DigitalisierungSensoren im Asphalt und im Mülleimer

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  • Besucher aus aller Welt bestaunen, wie Santander eine "Smart City" wurde - doch nicht alles läuft rund

Santander –  Die Leinwand bleibt schwarz. Luiz Munoz' Tablet will sich nicht mit dem Beamer verbinden. Der Informatik-Professor drückt Tasten, ruft einen Studenten zu Hilfe, der an Kabeln wackelt, kapituliert schließlich und bringt seinen sehr viel größeren Laptop. Endlich läuft die Präsentation und Munoz setzt an zum Vortrag über sein Baby, über das von ihm initiierte Projekt, über das die einen sagen: Es ist einzig auf der Welt. Andere behaupten, einzigartig daran seien allein seine Verbindungsprobleme.

Weltruhm für die Hafenstadt

Munoz ist der geistige Vater des "Smart City Santander"-Projekts, das der Hafenstadt mit 175 000 Einwohnern zusätzliche Bekanntheit verschafft hat. Seit 2010 wurden im Stadtgebiet 20 000 Sensoren in Parkplatz-Asphalt eingelassen, auf Busse und an Ampeln geschraubt, in Mülltonnen und Wiesen von Parkanlagen versenkt. Sie messen das Leben in der Stadt und übersetzen es in kleine Datenpakete, von denen ein Teil in Sekundenschnelle über einen Bildschirm in Munoz' Büro an der Universität von Kantabrien huscht. Dank dieser Daten sollen Mülleimer nur noch geleert werden, wenn sie wirklich voll sind; Parks automatisch bewässert werden, wenn sie zu trocken sind; öffentliche Parkplätze und Verkehrsmittel effizienter genutzt werden. Die Bürger werden über Apps und GPS auf ihren Smartphones zugleich zu Sendern und Empfängern dieser Daten.

Das Projekt verspricht eine Steigerung der Leistung und Lebensqualität bei sinkendem Aufwand, Schadstoffausstoß, Energieverbrauch und geringeren Kosten. Optimierung durch Technik - viele Städte arbeiten an ähnlichen Ideen. Weil Santander als Vorreiter gilt, kommen Journalisten und Wirtschaftsdelegationen aus aller Welt hierher, stecken die Köpfe auf der Suche nach Sensoren in Mülltonnen und hören sich Munoz' Vorträge an, so wie heute eine sechsköpfige DGB-Delegation um Vorstandsmitglied Stefan Körzell.

Javier Cea bricht bei Zeitungsschlagzeilen, die Santander als "intelligenteste Stadt der Welt" oder "Spaniens digitale Musterstadt" preisen, in lautes Lachen aus. Seit 30 Jahren leert er als Müllmann die Abfalltonnen der Stadt. "Nichts ist hier smart", sagt der 52-Jährige. Nur die relativ neuen Behälter für Papier und Glas seien mit Sensoren ausgestattet, das bestätigt auch die Stadt. "Diese Sensoren arbeiten seit Monaten nicht richtig", erzählt Cea. "Ich fahre weiter meine alte Route und leere jeden Mülleimer."

Bei einem Treffen der DGB-Besucher mit den spanischen Gewerkschaftskollegen der UGT und städtischen Angestellten wird rasch klar: Auch bei Polizei, Rettungskräften, öffentlichen Verkehrsmitteln und der Verwaltung bleibt die intelligente Stadt aus Sicht der Beschäftigten hinter den Erwartungen zurück - weil die Technik häufig nicht funktioniere. Und es sind nicht bloß die technischen Probleme, die den Gewerkschaften Kopfzerbrechen bereiten: Die erhobenen Daten könnten auch verwendet werden, um Angestellte zu überwachen - Straßenkehrer, die am Anfang ihrer Schicht vom Chef ein Handy erhalten, würden schon heute minutengenau per GPS überprüft. Unklar sei außerdem, welche Unternehmen in Santander - private Firmen haben unter anderem Müllabfuhr, Wasserversorgung und die lokale Steuerprüfung übernommen - überhaupt Zugriff auf die Informationen haben. Die Bürger seien bei Einführung des Projekts nicht befragt und die Beschäftigten bis heute nicht einbezogen worden. "Das Projekt hat keinen Kontakt zur Basis, zur Realität", sagt UGT-Chef Jesus Gallego. "Es ist wie ein Ufo, das über unseren Köpfen schwebt." Die hohen Ausgaben, die zum großen Teil mit EU-Fördergeld bestritten wurden, führten auf diese Art nicht zu größerer Effizienz. Das sind Fehler, die DGB-Mann Stefan Körzell in Deutschland dringend vermeiden will: "Das läuft für mich an den Menschen vorbei. Aber so ein Projekt kann nur mit den Menschen funktionieren." Für Beschäftigte drohe sonst die "digitale Peitsche".

Keine Angaben zum Budget

Wie viel Geld das "Smart City"-Projekt die Stadt und die EU genau gekostet hat, beantwortet die Verantwortliche im Rathaus auch auf mehrfache Nachfrage nicht. Sie verweist lediglich auf einen EU-Topf für Smart Cities, den Santander und die beteiligten Unternehmen gemeinsam mit drei anderen Städten anzapft. Budget: 95 Millionen Euro.

Professor Luis Munoz hört sich Fragen zur Smart City lächelnd an, geht es um den Datenschutz für die Beschäftigten und den Verlust von niedrigqualifizierten Jobs sagt er manchmal aber auch nur achselzuckend: "Ich habe meine Ansicht und Sie Ihre." Oder: "So ist das Leben." Für die effiziente Verwendung der Daten seien am Ende die privaten Unternehmen zuständig, nicht die Uni oder die Stadt. Und so vieles helfe den Bürgern im täglichen Leben, zum Beispiel eine App, die jeden Shop in der Stadt mit Homepage und Sonderangeboten verzeichne.

Munoz will sie beim Stadtrundgang vorführen, öffnet sie auf seinem Smartphone. Doch da dreht sich nur ein Rädchen. Verbindungsprobleme.

Smarte Städte in NRW

Köln: In der Stegerwaldsiedlung werden im Rahmen des europäischen Energie-Projekts "Grow Smarter" in einem Modellversuch 16 Häuser mit 700 Wohnungen mit Photovoltaik und Wärmepumpen ausgestattet, um sich weitestgehend selbstständig zu versorgen. Den Bewohnern soll über sogenannte "SmartMeter" jederzeit mitgeteilt werden, wie viel Strom sie gerade verbrauchen. "Grow Smarter" ist mitfinanziert von der Europäischen Union. Gemeinsam mit Stockholm und Barcelona hatte Köln eine Ausschreibung der EU gewonnen - die drei Städte teilen sich 25 Millionen Euro für smarte Projekte. Düsseldorf: Die Stadt hat im Mai 2017 - wie viele Unternehmen bereits seit Jahren - einen Digitalverantwortlichen ("Chief Digital Officer") eingesetzt, der die Arbeit zwischen Stadt, Bürgern und Unternehmen koordinieren soll. Ende März startet ein neues Serviceportal, über das Bürger Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden sowie Anwohnerparkausweise vollständig online beantragen können.

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