ArbeitsverträgeDer Staat ist kein Vorbild

Lesezeit 4 Minuten
  • Vor allem Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sind von sachgrundloser Befristung betroffen

Berlin –  Es gibt zwei Möglichkeiten, wenn man gegen Windmühlen kämpft: Abstumpfen, aufgeben. Oder wütend werden, weitermachen. Andreas Liste geht den zweiten Weg. Seine Stimme am Telefon wird laut und bestimmt, er benutzt Worte wie "Wahnsinn" und "absolut unverständlich", wenn er erzählt, wogegen er seit Jahren stark kämpft: sachgrundlose Befristungen im Öffentlichen Dienst.

Liste ist Personalrats-Vorsitzender des Jobcenters in Halle. Bezahlt werden die Angestellten dort vom Staat, genauer: vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das die Mittel an die Arbeitsagentur und die Stadt Halle vergibt. Gut zehn Prozent der Angestellten in Listes Jobcenter arbeiten mit Zeitverträgen - ein erheblicher Teil davon sachgrundlos, also ohne konkreten Grund, wie etwa eine Elternzeit- oder Krankheitsvertretung. Wie viele genau, kann Liste nicht sagen. Denn die Befristungen, ob ohne oder mit Grund, werden nur gemeinsam erfasst. Die fehlenden Daten sind ein zentrales Problem in der Diskussion. So wird das Thema schwammig, schwer greifbar. In den Koalitionsgesprächen will sich die SPD um das Thema kümmern. Sie will die sachgrundlose Befristung verbieten, die Union hält sie weiterhin für notwendig. Die Auseinandersetzungen zwischen den Parteien seien hier am schwierigsten, sagte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Kein Wunder - muss der Staat doch erst mal vor der eigenen Haustür kehren.

Viele denken bei Befristungen an den privaten Sektor. Tatsächlich wird auch dort fleißig von der Regelung Gebrauch gemacht, die Befristungen ohne Grund bis zu zwei Jahre erlaubt: Vor allem die Verträge von Berufseinsteigern und jungen Bewerbern werden inzwischen beinahe automatisch zeitlich begrenzt, um die Neuen zu erproben, ganz ohne Risiko für die Unternehmen. Start-ups profitieren zusätzlich von einer Sonderregelung für Neugründungen: Hier darf sogar bis zu vier Jahre lang befristet werden. Unter den 15- bis 24-Jährigen ist die Zahl der Betroffenen laut einer Studie von 2014 mit 21,1 Prozent deswegen am höchsten.

Doch einer der Haupttäter bei der sachgrundlosen Befristung generell, speziell auch bei jungen Arbeitnehmern, ist seit Jahren der Staat selbst. Zwar ist die Anzahl von Befristungen im Öffentlichen Dienst leicht gesunken - auf 7,1 Prozent im Jahr 2014. Doch der Anteil von Befristungen ohne Grund hat sich im öffentlichen Sektor zwischen 2004 und 2013 verdoppelt - von 17,5 auf 35,7 Prozent. Dies hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausgefunden.

Das trifft nicht nur die Angestellten, die in Unsicherheit schweben, denen Stabilität und Planbarkeit entzogen werden. Sondern auch den Steuerzahler. Denn die Befristung hat absurde Folgen - sie führt zum Beispiel dazu, was Liste den "Drehtür-Effekt" nennt: Jede neueingestellte Kraft in deutschen Jobcentern braucht rund ein Jahr, um in die komplexe Rechtslage eingearbeitet zu werden. Nach zwei Jahren laufen die Verträge aus, nach Listes Erfahrung werden kaum Festanstellungen angeboten. Fast alle frisch befähigten Mitarbeiter gehen also. Das Arbeitsaufkommen aber steige seit Jahren, die Stelle muss also neu besetzt werden: Neuausschreibung, Neueinstellung, erneute intensive Einarbeitung über ein Jahr, dann wiederum der Verlust der fähigen Arbeitskraft nach zwei Jahren - ein sinnfreier Teufelskreis. Deswegen sagt Liste fest: "Jede sachgrundlose Befristung ist eine zu viel."

Jobcenter sind nur ein Beispiel. Angestellte in Mensen, Büro- und Verwaltungsfachkräfte in Behörden, Kita-Erzieherinnen und angestellte Lehrer, Rettungsassistenten und Ärzte an Uni-Kliniken: Auch ihre Verträge werden häufig sachgrundlos befristet.

Oft liege eigentlich ein konkreter Grund für die Befristung vor, sagt Henriette Schwarz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Doch der Arbeitgeber mache es sich einfach: Wenn man als Grund "Elternzeit" angebe, dann dürfe der Bewerber nur genau die Aufgaben der Person übernehmen, die er vertritt. "Ohne Sachgrund aber ist das konkrete Einsatzgebiet des Eingestellten viel weiter gefasst." Als Gründe für die fragwürdige Personalpolitik werden von Staatsseite aus genannt: größere Flexibilität und nur zeitlich begrenzt einsetzbare Haushaltsmittel. Für Schwarz unverständlich: "So ein Mittel zu wählen, in so einem großen Ausmaß, das ist überhaupt nicht nachvollziehbar." Vor allem, da es oft um Stellen gehe, die Daueraufgaben sind und - unabhängig von der Haushaltslage - wieder besetzt werden müssten.

Der DGB fordert deswegen, wie auch die Lehrergewerkschaft GEW, eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und eine "vorausschauende, aufgabengerechte Personalplanung". Für Jobcenter-Personalratschef Andreas Liste ist außerdem wichtig: "Der Staat sollte dringend seine Vorbildfunktion erfüllen. Der Öffentliche Dienst hat soziale Verantwortung zu tragen."

Dass sich jetzt ausgerechnet die SPD des Themas annimmt, amüsiert ihn beinahe: Immer wieder habe die SPD gegen Vorstöße der Linken und Grünen gestimmt, die seit langem ein Ende der sachgrundlosen Befristung fordern. "Aber immerhin", sagt Liste. Skeptisch blickt er auf den Widerstand der Unionsparteien, trotzdem hat er Hoffnung auf Besserung: "Je eher, desto besser."

Kaum ist er eingearbeitet, da verabschiedet sich der neue Kollege schon wieder. Illustration: Thinkstock/Getty

KStA abonnieren