Chef der Bundesagentur für Arbeit„Man bekommt kein Gehalt aus Solidarität“

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Detlef Scheele

  • Seit 2015 ist Detlef Scheele Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit, seit April 2017 Vorsitzender des Vorstandes.

Köln – Herr Scheele, der Arbeitsmarkt boomt. Wann rechnen Sie mit Vollbeschäftigung?

Ich finde das Ziel Vollbeschäftigung durchaus lohnenswert. Es wäre ja verrückt, es nicht anzustreben. Wenn man auf die jüngsten Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung blickt, die für 2018 noch mal von 200 000 Arbeitslosen weniger ausgehen, und das trotz Flüchtlingszuwanderung, muss man sagen, die Lage ist wirklich sehr gut.

Handelskrieg der USA, Brexit - wo sehen Sie Risiken für die Lage am Arbeitsmarkt?

Bis Ende nächsten Jahres sehen wir keine Parameter, die zu einem nachhaltigen Einbruch führen. Prognosen für die Zeit danach sind ein Blick in die Glaskugel. Weder der drohende Brexit noch die unberechenbare Politik von US-Präsident Donald Trump zeigen bislang nennenswerte Auswirkungen. Und sollte auf absehbare Zeit trotzdem etwas passieren, dann sind wir mit unserer Rücklage von 20 Milliarden Euro und Instrumenten wie Kurzarbeit gut in der Lage, einzugreifen.

Berlins Bürgermeister Michael Müller hat ein "solidarisches Grundeinkommen" gefordert: Sie halten den Ansatz für falsch. Warum?

Ich war einer der Ersten, der gesagt hat, wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt für eine kleine Gruppe von Menschen. Ich halte aber den Begriff eines solidarischen Grundeinkommens für falsch. Er liegt zu nah am "bedingungslosen Grundeinkommen". Damit weckt der Begriff Erwartungen, die er nicht erfüllen kann. Denn auch auf einem öffentlich geförderten Arbeitsmarkt geht es um einen Lohn - entweder den Tariflohn oder den ortsüblichen Lohn - als Gegenleistung für erbrachte Arbeit. Man bekommt sein Gehalt also nicht aus Solidarität.

Wer kommt denn für eine solche Tätigkeit in Frage?

Dieses Angebot soll sich an Menschen richten, die mehrere Jahre arbeitslos sind, älter und keine berufliche Ausbildung haben oder gesundheitlich eingeschränkt sind - also Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance haben und die als Ultima Ratio so ein Beschäftigungsverhältnis bekommen. Was ist denn die Alternative? Alimentieren bis zum Renteneintrittsalter. Wir müssen uns um jeden Einzelnen bemühen.

In Rede steht, dass diese Menschen auch als Babysitter oder Ernährungsberater arbeiten sollen. Wie realistisch ist das ?

Diese Menschen können in allen gewerblichen und Dienstleistungs-Tätigkeiten arbeiten. Aber eher nicht in personenbezogenen Dienstleistungen. Denn wir können nicht darüber diskutieren, ob wir Erzieher akademisieren, und gleichzeitig Langzeitarbeitslose zu Erziehern machen. Berlins Bürgermeister Michael Müller hat ja auch nicht von tausenden Babysittern gesprochen. Er hat nur ein Beispiel genannt.

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Besteht nicht die Gefahr, dass diese subventionierten Jobs denen zu Marktpreisen Konkurrenz machen?

Nein. Die Menschen, die diese Arbeit machen sollen, sind ja gerade nicht so leistungsstark, dass sie einen regulären Job machen könnten. Ein Beispiel: Ein Gartenfachbetrieb braucht einen Tag, um bei einem Kunden die Bäume zu schneiden. Ein geförderter Mitarbeiter braucht dafür sicherlich deutlich länger. Wichtig ist, dass der Einsatz solcher Arbeitskräfte in den einzelnen Kommunen nicht zu groß sein darf und die Lohnsubvention nicht als Preissubvention durchgereicht werden darf, damit etwa die Preise des Handwerks nicht unterboten werden.

Der Bundesrechnungshof hat scharfe Kritik an den Jobcentern geübt. Hauptvorwürfe: planlose Kurse, die nichts bringen und nur die Statistik schönen. Was läuft da schief?

Der Vorwurf der Schönung der Statistik stimmt nicht. Es gibt zum Beispiel Maßnahmen, die dienen erst mal der Prüfung der Arbeitsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit. Da geht es um die Frage: Kann man den Arbeitssuchenden überhaupt zu einem Arbeitgeber schicken, ist der fit und engagiert? Sicher gibt es auch Punkte, wo wir etwas falsch machen. Wir investieren in unsere Beratungsqualität und werden künftig besser prüfen, ob das, was wir den Kunden anbieten, die richtige Strategie ist. Wenn man die Fortschritte der Kursbesucher nachhält, kann man das künftig noch besser einschätzen.

Viele Mitarbeiter in den Jobcentern sind befristet beschäftigt und von Vermittlungserfolgen abhängig.

Jemand, der befristet beschäftigt ist, ist wohl immer bemüht, die Leistungsvorgaben seiner Vorgesetzten zu erfüllen. Das gilt nicht nur für ein Jobcenter, sondern das ist in allen Unternehmen so. Aber eine Entfristung darf nicht von solchen Kriterien abhängig sein. Der Befristungsanteil in den Jobcentern sinkt kontinuierlich und wir wollen ihn noch weiter senken. In einigen Bereichen liegen wir bei unter sieben Prozent und damit auf Niveau der Privatwirtschaft.

Sie gelten als Befürworter des Modells einer Jugendberufsagentur, im Rahmen dessen Jugendamt, Jobcenter und Berufsberatung des Arbeitsamtes ihre Angebote aufeinander abstimmen, um junge Menschen bei der Vermittlung in Ausbildung und Arbeit zu unterstützen. Wie viele gibt es schon bundesweit und wie ist der Stand der Dinge in Köln?

Mein Appell ist, dass Bundesagentur und Kommunen gut zusammenarbeiten müssen an der Schnittstelle von Schule und Beruf. Für die Jugendberufsagenturen gibt es bundesweit schon 289 gute Beispiele, sie sind ein ganz wichtiges Unterstützungsangebot für Schüler. Denn wir dürfen hier niemanden verlieren. Hier ist die Stadt Köln noch etwas zögerlich. Wir sind seit langem im Gespräch mit der Stadt und jetzt geht es endlich stückweise voran. Ich bin überzeugt: Wir werden auch in Köln eine Jugendberufsagentur hinbekommen. Noch in diesem Jahr wollen wir in einem Kölner Stadtteil beginnen, suchen aber noch nach geeigneten Räumlichkeiten. Der Fokus liegt zunächst auf den sozial schwächeren Vierteln wie Chorweiler oder Meschenich. Geplant sind bis zu vier Anlaufstellen im Kölner Stadtgebiet.

Zur Person

Detlef Scheele wurde 1956 in Hamburg geboren. Er studierte Politik-, Sport- und Erziehungswissenschaften an der Universität Hamburg.

Von 1995 bis 2008 war er Geschäftsführer der HAB Hamburger Arbeit - Beschäftigungsgesellschaft mbH. Im Anschluss wechselte er als Staatssekretär ins Bundesministerium für Arbeit und Soziales und wurde 2011 Senator für Arbeit, Familie und Soziales in Hamburg. (cos)

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