauerhafte Schäden davonträgt. Die Forschung kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitslosenquoten dieser Personengruppen nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig höher sind als bei denen, die vor der Krise einen Arbeitsplatz gefunden haben.

Zur Person

Enzo Weber leitet am Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung (IAB) den Forschungsbereich „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“. Zu seinen Themen gehören unter anderem Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarktreformen,  Demografie und Rente sowie technologischer Wandel und Digitalisierung. Weber ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung der Universität Regensburg.

Wie ist das zu erklären?

Wie Sie gesagt haben, konnten sich viele Bewerber vor der Krise den Job aussuchen. Sie haben bessere Bedingungen angetroffen und die berufliche Entwicklung gestartet, die sie auch angestrebt haben. Findet aktuell nun jemand gar keine Stelle oder muss das nehmen, was er kriegen kann, aber vielleicht nicht das Richtige für ihn ist, hat das auch Auswirkungen auf die Karriere.

Hinzu kommt später womöglich das Stigma, arbeitslos gewesen zu sein. Dauert diese Phase zu lange an, kann auch eine Demotivation auftreten. Diese Faktoren machen einen großen Unterschied, was die spätere Arbeitslosenquote betrifft. Das zeigen Forschungsergebnisse aus vielen Ländern.

Kommt diese Entwicklung zwangsweise?

Dass kurzfristig die Arbeitslosigkeit hoch geht, ist nicht vermeidbar. Wir müssen aber unbedingt dafür sorgen, dass wir die langfristigen Schäden verhindern. Wir schauen aktuell eher darauf, bestehende Jobs zu retten, aber viele Menschen haben überhaupt keine Arbeit, die gerettet werden könnte. Wenn wir zu lange brauchen, um den Arbeitsmarkt aus der Krise zu holen, wird sich deren Arbeitslosigkeit verfestigen. 

Wie kann der Staat dafür Sorgen, dass sich Arbeitslosigkeit nicht verfestigt?

Er müsste deutlich mehr machen, um neue Jobs zu fördern, zum Beispiel könnte er Zuschüsse zahlen. Mir schwebt ein Rettungsschirm für Neueinstellungen vor: Der Bund bezahlt vorübergehend die Sozialbeitrag bei neuen Jobs. Das würde die Schaffung neuer Arbeitsplätze für Arbeitgeber finanziell erheblich attraktiver machen.

Sollte das für jeden Job gelten oder nur für solche in zukunftsträchtigen Branchen?

Nur IT-Fachkräfte zu fördern, deren Branche sowieso gut durch die Krise gekommen ist, Kellner aber nicht, wäre absurd. Zuschüsse muss es also in der Breite geben. In der Tat muss jetzt aber auch darauf geachtet werden, auf Zukunftsjobs zu setzen. Arbeitslosigkeit verfestigt sich auch deshalb, weil der strukturelle und technologische Wandel während der Arbeitslosigkeit voranschreitet: Vorhandene Qualifikationen und Arbeitserfahrungen veralten dabei zunehmend. Menschen kommen dadurch weniger qualifiziert aus einer Krise als sie in diese geraten sind. Der Weg aus der Arbeitslosigkeit wird dadurch immer schwerer. Daher muss diese Zeit jetzt auch genutzt werden, stärker in die Qualifizierung von Arbeitslosen zu investieren. Wir müssen jetzt, noch in der Krise, das Ruder rumreißen.

Was bedeutet die Krise für das Lohnniveau?

Bei Bestandslöhnen gibt es sicher Reaktionen – die nächsten Tarifabschlüssen dürften deutlich schlechter ausfallen als in den vergangenen Jahren. Insbesondere neue Löhne sind aber besonders konjunkturabhängig. Schließlich gibt es keinen angestammten Anspruch, den man mal auf dem Lohnzettel hat. Es ist daher davon auszugehen, dass Einstiegslöhne einen Dämpfer erhalten.

Besteht auch hier die Gefahr, dass sich niedrige Löhne verfestigen?

Wie bei der Arbeitslosenquote dürfte es für die Generation Corona auch beim Gehaltsniveau dauerhafte negative Effekte geben. Im Durchschnitt werden diejenigen, die vor der Krise einen Job bekommen haben, auf einem höheren Lohnpfad bleiben. Aber es gibt auch Grund für Optimismus: Der demografische Wandel sorgt dafür, dass sich die Lohnentwicklung gesamtwirtschaftlich ausgleichen wird.

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In diesem Jahrzehnt wird die Zahl der Arbeitskräfte deutlich sinken. Fachkräfte waren knapp und werden wieder knapp sein. Das wird dafür sorgen, dass die betroffene Generation keinen dauerhaften Schaden nimmt. Auch wenn sie aktuell besonders leiden. Wenn sechs bis acht Prozent weniger erwirtschaftet wird, muss sich das aber auch bei einer Gruppe von Arbeitnehmern im Lohneinkommen niederschlagen.

Auch die Zahl der Befristungen dürfte bei ihnen steigen oder?

Je größer die Unsicherheit ist, desto höher ist auch der Befristungsbedarf. In den vergangenen Jahren hat sich das Befristungsniveau nicht erhöht, jetzt steigt aber die Unsicherheit. Einen dauerhaften Effekt dürfte es hier aber nicht geben.

Aktuell ist die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Das gilt aber nur bis zum 30. September. Wenn es anschließend zu einer großen Pleitewelle kommt, dürfte es viele weitere Arbeitslose geben...

Man muss kein Hellseher sein, um zu erahnen, dass die Zahl der Insolvenzen steigen wird. So lange wir die staatlichen Stützungsprogramme aber so gut ausgeformt beibehalten, glaube ich nicht, dass die ganz große Arbeitslosenwelle durch die deutsche Wirtschaft läuft. Anders sähe es nur aus, wenn wir eine zweite große Infektionswelle bekämen, mit einem zweiten Lockdown im Herbst. Dann wird es haarig. Es gibt Risiken, aber ich gehe davon aus, dass der Arbeitsmarkt mit einem schmerzhaften Dämpfer davon kommt und nicht ins Bodenlose stürzt.

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