Ergo-Chef Achim Kassow„Der Trend geht bei Versicherungen zur Maßschneiderei“

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Achim Kassow, Chef der Ergo, über Konkurrenz durch Internetriesen wie Amazon, den Trend zu individualisierten Tarifen und die Zukunft der Lebensversicherung

Achim Kassow, Chef der Ergo, über Konkurrenz durch Internetriesen wie Amazon, den Trend zu individualisierten Tarifen und die Zukunft der Lebensversicherung

Der Internetriese Amazon wird demnächst eine Krankenversicherung anbieten, der Sprachassistent Alexa vielleicht künftig Versicherungen verkaufen. Wie werden sich klassische Versicherer in dieser neuen Branchenwelt behaupten können?

Die Digitalisierung verändert die Branche grundlegend. Zum einen entstehen neue Daten, etwa wenn ein Auto Strecken und Fahrstil erfasst. Daraus lassen sich neue Versicherungsprodukte entwickeln. Zweitens verändert sich der Kontakt zum Kunden durch den direkten Online-Zugang. Das hat Auswirkungen auf unsere Vertriebswege. Agenturen müssen mit neuen Technologien verbunden werden. Und drittens sind wir in unseren Betriebsabläufen neu gefordert: Wenn der Kunde in direktem Kontakt zu uns steht, wird schnell klar, dass unsere Prozesse bisher nicht immer intuitiv verständlich waren.

Das klingt ein Stück weit so, als ob Sie den Kunden jetzt erst für sich entdecken …

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In der alten Welt lief der direkte Kontakt schwerpunktmäßig über unsere Vertriebspartner. Da stand es nicht im Vordergrund, ob ein Formular einfach war oder kompliziert, es wurde ja erklärt. In der neuen Online-Welt muss es einfach sein, sonst wendet sich der Kunde ab. Hinzu kommt die Spartentrennung mit getrennten Betriebsbereichen in Leben-, Sach- oder Krankenversicherung. Ein Kunde, der Versicherungen aus verschiedenen Sparten bei uns hat, erwartet natürlich, dass er ganzheitlich wahrgenommen wird. Das stellt neue Anforderungen an unsere Organisation. Wir müssen das Silo-Denken aufgeben und lernen, enger zusammenzuarbeiten.

Amazon und Google verfügen über enorme Datenmengen und könnten Versicherungsrisiken genauer berechnen. Erhöht das nicht auch den Druck auf die Versicherer, Kunden zu animieren, freiwillig mehr Daten zur Verfügung zu stellen?

Eins ist klar, neue Daten und neue Auswertungsmöglichkeiten führen zu immer differenzierteren Angeboten. Der Trend geht hier klar zur Maßschneiderei.

Das heißt auch, die Ergo bietet mehr individualisierte Tarife auf Basis persönlicher Daten an?

Das hängt stark von der Art der Versicherung ab. Bei der Autopolice kennen Sie sicher bereits Tarife, die berücksichtigen, ob das Auto in einer Garage steht oder vorwiegend von einer Mutter mit zwei Kindern genutzt wird. In der Krankenversicherung aber halten wir nichts von verhaltensbezogenen Prämien. Wir haben mit der Beitragsrückerstattung ein wirksames Instrument, das denjenigen finanzielle Vorteile bringt, die Leistungen der Versicherung nicht in Anspruch nehmen.

Aber führt das nicht dahin, dass Menschen mit gesundem Lebenswandel immer weniger bereit sind, für andere mitzubezahlen?

Ich bin da vorsichtig. Gesunder Lebenswandel heißt ja nicht zwingend anhaltend gute Gesundheit. Keiner von uns kann seine persönliche Gesundheitszukunft vorhersagen. Und hier greift ja gerade das Versicherungsprinzip: Für den Einzelnen nicht oder nur sehr teuer zu schulternde Risiken werden im Kollektiv getragen.

Digitalisierung heißt meist auch Stellenabbau.

Digitalisierung ist ein Prozess, bei dem sich vieles verschiebt. Klassische Verwaltungstätigkeiten etwa werden unter Druck kommen. Dafür werden die Anforderungen im direkten Kundenkontakt zunehmen. Die Menschen informieren sich online und erledigen auch immer mehr selbst im Netz. Aber wenn sie persönliche Unterstützung brauchen, dann bitte auch fachlich fundiert. Da steigen die Kundenerwartungen kontinuierlich. Beratungs- und Servicequalität machen im Wettbewerb den Unterschied.

Warum sollte man heute noch eine Lebensversicherung abschließen?

Weil es vernünftig ist, langfristig zu sparen. Die soziale Sicherheit im Alter bleibt eine Herausforderung. Die klassischen Tarife mit Garantiezins liefern im aktuellen Zinsumfeld sicher vergleichsweise geringe Erträge. Modernere Produkte sind individuell gestaltbar. Je nach persönlicher Risikoneigung können Sie hier Ihre Renditechancen erhöhen. Es gibt kein anderes Produkt, das über einen so langen Zeitraum eine solche Planungssicherheit bietet. Das geht ansonsten nur über die eingesparte Miete in einem Eigenheim. Nur wie viele Menschen können sich Wohneigentum leisten, zumal in Städten wie Köln?

Das Vertrauen dürfte erschüttert werden, weil einige Versicherer wie auch die Ergo, ihre Lebensversicherungsbestände verkaufen wollen.

Es ging ja nicht darum, das Lebensversicherungsgeschäft aufzugeben. Wir haben Varianten für die Zukunft eines klassischen Lebensversicherers geprüft und uns dafür entschieden, das Geschäft selbst weiterzuführen. Jetzt bauen wir mit IBM eine neue IT-Plattform, um noch kostengünstiger zu werden. Die könnten wir grundsätzlich auch für andere Anbieter öffnen. Davon profitieren auch die Kunden.

Zum Unternehmen und der Person

Die Ergo Group ist ein Versicherungskonzern mit Sitz in Düsseldorf. Sie entstand durch den Zusammenschluss der Victoria und der Hamburg-Mannheimer. Weltweit ist die Gruppe in über 30 Ländern vertreten. Das Unternehmen gehört zum Rückversicherer Munich RE. Unter dem Dach der Ergo findet sich unter anderem die DKV Krankenversicherung.

Achim Kassow geboren am 6. Juli 1966 in Hannover, machte nach dem Abitur eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Deutschen Bank. Im Anschluss studierte er BWL an der Universität Köln, wo er auch promovierte. Nach Stationen unter anderem bei der Deutschen Bank, der Commerzbank sowie der Allianz, ist er seit 2016 Vorstandsmitglied der Ergo Deutschland.

Seit 2017 ist der Vorstandsvorsitzender. Kassow ist verheiratet und hat drei Kinder zwischen neun und zwölf Jahren. Seine Freizeit verbringt er nach eigener Aussage vor allem mit der Familie.

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