AusbildungsreportUnbezahlte Überstunden und schlechte Bezahlung schrecken Azubis ab

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Azubis gesucht

Viele Betriebe haben Schwierigkeiten ihre Ausbildungsplätze zu besetzen.

Früh übt sich, wer ein Meister werden will; Lehrjahre sind keine Herrenjahre; nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.  Der deutsche Kulturraum hält eine Fülle mahnender Sprichworte bereit, die der Motivation des Nachwuchses sowie dessen Vorbereitung auf den „Ernst des Lebens“ gewidmet sind. Mancher Ausbildungsbetrieb scheint den Gehalt der volkstümlichen Ratschläge allerdings weniger im Sinne der Berufsanfänger zu begreifen, als vielmehr zum eigenen Nutzen. Dem aktuellen DGB-Ausbildungsreport zufolge müssen 36,3 Prozent der Auszubildenden im Schnitt gut vier  Überstunden pro Woche leisten. Von 54,4 Prozent der Azubis wird eine Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeiten erwartet. Ein Viertel leistet regelmäßig Schichtdienste, weitere acht Prozent tun dies gelegentlich. Jeder achte Befragte muss häufig oder immer ausbildungsferne Hilfstätigkeiten ausüben, jeder neunte bekommt den Ausbilder selten oder nie zu Gesicht.

Gesetzliche Schutzvorschriften werden in vielen Fällen missachtet

So ist das frühe Üben fürs Leben – jedenfalls aus Sicht des DGB – nun gerade nicht zu verstehen, zumal gesetzliche Schutzvorschriften in vielen Fällen offenkundig missachtet werden. So erhalten fast zwölf Prozent der Auszubildenden mit regelmäßigen Überstunden hierfür weder Geld noch einen Freizeitausgleich. Auch die mobile Erreichbarkeit am Feierabend in 60 Prozent der Fälle nicht ausgeglichen. Bei einem knappen Drittel der 15.000 befragten Azubis aus den 25 beliebtesten Lehrberufen werden die gesetzlichen Ruhezeiten missachtet. Und nur gut einem Viertel der Azubis gewährten die Arbeitgeber zusätzliche freie Tage zur Vorbereitung auf Zwischen- und Abschlussprüfungen. Fazit: Bereits ein Großteil der jungen Menschen ist erheblichem Flexibilisierungsdruck ausgesetzt.

Dies ist nicht allein unschön für die Azubis, sondern wirkt sich auch ungünstige Wirkungen auf den Lehrstellenmarkt und damit auf das Fachkräfteangebot. So hätten Branchen mit auffallend ungünstigen Arbeitsbedingungen erkennbar Schwierigkeiten, Lehrstellen zu besetzen, sagte DGB-Vorstandsmitglied Elke Hannack während der Vorstellung des Ausbildungsreports am Montag. Gestützt wird diese These vom jüngsten Datenreport des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Danach konnten 2017 mehr als ein Drittel der Lehrstellen im Gastgewerbe, im Metzgerhandwerk und im Fachverkauf des Lebensmitteleinzelhandels nicht besetzt werden. Bei Gebäudereinigern, Gerüst-, Beton- und Stahlbauern, Hörgeräteakustikern und Stuckateuren bleiben rund ein Viertel der Ausbildungsplätze frei.

Hinzu kommt, dass viele Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst werden. Die höchsten Abbruch-Quoten von um die 50 Prozent weisen unter anderem erneut Gastronomie, Gebäudereiniger,  Lebensmittelfachverkäufer  und Gerüstbauer auf. Neben Arbeitszeiten und allgemeinen Arbeitsbedingungen spielt die Höhe der Vergütung eine Rolle. Für Fachverkäufer-Azubis im Lebensmittelhandel liegt die Vergütung im ersten Lehrjahr laut BIBB  bei 528 Euro monatlich im Westen und 473 Euro im Osten, im Friseurhandwerk sind es bundeinheitlich 406 Euro im ersten Lehrjahr, angehende Gerüstbauer erhalten 650 Euro. Damit liegen diese Ausbildungsgänge durchweg  unterhalb der durchschnittlich im ersten Lehrjahr gezahlten 670 Euro. „Die alte Leier der Arbeitgeber über fehlenden Nachwuchs kommt vor allem aus solchen Branchen, die für miserable Ausbildungsbedingungen und schlechte Vergütung bekannt sind“, kommentiert Hannack.

„Zwei Drittel der Ausbildungsplatzangebote sind so gestaltet, dass sich Hauptschüler nicht  bewerben können“

Von einem allgemeinen Mangel an geeignetem Ausbildungsinteressenten könne nicht die Rede sein, im Gegenteil: 45.000 unbesetzten Lehrstellen hätten 2017 rund 80.000 Bewerbern gegenüber gestanden, die keine Ausbildungsplatz finden konnten. Hinzu rechnet Hannack 290.000 junge Leute, „die in Übergangsmaßnahmen feststecken“.  Der Behauptung der Arbeitgeber, viele Schulabgänger seien aufgrund gravierender Wissenslücken nicht ausbildungsreif, widerspricht die Gewerkschafterin entschieden: „Das ist schlicht und einfach nicht wahr.“ Von fast 806.000 ausbildungsinteressierten Jugendlichen, die nach den Kriterien der Bundesagentur für Arbeit ausbildungsreif waren, hätten nicht einmal zwei Drittel einen Ausbildungsvertrag abschließen können. An besagten BA-Kriterien hätten die Arbeitgeber entscheidend mitgewirkt und würden von diesen mitgetragen.

Neben regionalen Missverhältnissen zwischen Lehrstellen-Angebot und Nachfrage macht Hannack vor allem das Festhalten vieler Arbeitgeber an der „Bestenauslese“ für die vielen unversorgten Bewerber auf der einen und unbesetzten Ausbildungsplätze auf der anderen Seite verantwortlich. „Die Industrie- und Handelskammern gestalten zwei Drittel ihrer Ausbildungsplatzangebote so, dass sich Hauptschüler nicht  bewerben können. Das ist absurd.“ Kammern und Betriebe müssten „auf den Boden der Tatsachen zurückkehren“.

Verbindliche Mindestvergütung gefordert

Mit Appellen an die Arbeitgeber ist es aus Sicht des DGB aber nicht getan, zumal nicht einmal mehr ein Fünftel aller Betriebe überhaupt ausbilden. Hannack fordert branchenspezifische Ausbildungsfonds, in die nicht ausbildende Unternehmen einzahlen, während Ausbildungsbetriebe einen Teil ihrer Kosten erstattet bekommen sollen. Weitere zentrale Forderung des DGB ist eine verbindliche, bundeseinheitliche Mindestvergütung in Höhe von 80 Prozent des durchschnittlichen Lehrgehalts. 2017 hätten eine solche Mindestvergütung demnach im ersten Lehrjahr bei 635 Euro gelegen, im zweiten bei 6956 Euro, im dritten bei 768 und im vierten Ausbildungsjahr bei 796 Euro.

Zusätzlich seien Überstunden grundsätzlich zu bezahlen oder in Freizeit auszugleichen. Berufsschulstunden und -Tage müssten zu 100 Prozent als Arbeitszeit anerkannt werden. Auch habe der Ausbildungsbetrieb für sämtliche Lernmittel wie etwa Lehrbücher aufzukommen. Vor Zwischen- und Abschlussprüfungen sind nach Ansicht der DGB-Jugend, die den Ausbildungsreport zum 13. Mal erstellt hat,  zusätzliche bezahlte Sonderurlaubstage notwendig. Nicht zuletzt müsse die Politik für eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung der Berufsschulen sorgen. Damit man fürs Leben was lernen kann.

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