Dr. Oetker kauft „Flaschenpost“Was hinter dem Eine-Milliarde-Euro-Deal steckt

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Transporter des Start-Ups Flaschenpost

Köln/Münster – Es ist eine Übernahme, die nicht nur in Start-up-Kreisen für großes Raunen sorgt: Der Bielefelder Nahrungsmittelkonzern Dr. Oetker übernimmt den Münsteraner Getränkelieferdienst Flaschenpost – Medienberichten zufolge für die stolze Summe von einer Milliarde Euro. Damit würde Flaschenpost in den Kreis der wertvollsten deutschen Start-ups aufsteigen. Eine Einordnung, wieso das Geschäftsmodell der Münsteraner gerade so attraktiv ist – und was Dr. Oetker sich von dem Kauf erhofft.

Was ist über die Übernahme bekannt?

Die Oetker Gruppe bestätigte am Montag die geplante Übernahme. Entsprechende Verträge seien unterschrieben worden, die Zustimmung der Kartellbehörden stehe aber noch aus, hieß es in einer Mitteilung.

Die Oetker-Gruppe hatte bereits im Flaschenpost-Gründungsjahr 2016 Interesse an dem Münsteraner Start-up angemeldet. Damals rief man stattdessen letztlich mit „Durstexpress“ einen eigenen Lieferdienst ins Leben, der das Flaschenpost-Prinzip kopierte. Nach der Übernahme sollen nun beide Dienste zusammengelegt und von einem Vorstand geleitet werden, der sich aus Mitgliedern beider Führungen zusammensetzt.

Über Flaschenpost und die Oetker-Gruppe

Der Getränkelieferdienst Flaschenpost verspricht, Getränkelieferungen innerhalb von 120 Minuten und ohne Liefergebühr zuzustellen. Aktuell gibt es dem Start-up zufolge 23 Lagerstandorte, die 150 deutsche Städte beliefern. Im Jahr kommt das Unternehmen auf zwei Millionen Lieferungen im Jahr, es beschäftigt 7000 Mitarbeiter. In der Vergangenheit hatten immer wieder Mitarbeiter über schlechte Arbeitsbedingungen geklagt.

Die Oetker-Gruppe zählt mit etwa 400 Firmen  zu den größten Familienunternehmen Europas. Zur Brauereigruppe Radeberger zählen neben Radeberger auch Biere wie Jever, Schöfferhofer und Gilden Kölsch. (elb)

Dem Portal „deutsche-startups.de“ zufolge, das zuerst über den Kauf berichtete, soll Dr. Oetker eine Milliarde Euro für Flaschenpost bezahlen. Das Portal beziffert den Flaschenpost-Umsatz darüber hinaus für Oktober auf 27 Millionen Euro – und rechnet vor, dass Oetker dementsprechend etwa drei Jahres-Umsätze für die Übernahme zahlt. Die beteiligten Unternehmen wollten das am Montag nicht kommentieren, die Angaben des Online-Portals gelten Experten zufolge aber als glaubwürdig. Flaschenpost würde damit zu einem der wertvollsten deutschen Start-ups überhaupt aufsteigen. Paul Wolter, Sprecher des Bundesverbands Deutsche Startups, schätzt, dass es bundesweit nur etwa zehn bis 20 sogenannte „Unicorns“ gibt, also Start-ups, die vor dem Börsengang oder Verkauf einen Marktwert von einer Milliarde Euro haben.

Wieso ist Flaschenpost so interessant für die Oetker-Gruppe?

Im Alltag kennen die meisten Verbraucher die Oetker-Gruppe vor allem durch die gleichnamigen Back- und Tiefkühlwaren. Tatsächlich gehören zum Unternehmen insgesamt knapp 400 Firmen, darunter auch die größte deutsche Brauereigruppe Radeberger, unter deren Dach Flaschenpost künftig fällt.

Flaschenpost ermöglicht es der Oetker-Gruppe nun, einen direkten Zugang zum Verbraucher zu gewinnen – was in der Branche zunehmend im Trend liegt: „Bislang hatten vor allem die Händler den Kontakt zu den Kunden“, sagt Lars Hofacker, Leiter des Bereichs E-Commerce am Handelsforschungsinstitut EHI in Köln. „Mittlerweile versuchen aber auch die Hersteller verstärkt, direkt an sie heranzutreten.“

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Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Konsumenten, ohne den dazwischengeschalteten Handel, gewönnen an Bedeutung. Im Netz etablierten sich immer mehr Hersteller, die ihre Produkte ohne die Schnittstelle im Handel direkt an den Kunden brächten. Denn zum einen bedeutet der direkte Kundenkontakt eine höhere Marge – zum anderen bekommt das Unternehmen viele Informationen über Vorlieben der Kunden, die sonst beim Händler landen.

Hinzu kommt, dass Lebensmittel- und Getränke-Lieferdienste in der Corona-Krise einen Boom erleben. Im Corona-Lockdown im Frühjahr waren Lieferservices wie der Rewe Lieferdienst und Picnic Wochen im Voraus ausgebucht. Picnic sprach von bis zu zehnmal mehr Bestellungen. „Viele dieser Kunden werden auch weiter online bestellen“, sagt Handelsexperte Hofacker. „Durch den Lockdown haben sich die Menschen erstmals mit dem Thema Lebensmittelbestellung auseinandergesetzt. Sie haben gesehen, dass es funktioniert.“

Was bedeutet die Übernahme für die Gründerszene?

„Die Nachricht dieses Exits ist extrem wichtig für das deutsche Start-up-System“, sagt Wolter. Von einem Exit spricht man in der Gründerszene, wenn Gründer und Investoren ihr gewachsenes Start-up für den größtmöglichen Gewinn verkaufen. In dieser Größenordnung passiere das in Deutschland extrem selten. „So etwas sehen wir nicht oft. Und es ist besonders schön, dass hier ein deutscher Familienkonzern den Mut hat, ein junges, deutsches Start-up zu laufen.“

Viele Start-ups fänden hierzulande bislang nur ausländische oder gar keine Käufer. Gerade auch für den Standort Nordrhein-Westfalen – wo sowohl Oetker als auch Flaschenpost beheimatet sind – sei der Verkauf ein wichtiges Signal, so Wolter. Start-ups fänden leichter Investoren, wenn es Erfolgsbeispiele gebe, die zeigten, wie gewinnbringend Anteile später einmal verkauft werden könnten.

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