Baulücken, umgewandelte FlächenWo in Köln neuer Wohnraum entstehen könnte

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Baulücke Berrenrather

Die Baulücke über dem Restaurant an der Berrenrather Straße in Sülz soll bald geschlossen werden.

Köln – So ganz ohne Einschränkungen kann Wolfgang Zeh das Leben in einem Haus wie dem seinen nicht empfehlen. Obwohl er für Entwurf und Umsetzung der „Baulücke“, wie es heute vielfach nur noch genannt wird, mit Preisen überhäuft wurde. In eine Ritze zwischen zwei Häusern in der Hüttenstraße in Ehrenfeld hat der Kölner Architekt ein Wohnhaus gequetscht. Zehn mal dreieinhalb Meter misst die Grundfläche, ursprünglich stand darauf eine Garage. Heute blickt man auf eine moderne Fassade mit viel Glas. Dahinter lebt Zeh mit Frau, Baby und Kindergartenkind in einer hochkant gekippten Dreizimmer-Wohnung auf 80 Quadratmetern Wohnfläche.

Viele, viele Treppen

Der Alltag der Familie spielt sich auf sechs Etagen ab, drei Geschosse, drei Emporen und viele, viele Treppen. „Das funktioniert tadellos, wir haben kurze Wege“, sagt Zeh: „Nur die Bewegungsrichtung ist eine andere.“ Hoch und runter eben, andauernd: „Mit der Familie ist das relativ anstrengend, man trägt die Kinder sehr viel.“ Als er und seine Frau das Grundstück in Ehrenfeld vor zehn Jahren günstig kaufen konnten, hatten sie noch keine Kinder.

Sie waren fasziniert von der Idee, in städtischer Bestlage ein bezahlbares Eigenheim schaffen und architektonisches Neuland betreten zu können. Das ist ihnen gelungen. „Aber das Haus ist kein Prototyp für irgendwas“, sagt Zeh. So zu leben, müsse man wollen. Man müsse bereit sein für Kompromisse: „Aber ganz Köln ist ein einziger Kompromiss des Wohnens“, urteilt der Architekt. Was er nicht schlimm findet. Im Gegenteil: „Das ist gut so, das fördert viele unterschiedliche Wohnformen.“

Wer in Köln wohnen will, hat es zurzeit allerdings schwer. Vor allem im unteren und mittleren Preissegment ist der Markt extrem umkämpft. Und Flächen, auf denen in Köln noch gebaut werden könnte, sind begehrt. Es geht um viel Geld, um Lebensträume, um die Idee einer modernen Großstadt der Zukunft und um ökologische Notwendigkeiten für den Schutz des Klimas – in der Stadt und auf unserem Planeten. Da prallen vielfältige Interessen aufeinander. Allein bei der Debatte um den angenommenen Bedarf für die nächsten Jahrzehnte geht es hoch her, die Zahlen variieren je nach Gutachten und Lesart zwischen rund 2000 und 6000 Wohnungen pro Jahr.

„Der Druck ist groß“

Da kann es schon mal ordentlich krachen zwischen Bauindustrie, Stadtplanern, Politikern der verschiedenen Parteien, Umweltschützern, Wohnraumsuchenden und Anwohnern sowie sozialen Wohnraum Vermittelnden. „Der Druck ist groß“, sagt Sabine Pakulat von den Grünen, die nach der Kommunalwahl 2020 den Vorsitz im Stadtentwicklungsausschuss übernahm: Ob nun 2000 oder 6000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden würden, los bekäme man sie alle im Handumdrehen.

Es gibt Mammut-Projekte, die der Stadt im nächsten Jahrzehnt eine große Anzahl neuer Wohnungen bringen werden: Am Deutzer Hafen, im Mülheimer Süden, in der Parkstadt Süd zwischen Luxemburger Straße und Rheinufer und in Kreuzfeld in Chorweiler. „Kaum eine deutsche Großstadt hat so viele Großgebiete in Arbeit“, sagt Pakulat.

Kathrin Möller, Mitglied des Vorstands des Kölner Wohnungsunternehmens GAG, pflichtet ihr bei. Mengenmäßig sei Köln in Sachen Wohnungsneubau ganz gut aufgestellt. „Aber es dauert, es geht viel zu schwerfällig voran“, sagt sie. Der Bedarf sei heute da. Erste Wohnungen würden aber wohl erst in sechs, sieben Jahren am Deutzer Hafen fertig werden.

Beschleunigung der Prozesse

Die Mühlen der Verwaltung mahlen zu langsam. Das ist ein ewiger Kritikpunkt derjenigen, die vermieten und bauen wollen. „Es wurden zwar eine Reihe von Vereinfachungen auf den Weg gebracht, aber das greift alles nicht tief genug und nicht schnell genug“, sagt Möller. „Als Wohnungswirtschaft fordern wir schon lange nicht nur von der Stadt, sondern auch vom Land und vom Bund eine Beschleunigung der Prozesse.“

Ähnlich klingt es bei der Wohnungsbau Initiative Köln (WIK), die mehr große Bauvorhaben fordert, um „der aufgestauten Nachfrage beizukommen“. Die WIK ist ein Zusammenschluss von 31 Bauträgern, Projektentwicklern und bauträgernahen Dienstleistern, ihr natürliches Ziel ist bauen, bauen, bauen. „Die Genehmigungsabteilungen der Stadt Köln leiden seit Jahren unter Personalmangel“, sagt Jens Bruckner von der WIK.

Doch selbst wenn Stadt und Land den Baugenehmigungs-Turbo einschalten würden, bliebe ein grundsätzliches Problem: der Mangel an Flächen in Köln. Diese sind nun einmal endlich, die Grenzen der Stadt klar umrissen.

Stadt muss sich verändern

Es dränge sich zunehmend die Frage auf: „Wie geht man mit den noch vorhandenen Flächen um, welche Wertschätzung bringt man ihnen entgegen?“, betont Peter Köddermann, Programmleiter bei Baukultur NRW, einer Landesinitiative, die sich auf verschiedenen Ebenen mit der Baukultur in Nordrhein-Westfalen befasst: „Die Frage wird sein, mit welcher Vision man die Stadt entwickeln will. Ob man versucht, Bedingungen zu erhalten, weil sie prägend sind für das Stadtbild. Oder ob man versucht, sich darauf einzulassen, dass sich Stadt verändern muss in den nächsten Jahren.“

Veränderung. Ohne wird es nicht gehen, so viel scheint sicher. Der Architekt Wolfgang Zeh und seine Frau verändern die Vorstellung, wie eine Familienwohnung in der Stadt aussehen muss. Private Baugruppen zeigen immer öfter, dass sich mit weniger individuellem Wohnraum auskommen lässt, wenn die Gemeinschaftsflächen klug geplant werden.

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Peter Köddermann ist zudem überzeugt, dass sich die Rolle des Handels in den Zentren unserer Großstädte drastisch verändern wird, dass die Flächen, die der Handel in den letzten 120 Jahren erobert hat, durch eine Änderung unseres Konsumverhaltens schon bald anders genutzt werden können. Kathrin Möller von der GAG schweben „intelligente, gestapelte Lösungen“ für modernes Wohnen vor und mehr Ideen für „eine bespielbare Stadt“.

Vorbilder in Asien und Holland

Grünen-Politikerin Sabine Pakulat sagt: „Wir sind in Deutschland noch sehr konservativ unterwegs, alles soll so aussehen und so gebaut werden, wie das schon immer gewesen ist. Da müssen wir vielleicht mal ein bisschen umdenken.“ Wie das in dicht besiedelten asiatischen Metropolen bereits getan wird, oder in Holland, wo Einfamilienhäuser auch mal übereinandergestapelt werden. Oder eben in Köln, wo ein Architekt mit seiner Familie in einer superschmalen Baulücke wohnt.

Er habe einige Interessenten, die auch gern ein Baulücken-Haus hätten, sagt Zeh. Aber die Lücken sind Mangelware. Keine einzige weitere konnte er bislang bebauen. „Ich sehe ganz viele Lücken in Köln“, sagt er. „Aber man kommt da einfach nicht dran.“ Die Stadt Köln betreibt zwar seit den 1990er Jahren das so genannte „Baulückenprogramm“, konnte aber noch längst nicht alle Eigentümer davon überzeugen, Lücken und mindergenutzte Grundstücke mit einer Ausnutzung von weniger als 50 Prozent des planungsrechtlich zulässigen Maßes zu bebauen oder an die Stadt zu verkaufen. Aktuell werde das Programm überarbeitet und weiterentwickelt, man gehe von etwa 2200 weiterhin bestehenden Baulücken in Köln aus, heißt es vonseiten der Stadt. „Man kann da immer mal wieder nachhaken. Aber nicht jede Grundstücksbesitzerin und jeder Grundstücksbesitzer ist willens und in der Lage zu bauen. Es ist ja nicht jeder eine Unternehmerin oder ein Unternehmer“, sagt Sabine Pakulat.

Hoffnung auf Konversionsflächen

Größere Hoffnungen setzen alle Beteiligten in die so genannten Konversionsflächen in Köln, gewerblich genutzte Areale, die in Wohnquartiere umgewandelt werden können. Etwa wie das Gelände der ehemaligen Sidolwerke zwischen Eupener und Herbesthaler Straße in Lindenthal. Am Max-Becker-Areal in Ehrenfeld wird noch geplant. Und beim Otto-Langen-Quartier mit dem denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen Hauptverwaltung von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) und den dahinter liegenden alten Fabrikhallen würde die Stadt gern loslegen, stößt aber noch auf Widerstände der Eigentümer: ein privater Investor und das Land NRW.

Eine weitere Möglichkeit wäre, in die Höhe zu bauen. Aber Hochhäuser sind ein heikles Thema in Köln. Wegen des Doms als Weltkulturerbe, weil sie immer irgendjemandem den Blick auf das Wahrzeichen der Stadt verstellen würden. Und überhaupt. „Wenn auch nur angedacht ist, dass man das mal prüfen könnte, wie wir es jetzt am Hohenzollernring tun, dann bekommt man schon Protestmails ohne Ende“, sagt Pakulat: „Es gibt nichts, was die Gemüter so aufbringt wie der Bau eines Hochhauses.“

Hochhäuser schwierig

Kathrin Möller von der GAG befürwortet mal ein einzelnes Hochhaus als „Landmark mit architektonischer, städtebaulicher Funktion“. Von Wohnhochhäusern dagegen ist sie nicht begeistert: „Je weniger Miete ich zahlen kann, desto schlechter ist ein Hochhaus geeignet, da es in der Erstellung relativ teuer ist.“ Und sozialer Wohnungsbau nach dem Kooperativen Baulandmodell (bei mehr als 20 Wohneinheiten müssen 30 Prozent der Wohnungen im öffentlich geförderten Segment errichtet werden) ist auch schwierig in einem Hochhaus. Es lässt sich schwer erklären, warum im selben Haus ein Teil der Wohnungen deutlich billiger ist als der Rest.

Einig sind sich wiederum alle darin, dass sich etwas tut am Markt. Dass neue Ideen hermüssen, damit das Leben in einer Stadt wie Köln für viele attraktiv bleibt und bezahlbar. Peter Köddermann von Baukultur NRW formuliert das so: „Im Moment zeichnet die Entwicklung aus, dass sehr grundsätzlich darüber nachgedacht wird, wo Städte künftig stehen sollen. Das ist sehr spannend, das bedeutet doch, das ganz viel neugestaltet werden kann.“

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