Deutscher Startup Monitor 2018NRW überholt Berlin als Gründerland Nummer 1

Lesezeit 7 Minuten
Ballonfahrt Köln

NRW hat Berlin verdrängt und ist Gründerland Nummer 1 in Deutschland. Hier der Blick auf die Stadt Köln (Symbolbild)

Köln – So mancher in der rheinischen Gründerszene war es leid, dass sich der Standort Nordrhein-Westfalen immer wieder mit Berlin vergleichen lassen muss. Zu groß schien in der Vergangenheit der Vorsprung der europäischen Start-up-Metropole, zu unterschiedlich die Stärken der Regionen: die Hauptstadt als international geprägter Standort mit exzellentem Kapitalzugang, irrsinnigem Ideenreichtum und jungen Unternehmen mit Milliarden-Euro-Bewertungen; das bevölkerungsreichste Bundesland mit starken Universitäten, vielen Einzelinitiativen und Tausenden Unternehmen aus Industrie und Gewerbe, die von Start-ups als potenzielle Kunden wahrgenommen werden. Wo auf der einen Seite der Zugang zur Industrie fehlt, fehlen auf der anderen Seite das Risikokapital und die Masse an Erfolgsgeschichten.

Das Ergebnis des aktuellen „Deutschen Startup Monitors 2018“ lässt nun auch Gegner des NRW-Berlin-Vergleichs aufhorchen: Nordrhein-Westfalen stellt in der Befragung erstmals die meisten Start-ups. 19 Prozent aller Teilnehmer kommen aus NRW, insbesondere die Metropolregion Rhein-Ruhr sticht mit 11,2 Prozent hervor. 15,8 Prozent der Start-ups stammen aus Berlin. Auch die Unis in NRW geben ein gutes Bild ab: In den Top 10 der Gründerhochschulen belegt die RWTH Aachen Platz drei, die Kölner Universität kommt auf den neunten Rang. Seit 2013 werden die Zahlen im Auftrag des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG und des Bundesverbands Deutsche Startups erhoben. In diesem Jahr haben 3716 Personen an der Umfrage teilgenommen, 1550 Datensätze wurden für die Studie berücksichtigt. Repräsentativ ist der „Deutsche Startup-Monitor“ nicht, er gilt jedoch als die gründlichste und somit relevanteste Erhebung von Gründerzahlen in Deutschland.

NRWs Sturm an die Spitze ist daher beachtlich: 2014 stellte das Bundesland lediglich neun Prozent der Start-ups, Berlin kam auf 39 Prozent. Auch Baden-Württemberg (zwölf Prozent) und Bayern (elf Prozent) landeten damals noch vor Nordrhein-Westfalen. Dass sich NRW nun auf den ersten Platz geschoben hat, ist das Ergebnis vielfältiger privatwirtschaftlicher Initiativen, die das Gründertum in den vergangenen Jahren gefördert haben. Auch die politisch Verantwortlichen, allen voran NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) und sein Vorgänger im Amt, Garrelt Duin (SPD), haben viel Kraft darauf verwendet, den Stellenwert von Start-ups zu stärken.

Alles zum Thema Universität zu Köln

In NRW leben Kunden vor der Haustür

Stefan Krausz und sein Start-up Pixolus sind Teil und Ausdruck der Erfolgsgeschichte: Das Kölner Unternehmen, 2013 von einer Frau und fünf Männern gegründet, hat heute 15 Mitarbeiter. „Die Nähe zur Industrie ist für uns ein großer Vorteil“, sagt Geschäftsführer Krausz. „Hätten wir unseren Sitz in Berlin, müsste ich oft ins Flugzeug steigen, um Kunden in NRW zu treffen.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Groß geworden ist Pixolus mit einer Scan-Software, die Stände von Heizungzählern per Smartphone erfassen kann. Zu den Kunden, die inzwischen teils ganze Apps, teils die von Künstlicher Intelligenz angetriebenen Scan-Module von Pixolus in ihre Produkte einbauen, gehören Multis wie Innogy, Yello und Vattenfall.

Christoph Dammermann, Staatssekretär im NRW-Wirtschaftsministerium, weiß ebenfalls um die große Stärke des Bundeslandes: „Während Berlin nur über Kunden redet, leben in NRW die Kunden vor der Haustür: 18 Millionen Einwohner, zehn Dax-Konzerne“.

Pixolus hat sich bereits festgebissen in der Energiebranche und wird immer mehr zum allgemeinen Dienstleister für Digitalisierungsprozesse in Unternehmen. Mit dem Uniklinikum Aachen und Philips arbeitet die Firma nun an einer Dokumentations-App für die Intensivpflege.

Das Start-up ist gerade erst in größere Büros in der Kölner Innenstadt gezogen, um noch mehr Mitarbeiter einstellen zu können. Wie die gesamte deutsche Wirtschaft sehnt sich auch Pixolus nach IT-Fachkräften, doch der Markt ist wie leergefegt. „Wir suchen gute Entwickler, aber es ist nicht einfach“, sagt Krausz. Freiberufliche IT-Experten sind nur schwer zu einer Festanstellung zu überreden – zu gut sind Auftragslage und Verdienst. Hochschulabsolventen werden während ihres Studiums angeheuert, meist von Konzernen mit hohem Ansehen und attraktiven Gehaltsangeboten.

Investoren in Berlin sind risikofreudiger

In die gleiche Kerbe schlägt Nora Grazzini, die 2015 in Köln das Start-up Radbonus gegründet hat: „Es gibt hier einfach nicht so viele Entwickler, wie wir bräuchten“, sagt Grazzini, die inzwischen 25 Mitarbeiter beschäftigt. Die Programmierer und Tüftler wären notwendig, damit ihr Unternehmen noch schneller wächst. Radbonus belohnt Fahrradfahrer für gefahrene Kilometer – Privatpersonen „erstrampeln“ sich über eine App Rabatte oder nehmen an Verlosungen teil, Unternehmen organisieren über Radbonus Mitarbeiteraktionen.

Radbonus wurde im Rahmen eines Nachhaltigkeitsprogramms von der EU finanziell unterstützt und bekam auch die Möglichkeit, von Eon gefördert zu werden. Wollte Grazzini eine große Finanzierungsrunde starten, wäre NRW dafür nicht ideal: „Die Investoren sind hier deutlich zurückhaltender als in Berlin, das spürt man“, sagt sie. Der Anteil der mit Risikokapital ausgestatteten Start-ups ist in der Metropolregion Rhein-Ruhr mit 16,4 Prozent bedeutend niedriger als in Berlin mit 26,8 Prozent. Vor den anderen Gründerstandorten München, Hamburg und Stuttgart/Karlsruhe liegt Rhein-Ruhr dennoch.

Viele Initiativen im Rheinland

Der im „Deutschen Startup Monitor“ bundesweit erhobene geringe Gründerinnen-Anteil von 15,1 Prozent enttäuscht Grazzini: „Ich fände es toll, wenn wir in der Gesellschaft Frauen und Mädchen ermutigen würden, waghalsiger zu sein. Dann hätten wir mehr Gründerinnen.“ Die Risiken einer Gründung hinderten viele Frauen heute noch daran: „Ein Start-up bietet erstmal keine finanzielle Sicherheit und keine Stabilität“, sagt Grazzini. Allen Gründerinnen und Gründern rät die Kölner Unternehmerin: „Es ist wichtig, sich durchzubeißen.“

Neben der Kundennähe schätzt Nora Grazzini die vielen Initiativen im Rheinland: „Die Gemeinschaft ist sehr positiv und hilfsbereit.“ Im Gründerzentrum Startplatz im Kölner Mediapark habe sie viel Unterstützung erfahren. Nun müsse sich die rheinische Start-up-Szene noch besser untereinander vernetzen, den Kontakt zu den Unis intensivieren, gemeinsam hochwertige Geschäftsmodelle entwickeln. Berlin bleibt dabei ein Referenzpunkt, der immer mehr ins Hintertreffen gerät. Grazzini: „In Berlin wird viel geredet. Wir machen.“

Ausgewählte Ergebnisse des „Deutschen Startup Monitors 2018“

15,1 Prozent Gründerinnen

12,3 Personen, durchschnittliche Mitarbeiterzahl

56 Stunden arbeiten Gründer durchschnittlich pro Woche

2,5 Jahre alt sind die befragten Start-ups im Durchschnitt

19 Prozent der Start-ups kommen aus NRW

15,8 Prozent der Start-ups kommen aus Berlin

11,2 Prozent aus der Metropolregion Rhein-Ruhr

Jeweils 1 Prozent der Start-ups kommen aus dem Saarland und Brandenburg

31,6 Prozent der Start-ups werden im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie gegründet

10,1 Prozent der Gründungen kommen aus Medizin und Gesundheitswesen

9,7 Prozent gründen im Bereich Ernährung und Nahrungsmittel

2,4 Personen ist ein Gründerteam durchschnittlich groß

17.647 Mitarbeiter beschäftigen die teilnehmenden Start-ups

6,5 neue Mitarbeiter wollen pro Start-up im kommenden Jahr eingestellt werden

74,5 Prozent der Start-ups haben Schwierigkeiten, Programmierer einzustellen

35,2 Jahre alt sind Gründer im Schnitt

81,8 Prozent der Gründer haben einen Hochschulabschluss

12,8 Prozent der Gründer gründen ohne vorherige Berufserfahrung

42,4 Prozent der Arbeit leisten Gründer außerhalb des Büros

80,6 der Gründer sind in einer festen Partnerschaft

40,3 Prozent der Gründer haben Kinder

90,2 Prozent der Gründer sind zufrieden mit ihrem Leben

67,7 Prozent des Start-up-Umsatzes wird durch Geschäftsbeziehungen mit anderen Unternehmen verdient

27,5 Prozent des Start-up-Umsatzes wird mit Privatpersonen verdient

4,8 Prozent des Start-up-Umsatzes wird durch Geschäftsbeziehungen mit Behörden verdient

16,1 Prozent der Start-ups sagen, dass Künstliche Intelligenz sehr großen Einfluss auf ihr Geschäftsmodell hat

54,5 Prozent der Start-ups sagen, dass Digitalisierung sehr großen Einfluss auf ihr Geschäftsmodell hat

1,5 Milliarden Euro externes Kapital haben die teilnehmenden Start-ups bereits eingesammelt

15,3 Prozent der Start-ups haben Geld von Risikokapitalgebern erhalten

83 Prozent der Umsätze generieren die Start-ups in Deutschland

4,0 ist die durchschnittliche Schulnote, mit der Gründer die Bundesregierung bewerten

3,8 ist die durchschnittliche Schulnote, mit der NRW-Gründer die Landesregierung bewerten

Bundestagswahl der Gründer: CDU/CSU: 17,8 Prozent, SPD: 8,4 Prozent, FDP: 37,6 Prozent, Linke: 5,9 Prozent, Grüne: 22,4 Prozent, AfD: 2,0 Prozent

59,2 Prozent der Befragten sprechen Christian Lindner (FDP) eine hohe Gründungskompetenz zu. Auf Platz zwei mit 22,8 Prozent: Keiner

52,1 Prozent bewerten die gegenwärtige Geschäftslage mit gut

67,8 Prozent bewerten die zukünftige Geschäftslage mit günstiger als gegenwärtig

5,0 Schulnote der Gründer für das deutsche Schulsystem im Hinblick auf die Förderung und Vermittlung von unternehmerischem Denken/Handeln

KStA abonnieren