Covestro-Vorstand kritisiert Politik„Gas-Umlage ist unausgegoren und unfair"

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Der Kunststoffkonzern Covestro 

Köln/Leverkusen – Der Vorstand des Leverkusener Chemie-Konzerns Covestro ist tief besorgt. Gas als Rohstoff und Energieträger kann nur sehr bedingt ersetzt werden. Die Gas-Umlage führe zu einer vollkommen unfairen Umverteilung. Klaus Schäfer hat andere Ideen zur Finanzierung der hohen Gaspreise. Mehr dazu hier im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“:

Herr Schäfer, Umlage und der generelle Gaspreisanstieg machen Ihrer energieintensiven Branche besonders zu schaffen. Welche Möglichkeiten haben Sie, Gas durch andere Rohstoffe zu ersetzen?

Klaus Schäfer: Wir prüfen das seit einiger Zeit intensiv. Es hat ja auch vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges einen immensen Anstieg bei den Erdgaspreisen gegeben. Der wurde dann durch den Krieg noch einmal wie jeder weiß deutlich beschleunigt. Und die Gas-Umlage setzt jetzt noch einen drauf. Darauf zu reagieren ist aber nicht trivial. Wir prüfen intensiv, wie wir an unseren Standorten Gas ersetzen können. In unserem Werk in Brunsbüttel stellen wir auf eine stillgelegte Heizölanlage um, und das funktioniert auch wunderbar. In Gänze und über alle Standorte ist aber Gas aktuell nicht ersetzbar, zumal auch regulatorische Hürden existieren.

Welche Bedeutung hat denn der Gasmangel respektive die Gaspreisexplosion für die Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld, also hier im Rheinland?

Wir können diese Standorte bislang uneingeschränkt weiter betreiben. Das ist allerdings nur bedingt eine gute Nachricht. Denn die hohen Preise belasten uns natürlich außerordentlich. Die Preise bewegten sich zuletzt bei über 200 Euro je Megawattstunde auf der Gasseite und bei mehr als 400 Euro je Megawatt auf der Stromseite. Man muss sich überlegen, woher wir kommen. Gas ist von 20 auf 200 Euro gegangen, Strom von 40, 50 auf das heutige Level. Das ist für uns mit enormen zusätzlichen Belastungen verbunden als energieintensive Industrie. Bei dem aktuellen Preisniveau ist die energieintensive deutsche Industrie global nicht mehr wettbewerbsfähig. Bei einer Reihe von Chemikalien sind Importe aus den USA oder China bereits jetzt billiger, als sie hier vor Ort herzustellen. Als Covestro sind wir aber gut aufgestellt, weil wir auch signifikante Produktionskapazitäten in Asien und Amerika haben. Dieses Szenario ist für uns also nicht existenzbedrohend. Es ist ein spezifisch deutsches Problem was wir hier haben.

Was passiert wenn kein Gas mehr kommt?

Dazu sind wir in intensiven Gesprächen mit der Bundes- und der Landesregierung. Die Bundesnetzagentur will möglichst nicht in die dritte Notfallstufe gehen, sondern vorher so viel Gas sparen, dass es nicht nötig ist. Das halte ich im Übrigen für hoch sinnvoll.

Lehnen Sie die Stufe 3-Regelung ab als Chemiekonzern, die Regelung ist ja für ein Leck in der Leitung gedacht, nicht für einen Komplettausfall?

Wir würden es sehr begrüßen wenn wir eine Lösung fänden, bei der auch die Verbraucher mit einbezogen werden. Realistisch ist das bei dem jetzigen Setting in Deutschland und Europa nicht. Wenn man die Frage weiter stellt, glaube ich, dass die Bundesregierung an verschiedenen Stellen nicht das Richtige tut. Wir verfeuern seit Beginn des Krieges massiv Gas zur Stromerzeugung, sogar mehr als 2021. Hätte man das gespeichert, hätte man über den Daumen zehn bis 15 Prozent mehr Gas in den Speichern. Die Kohlekraftwerke sollen erst im Oktober ans Netz gehen, davon halte ich auch nichts. Das hätte die Bundesregierung vorausschauend sofort machen sollen. Das hätte zwei Effekte: Die Speicher wären schneller voll und der Strompreis wäre ein Stück niedriger.

Klaus Schäfer 11

Covestro-Vorstand Klaus Schäfer

Sie wollen also im Grunde, dass Kohle das Gas ersetzt. Aber die ist national auch nicht verfügbar…

Bei Steinkohle geben ich Ihnen Recht. Aber man kann sie importieren. Aber genau dieser Aspekt sollte daran erinnern, auch auf Braunkohle zu setzen, die wir hier vor der Tür ja noch in großen Mengen haben. So kann man sich auch von Transportengpässen unabhängiger machen.

Und Kernenergie? Sind Sie für Streckbetrieb, also den vorübergehenden Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke?

Das muss man aus einer europäischen Perspektive sehen. Dadurch dass 40 Prozent der französischen Meiler aktuell nicht in Betrieb sind und das Land massiv Strom aus Deutschland bezogen hat, deutet darauf hin, dass auch weiterhin Strom von uns dorthin fließen wird. Die Frage ist: Stammt dieser aus Kohle- und Kernenergie oder Gaskraftwerken. Aktuell liefert Deutschland die Menge Strom von zwei bis drei Atomkraftwerken nach Frankreich. Im Winter wird dort noch mehr Strom für Elektroheizungen benötigt und natürlich wollen wir unseren Nachbarn auch hier helfen.

Woher kommt denn der Mangel in Frankreich?

Vier von zehn Kernkraftwerken sind wegen technischer Mängel außer Betrieb. Wenn diese repariert sind, hat Frankreich wieder einen Stromüberschuss und ist nicht mehr auf Importe angewiesen.

Alle reden von Füllung der Gasspeicher. Reichen die Speicher denn überhaupt für eine Notlage, die sind ja nur für normale Winter, Netzengpässe gedacht?

Wenn gar kein Zufluss an Gas kommt, werden die Speicher nur für ein paar Tage oder Wochen reichen, auch bei 100 Prozent Füllstand. Man braucht den Speicher auch bei voller Pipeline-Leistung, um über den Winter zu kommen.

Was passiert technisch gesehen bei Industriebetrieben, wenn Russland gar kein Gas mehr liefert? Gehen Ihre Anlagen kaputt?

Der Gaspreis wird weiter steigen. Dann werden Unternehmen, für die das Preisniveau nicht mehr wirtschaftlich ist, ihre Anlagen nach und nach außer Betrieb nehmen. Die allermeisten Anlagen kann man abstellen, wenn man es kontrolliert mit Vorlauf macht. Zugleich könnte Gas rationiert werden, wenn der Bedarf nicht anders gedeckt werden kann. Wir haben als Covestro einen dezidierten Ablaufplan, was zu tun ist wenn wir nur noch 80, 60 oder 50 Prozent an Gas bekämen. Es ist festgelegt, welche Anlage außer Betrieb geht, welche weiter läuft.

Wie stehen Sie zur Gas-Umlage zur Rettung von Uniper und Co.?

Die Umlage ist eine ganz bittere Medizin, die aber nicht der eigentliche Patient einnehmen muss. Sie treibt den Rekordpreis für Gas weiter nach oben, wobei das Preissignal nicht bei allen gleichermaßen ankommt. Ausgerechnet Abnehmer, die zur aktuellen Schieflage der Gasimporteure durch den Abschluss günstiger Termingeschäfte beigetragen haben, profitieren. Da müssen sich später gegenseitig Wettbewerber subventionieren. Zudem haben einige Gasimporteure bereits erklärt, auf die Umlage verzichten zu können. Das spricht nicht für die Präzision dieses Instruments. Die Umlage ist hochgradig unausgegoren und völlig unfair. Kosten und Nutzen stehen nicht im Gleichgewicht.

Aber was ist die Alternative, Herr Schäfer?

Eine Alternative wäre, dass diese Umlage nur für Termingeschäfte erhoben wird. Oder: Wer schon den maximalen Preis zahlt, könnte von der Umlage ausgenommen werden. Eine andere Möglichkeit wäre anstelle einer Umlage eine Steuer, die über das ganze Land verteilt würde.

Welche Auswirkungen hat die aktuelle oder künftige Gaskrise auf den Endverbraucher?

Am Ende Preissteigerungen, Inflation, was wir heute schon sehen. Bei Null Gas aus Russland geht die weiter hoch. Alle energieintensiv hergestellten Produkte werden teurer werden. Bei uns wäre das vor allem Fassadenisolierung, Kühlschrankisolierungen und Kunststoffe im Auto oder Schaummatratzen. Kurzfristig werden zusätzliche Waren nach Europa kommen. Ich gehe aber auch davon aus, dass das alte Preislevel nie mehr zurückkommen wird. Wir werden die russische Pipeline ja nicht reaktivieren und alles vergessen, was seit Februar geschah.

Was bedeutet die Umlage für Covestro?

Die Belastung ist deutlich spürbar. Unsere Strom- und Gasrechnung für das laufende Jahr dürfte sich auf bis zu 2,2 Milliarden Euro belaufen. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lag diese bei 600 Millionen Euro. Die aktuelle Umlage und die noch kommende Gasspeicherumlage kommen on top. Das kann über die Laufzeit der Umlage Mehrkosten in Höhe eines mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Betrags bedeuten, je nachdem wie sich der Preis weiter entwickelt. Für die gesamte chemische Industrie in Deutschland werden Zusatzkosten von drei Milliarden Euro jährlich erwartet. Für die weitere Inflationsentwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind das keine guten Aussichten.

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Mit dem Atom- und Kohleausstieg sind wir in Deutschland auf absehbare Zeit auf eine sichere Gasversorgung angewiesen. Wenn zunächst die schwimmenden und dann die festen LNG-Terminals wie geplant in Betrieb gehen, wird das die Versorgungslage verbessern. Auch die Preise dürften dann nachgeben, wenngleich nicht auf das Vorkrisenniveau. Perspektivisch ändert das aber nichts daran, dass wir möglichst schnell von fossilen Energieträgern loskommen müssen. Der Gesetzgeber muss endlich alles daran setzen, den Ausbau der Erneuerbaren und der Wasserstoffwirtschaft massiv zu beschleunigen. Für Sonntagsreden bleibt keine Zeit mehr.

Das Gespräch führte Thorsten Breitkopf

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