Abo

Corona-Forschung unter Hochdruck„Ein Impfstoff an sich ist nicht genug“

Lesezeit 4 Minuten
Marylyn Addo

Marylyn Addo war bereits an der Entwicklung eines Ebola-Impfstoffs beteiligt.

  • Weltweit wird nach einem Coronavirus-Impfstoff gesucht. Wir haben mit Experten über die Schwierigkeiten, Fortschritte und Kosten der Entwicklung gesprochen.
  • Die weltweit renommierte Medizinerin Marylyn Addo prognostiziert vorsichtig, wann frühestens ein Mittel zugelassen werden könnte.
  • Unser Autor ist auch der Frage nachgegangen, ob es ein Mittel vielleicht sogar zum Selbstkostenpreis geben könnte.

Köln – „Die ganze Welt lechzt nach dem Impfstoff“, sagt Marylyn Addo. Die Medizinerin kennt sich so gut mit Impfstoffen aus wie nur wenige Personen in Deutschland. Die aus Troisdorf stammende Oberärztin und Leiterin der Infektiologie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf hat maßgeblich an der Entwicklung des ersten Ebola-Impfstoffs sowie eines MERS-Impfstoffs mitgewirkt. Auch an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Covid-19 durch ein Konsortium aus Universitäten und die Firma Biologika ist sie aktuell beteiligt. Im September soll das Mittel klinisch getestet werden.

Die Initiative ist indes nur eins von fast 150 Projekten weltweit, in denen an einem Impfstoff gegen das Coronavirus gearbeitet wird. Weltweit bemühen sich Forscher mit Hochdruck um ein Mittel, das als Schlüssel zur Rückkehr in die Normalität gilt. Die Pandemie hat der Weltwirtschaft die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg beschert. Die Folge: „Es hat noch nie ein so großes Interesse an der Impfstoffentwicklung gegeben wie jetzt“, sagt Addo.

Eigentlich dauert die Entwicklung zehn bis 15 Jahre

Alleine in Deutschland beteiligen sich Dutzende Unternehmen in verschiedener Form an der Entwicklung. Die Kosten, die Unternehmen, NGOs und Behörden dafür auf sich nehmen, lassen sich nur schwer beziffern. Das Forschungsinstitut Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) beziffert die Kosten für die Entwicklung eines Mittels mit mindestens zwei Milliarden Dollar.

Mitunter dauert es zehn oder 15 Jahre, bis ein Impfstoff zugelassen wird, nun aber sei die Forschung so schnell angelaufen wie noch nie, sagt Marylyn Addo. Dem Zeitdruck zum Trotz muss jedes Mittel aber nach wie vor einen vorgeschriebenen Prozess durchlaufen: Erst nach der Virusanalyse, dem Impfstoffdesign und der Erprobung mit Tieren, werden Mittel klinisch an Freiwilligen getestet. Im ersten Schritt wird die Verträglichkeit geprüft, im zweiten auch die Antwort des Immunsystems und die Dosierung. Erst in der dritten Phase steht die Zuverlässigkeit des Schutzes auf dem Prüfstand, bevor ein Zulassungsverfahren anläuft.

Unternehmen haben ein hohes Risiko

Noch während der klinischen Erprobung beginnt aber schon die Großproduktion, Anlagen werden ertüchtigt, erste Vorräte angelegt. „Unternehmen, die jetzt im Rennen sind, nehmen ein hohes Risiko auf“, sagt Addo: „Diese Firmen gehen in Vorleistung, obwohl sich viele der Kandidaten später nicht als geeignet erweisen werden.“ So hat auch das Mainzer Unternehmen Biontech bereits mit der Produktion eines Impfstoffes begonnen, an dem es mit den Pharma-Giganten Pfizer (USA) und Fosun Pharma (China) arbeitet.

Das Präparat, das bereits klinisch erprobt wird, ist genbasiert, arbeitet ebenso mit der mRNA wie jenes des Tübinger Unternehmens Curevac. Curevacs Impfstoffkandidat soll noch in diesem Monat die ersten klinischen Tests durchlaufen. „Es gibt bislang noch bei keiner Krankheit einen zugelassenen genbasierten Impfstoff“, sagt Rolf Hömke vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland: „Wenn einer deutschen Firma hier der Durchbruch gelingen würde, wäre das für den gesamten Pharmastandort ein starkes Signal.“

Weder Biontech noch Curevac beziffern die Investitionen in ihre Präparate, die aktuell zu den aussichtsreichsten Kandidaten gehören. Während die Mainzer bislang keine Fremdmittel angenommen haben, haben die Tübinger aus einem CEPI-Topf 15,3 Millionen Dollar erhalten. Die EU-Kommission hat zudem einen Kredit in Höhe von bis zu 80 Millionen Euro für den Bau einer zweiten Produktionsanlage in Aussicht gestellt. Auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung beteiligt sich finanziell.

Gerechte Verteilung gefordert

Während weltweit Milliarden in die Forschung fließen, werden jene Stimmen laut, die schon jetzt eine gerechte Verteilung des Impfstoffes zu niedrigen Preisen fordern. Am Donnerstag sagte UN-Generalsekretär António Guterres: „Ein Impfstoff an sich ist nicht genug. Wir brauchen globale Solidarität, um sicherzustellen, dass jede Person überall Zugang dazu hat.“  Ein Impfmittel solle als ein gemeinsames internationales Gut verstanden werden.

„Ärzte ohne Grenzen“ fürchtet die „Willkür des Marktes“ und forderte Pharmafirmen auf, künftige Corona-Impfstoffe zum Selbstkostenpreis zu verkaufen. Ein entsprechendes Bekenntnis bleibt bislang von den meisten Herstellern aus. Curevac nahm dazu am Freitag nicht Stellung, Biontech teilte mit, für eine Aussage sei es noch zu früh. Wenige Firmen, darunter etwa der US-Riese Johnson & Johnson, haben tatsächlich schon angekündigt, zumindest während der Pandemie einen möglichen Impfstoff zum Selbstkostenpreis anzubieten.

Von 200 Mitteln wird eins zugelassen

Auf Dauer könne man das von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen auch nicht verlangen, sagt der Medizinökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen: „Kurzfristig kann man es sich insbesondere mit Blick auf das öffentliche Ansehen vorstellen. Freiwillig werden die Hersteller das aber kaum machen.“ Dabei müssten auch die Kosten für die vielen Fehlversuche bedacht werden, so Wasem: „Von rund 200 Arzneimitteln inklusive Impfstoffen kommt nur eins zur Zulassungen.“ Firmen, die aktuell vergeblich forschen, werde später wohl niemand entschädigen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Bevor es überhaupt um den Preis geht, braucht es eh erst einmal den Impfstoff an sich. Und da sei noch Geduld angebracht, sagt Marylyn Addo: „Wahrscheinlich wissen wir erst im Herbst oder Ende des Jahres, ob ein Impfstoff die Probanden geschützt hat oder nicht.“ Im Idealfall könne eine Zulassung wohl frühestens im ersten Halbjahr 2021 erfolgen: „Und das wäre schon unglaublich schnell.“

KStA abonnieren