Digitale TherapienWie Bayer mit Technologie Krebs bekämpfen will

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Digitale Gesundheit

Digitale Therapien spielen eine immer größere Rolle.

  • Französische Studie stellte eine „Revolution“ der digitalen Pharmaforschung dar.
  • Bayer steht unter erheblichem Druck, neue Geschäftsfelder zu eröffnen.
  • Erste Erfolge, unter anderem in der Krebsforschung, kann der Leverkusener Konzern bereits vorweisen.

Köln – Digitalisierung kann Leben retten, bewiesen französische Ärzte vor drei Jahren, als sie auf einer Konferenz für Krebsforschung in Chicago Ergebnisse einer klinischen Studie vorstellten. Die Symptome einiger Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs hatten die Mediziner digital überwachen lassen: Traten in der Experimentalgruppe vordefinierte Symptome auf, die auf ein Fortschreiten der Krankheit schließen ließen, wurden die behandelnden Onkologen darüber automatisch in Kenntnis gesetzt.

Eine Kontrollgruppe verließ sich bei der Beobachtung der Krankheit hingegen auf altbewährte, analoge Methoden. Das Ergebnis: In der Gruppe jener Krebskranken, deren Symptome digital überwacht wurden, stieg der Anteil der überlebenden Patienten um 27 Prozent.

Die Pharmabranche hat das Potenzial erkannt

„Diese Studie war eine Revolution, weil sie gezeigt hat, dass digitale Lösungen einen messbaren Erfolg hervorrufen können“, sagt Zsuzsanna Varga. Sie leitet bei Bayer das Innovations-Programm G4A und ist aktuell auf der Suche nach Start-ups, um für den Leverkusener Konzern digitale Therapieansätze zu entdecken.

„Wir möchten neue digitale Medizinprodukte entwickeln“, sagt Varga, die in Heidelberg und New York Biotechnologie und Biomedizin studiert hat und nun Partnerschaften im Bereich Digitale Gesundheit für Bayer von Berlin aus verantwortet. Sämtliche großen Pharmaunternehmen haben das Potenzial digitaler Technologien für die Entwicklung von Therapien erkannt und in den vergangenen Jahren eigene Start-up-Programme gestartet. Pfizer, Roche, Novartis, Johnson & Johnson und andere Branchengrößen stehen im Wettbewerb um Talente und Technologien.

Der Druck, Therapien zu entwickeln, ist groß

Der Druck, neue Therapien zu entwickeln, ist auch bei Bayer groß: Wichtige Pharmapatente laufen in den kommenden Jahren aus, die Forschungspipeline mit Nachfolgeprodukten ist aktuell schlecht besetzt. Die Leverkusener streben schon seit 2012 Partnerschaften mit jungen Unternehmen an, anfangs noch mit kleinen Geldbeträgen als Anreiz, Gesundheitsapps zu entwickeln – daher kommt auch der Name des Programms, stand G4A damals noch für Grants4Apps (= Förderung für Apps). Nun fokussiert sich Bayer auf die Arbeit an Schwerpunktthemen wie Herzkreislauferkrankungen oder Frauengesundheit, den Einsatz künstlicher Intelligenz für die Entwicklung neuer Medikamente oder auch Plattformen für den Austausch mit Patienten.

Aktuell sei Bayer vor allem an Entwicklungen in den etablierten Therapiegebieten interessiert: Wir sind aber auch offen, Geschäftsfelder in für uns neuen Bereichen zu erschließen", sagt Varga. Zsuzsanna Varga schweben auch weiterhin Medizin-Apps vor, unter anderem solche, die mit Klängen arbeiten: „Psychische Krankheiten können mitunter mit audiobasierten Therapien behandelt werden, bei denen Klangtöne zur Stressreduktion beitragen oder helfen, Schlafstörungen oder Depressionen zu therapieren.“ Ein Bayer-Projekt habe in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass über Klangbilder Kopfschmerzen bekämpft werden können.

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Bis Ende Mai können sich Start-ups noch um eine Teilnahme bewerben – je nach Reife des Unternehmens hilft Bayer mit einer Anschubfinanzierung, Validierungsstudien oder etwa der Entwicklung eines Geschäftsmodells. „Wir suchen nach Antworten junger, innovativer Unternehmen auf konkrete Herausforderungen der Pharmabranche“, sagt Varga. Die Herausforderungen hat Bayer online veröffentlicht: „Wir suchen nach digitalen Lösungen für die Empfängnisverhütung“, heißt es beim Aufruf zur Bewerbung. Oder: „Hilf uns, mit Neurotechnologie mentale oder neurologische Störungen zu diagnostizieren, sie vorzubeugen oder zu behandeln.“ Eine andere Herausforderung besteht darin, die Analyse und Interpretation von Brustkrebsuntersuchungen zu verbessern.

Übernahme von Start-ups ist nicht geplant

Eine Übernahme der Start-ups steht für Bayer aktuell nicht im Raum: „Es ist wichtig, dass die Start-ups unabhängig bleiben. Denn wir erhalten von ihnen starke Impulse, die wir in der Konzernstruktur überhaupt nicht so flexibel generieren könnten“, sagt Varga. „Die Unternehmen erhalten von uns wiederum Expertise aus der Pharmabranche und Gesundheitsdaten, mit denen sie ihre Algorithmen trainieren können, die dann noch besser funktionieren. Es ist für beide Seiten eine Win-Win-Situation.“

Welche Früchte eine Start-up-Kooperation in der Krebsforschung tragen kann, zeigt das Beispiel des Unternehmens Turbine. Das ungarische Start-up war 2016 Teil von Bayers Forschungsprogramm, bis heute hält die Zusammenarbeit an. Turbine simuliert mit Hilfe Künstlicher Intelligenz das Verhalten von Krebszellen – dadurch ist es zum Beispiel möglich, den Einfluss von Medikamenten auf eine Krebszelle am Computer zu testen. Die Vorteile gegenüber einer klinischen Studie liegen für Varga auf der Hand: „Die Forschungsdauer kann verkürzt und die Medikamentenentwicklung beschleunigt werden“.

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