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Chaos-Sommer bei Airlines und Bahn3082 Reisende hoffen auf eine Entschädigung

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An Flughäfen kam es in diesem Sommer häufig zu Chaos.

Frankfurt – Bei der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) in Berlin häufen sich die Beschwerden von verärgerten Passagieren, deren Flüge ausgefallen oder verspätet waren. Zwischen dem 1. Juli und dem 15. August gingen insgesamt 3082 Beschwerden ein, 82 Prozent bezogen sich auf Flugreisen und nur 15 Prozent auf die Bahn. Das ist eine Steigerung von 227 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres.

„In den letzten Wochen haben uns zunehmend mehr Schlichtungsanträge erreicht und wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt“, sagt Geschäftsführerin Sabine Cofalla. „Denn Reisende können sich erst an die SÖP wenden, wenn sie mit ihrer Beschwerde bei einem Verkehrsunternehmen keinen Erfolg hatten – sei es, dass eine Antwort zu lange ausbleibt oder keine überzeugende Lösung gefunden werden konnte. Daher erreichen uns nun zunehmend Anträge, die auf unerfreuliche Reiseerlebnisse in der Urlaubszeit zurückgehen.“

Erfolgsquote liegt bei 80 Prozent

Die Schlichtungsstelle besteht seit 2009. Das 20-köpfige Juristenteam arbeitet unabhängig, ist von der Bundesregierung anerkannt und von der EU zertifiziert. Den Beschwerdeführern entstehen keine Kosten, Entschädigungsleistungen werden zu 100 Prozent erstattet. Die Erfolgsquote liege bei 80 Prozent.„Als eine der größten Schlichtungsstellen Europas helfen wir Reisenden gern weiter“, sagt Cofalla. „Die Fallprüfung erfolgt durch spezialisierte Juristinnen und Juristen und führt in mehr als  80 Prozent der Fälle zu einer einvernehmlichen Lösung. Zudem ist eine Schlichtung über die SÖP für die Reisenden in jeder Hinsicht kostenfrei“, sagt Cofalla.

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Vor allem bei Flugausfällen, die gerade in diesem Sommer vielen Passagieren die Ferien verhagelten, sind die Fälle häufig sehr komplex. Welcher Passagier kann schon genau begründen, warum er seinen Flug verpasst hat oder warum der gecancelt wurde. Lag es am hohen Krankenstand bei der Crew, am Check-In, an den langen Wartezeiten an den Sicherheitskontrollen. War es die Folge eines Streiks und hätte die Fluggesellschaft darauf Einfluss nehmen können?

Zu den 400 Verkehrsunternehmen, die sich der SÖP angeschlossen haben, zählen neben der Deutschen Bahn und den großen Fluggesellschaften wie der Lufthansa-Gruppe, Ryanair, Condor, Tuifly und Easyjet auch die großen Fernbus-Unternehmen, Reiseveranstalter und Vermittler.

Fahrgäste müssen deutlich länger auf ihr Geld warten

Aber nicht nur Urlauber, die mit dem Flugzeug unterwegs waren, sind in diesem Sommer stressgeplagt und auf der Suche nach einer Entschädigung. Wegen der vielen Verspätungen und Zugausfälle im Fern- und Regionalverkehr müssen auch Bahnreisende, die einen Antrag auf Entschädigung beim Servicecenter für Fahrgastrechte der Bahn in Frankfurt gestellt haben, deutlich länger auf ihr Geld warten.

Die Deutsche Bahn verschickt derzeit Zwischenbescheide, in denen sie ihre Kunden um Verständnis für die Verzögerungen bittet. „Aufgrund der Vielzahl von Baustellen im Rahmen des Modernisierungsprogramms und den damit verbundenen Einschränkungen (allgemeine Betriebsqualität und Pünktlichkeit) haben wir im Servicecenter Fahrgastrechte aktuell ein deutlich erhöhtes Antragsaufkommen. Daher kommt es zu Verzögerungen und längeren Bearbeitungszeiten“, heißt es in dem Schreiben.

Weniger als 60 Prozent der Fernzüge sind unpünktlich

Im Juli waren zum zweiten Mal in Folge weniger als 60 Prozent der Fernzüge der DB pünktlich. Die Quote lag bei 59,9 Prozent und damit deutlich unter der selbstgesteckten Marke von 80 Prozent. Im Juni hatte die Pünktlichkeit sogar nur bei 58 Prozent gelegen. Das ist der schlechteste Wert seit 2010. Ein Zug gilt dann als unpünktlich, wenn er mindestens sechs Minuten Verspätung hat.

„Die hohen Fahrgastzahlen und die vielen Baustellen führen leider zu vielen Verspätungen und auch zu Zugausfällen“, sagte ein Bahnsprecher. Wie viele Fahrgäste im Jahr 2022 bisher Anträge auf Entschädigung gestellt haben, könne man nicht sagen. 2021 seien es 1,9 Millionen gewesen und damit deutlich mehr als 2020 (1,4 Millionen). 2021 lag die Entschädigungssumme bei 38,2 Millionen Euro, das waren 7,4 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Pro Ticket gab es also durchschnittlich 20,10 Euro zurück. 2020 ließen sich die Kunden mit 30,8 Millionen entschädigen. Im letzten Geschäftsjahr vor der Pandemie lag die Summe bei 52,6 Millionen.

Seit Juni 2021 können Bahnkunden, die ihr Ticket online oder per Smartphone gekauft haben, eine Entschädigung auch digital geltend machen, so der Bahnsprecher. Dadurch habe sich die Bearbeitungszeit deutlich verkürzt. „Wer diesen Weg wählt, bekommt in der Regel innerhalb von wenigen Tagen eine Antwort und das Geld innerhalb von zwei bis sieben Tagen erstattet.“ Bei komplizierten oder in Papierform eingereichten Fällen könne es hingegen zu einer Wartezeit von bis zu fünf Wochen kommen.

Knappe Anschlüsse werden nicht mehr angezeigt

Um die Pünktlichkeit im Fernverkehr zu verbessern, hat die DB vor gut einer Woche angekündigt, in den Fahrplanmedien Anschlusszüge, die so knapp kalkuliert werden, dass sie nur in Ausnahmefällen erreicht werden konnten, bei der Planung und Buchung der Züge nicht mehr anzuzeigen. Das betrifft nach Angaben von Michael Peterson, Vorstand für den Personenfernverkehr, rund 800 Verbindungen. „Wir machen das Reisen besser planbar. Damit Anschlusszüge zuverlässiger erreicht werden, achten wir in den Fahrplanmedien ab sofort auf großzügigere Umsteigezeit.“

Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert dieses Verfahren.  „Dass die Tatsache, vielerorts einen Zug später zu bekommen und bis zu einer Stunde später am Ziel zu sein, auch noch als Service verkauft wird, ist ein Armutszeugnis. Die DB Fernverkehr bekommt keinen stabilen Betrieb auf die Reihe und will das planmäßige Verpassen von Anschlüssen jetzt als kundenfreundlich darstellen – eine Bankrotterklärung und der Versuch, diese möglichst ansprechend zu verpacken“, sagt Pro-Bahn-Vorsitzender Detlef Neuß. 

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Die Liste der 800 Verbindungen sei nirgendwo einsehbar. Sie müsse tagesaktuell veröffentlicht werden, damit die Reisenden wissen, wo sie mit den verlängerten Umsteigezeiten rechnen müssen, heißt es bei Pro Bahn und schlägt ein anderes Verfahren vor. Besser sei es, wenn den Fahrgästen zusätzlich zu den normalen Verbindungen mit den gewohnten Umsteigezeiten im Vertriebssystem eine Verbindung mit dem Vermerk „besonders zuverlässig“ angeboten würde. Dann könnten diese eine informierte Entscheidung treffen.

Mit der neuen Regelung schränke die Bahn auch die Fahrgastrechte ein. „Wenn ohnehin vielerorts zusätzlich eine halbe Stunde Umsteigezeit eingeplant wird, werden zum Beispiel aus 80 Minuten Verspätung am Zielort nur noch 50 Minuten“, sagt Pro-Bahn-Vize Lukas Iffländer. Damit habe DB bei der Entschädigung 25 Prozent eingespart. „Bei einem Zug mit vielen Geschäftsreisenden mit Normalpreis sind das schnell 30 Euro pro Kopf und mehr“, so Iffländer.

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