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Homeoffice-Boom in der KriseWas nach sechs Monaten mobiler Arbeit bleibt

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Bislang gelten Wohnzimmer oder Schlafzimmer für Homeoffice steuerlich nicht als Arbeitszimmer.

Bislang gelten Wohnzimmer oder Schlafzimmer für Homeoffice steuerlich nicht als Arbeitszimmer.

  • Vor sechs Monaten gingen Millionen Arbeitnehmer von heute auf morgen ins coronabedingte Homeoffice. Nun ziehen Unternehmen, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ein Fazit.
  • Während die einen ein Recht aufs Homeoffice gesetzlich verankern wollen, sagen die anderen: Wieso, hat doch auch so funktioniert.
  • Was funktioniert hat, wo es noch hapert und wessen Mitarbeiter nun für immer im Homeoffice bleiben dürfen. Eine Bilanz.

Köln – Vor der Corona-Pandemie arbeiteten vier Prozent der Beschäftigten überwiegend im Homeoffice, im Juli traf das auf jeden vierten Arbeitnehmer zu. Diese Zahlen aus einer Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung belegen, was viele Berufstätige längt wissen: Homeoffice ist keine Ausnahme mehr, keine exotische Arbeitsform, die Freiheit und längeren Schlaf verspricht, sondern für viele Menschen Alltag, der genauso viel Anstrengung und deutlich mehr Disziplin erfordert als die Arbeit im Büro. Doch wie geht es weiter?

„Mehr mobile Arbeit ist technisch möglich und effektiv“, bilanziert der Kölner Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Witich Roßmann, die letzten sechs Monate Corona-Homeoffice. Er fordert: „Beschäftigte sollen künftig einen Anspruch auf mobile Arbeit haben.“ In die gleiche Kerbe schlug bereits Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), als er ankündigte, ein „Recht auf Homeoffice“ auf den Weg zu bringen. Solche Überlegungen gingen „völlig fehl“, antwortet Tanja Nackmayr vom Arbeitgeberverband Unternehmer NRW: „Es muss weiterhin Sache der Unternehmen und Beschäftigten bleiben, hier individuelle und pragmatische Lösungen zu finden“. Das habe bis jetzt funktioniert und werde auch in Zukunft so am besten funktionieren.

Es hat funktioniert, sagen Arbeitgeber

Und tatsächlich, es hat funktioniert. Sagen zumindest einige der bedeutendsten Arbeitgeber der Region: Am 19. März schloss der Autobauer Ford aufgrund der Corona-Krise nahezu alle Werke in Europa. Die Produktion ruhte, die Verwaltung ging ins Homeoffice. „Die technischen Voraussetzungen wie Laptops für die Mitarbeiter waren zwar vorher schon gegeben“, sagt Fordsprecher Marko Belser. Die Herausforderung sei die IT gewesen. „Von heute auf morgen mussten die Mitarbeiter Zugriff auf zahlreiche Programme bekommen oder die Möglichkeit, auch digital Dokumente zu unterzeichnen“, so Belser. In mehreren Umfragen sei die Resonanz der Mitarbeiter aber sehr positiv gewesen. Lediglich bemängelt wurde der fehlende Austausch und die persönliche Begegnung mit den Kollegen.

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Nach den Sommerferien sind die Mitarbeiter bei Ford ins Büro zurückgekehrt, aber „wünschen sich künftig einen Mix aus Home- und Büroarbeit“, sagt Belser. Das nehme der Konzern nun mit in die Zukunft.

Warum auch nicht? Beim Bayer-Konzern gebe es „keine Anhaltspunkte für einen Rückgang der Produktivität des Unternehmens und seiner Beschäftigten durch den flächendeckenden Wechsel der Beschäftigten ins Homeoffice“, sagt ein Sprecher. Und das obwohl die Dimensionen des Arbeitsplatzwechsels bei den Leverkusenern gewaltig sind: Mit 12.000 Beschäftigten arbeiteten etwa 40 Prozent der deutschen Belegschaft während der Krise Zuhause. Schon zurückgekehrt seien vielleicht 15 Prozent, sagt der Sprecher: „Nach den insgesamt positiven Erfahrungen der vergangenen Monate steht für uns fest: Wir werden nach der Corona-Pandemie nicht zur alten Arbeitsweise zurückkehren.“ Künftig soll es mehr Flexibilität, mehr Freiraum geben.

Voraussetzungen vor Jahren geschaffen

Auch bei der Kölner Messe arbeitet der Großteil der Angestellten seit Mitte März mobil von Zuhause. Die technischen Voraussetzungen wurden dafür schon vor Jahren getroffen, heißt es vom Unternehmen. Und dennoch: „Wir haben die Situation deutlich gespürt und eingeschliffene Arbeitsprozesse mussten neu gedacht werden“, sagt eine Sprecherin: „Die Kommunikation, sowohl übergreifend als auch innerhalb der Teams, musste kurzfristig komplett neu gedacht und umgestellt werden.“ In den nächsten Wochen und Monaten will die Messe weiter am mobilen Arbeiten festhalten. Und danach? „Wir werden sicher nicht den Schalter wieder umlegen und Dinge, die gut funktionieren, komplett zurückdrehen.“

Die Berner Group – Handelsunternehmen für Schrauben, Chemie und Kfz-Teile mit Sitz in Köln – hatte im Rahmen des Krisen-Managements bereits im Februar Hunderte zusätzlicher Laptops angeschafft. „Durch die Krise hat sich die Zeit von Online-Meetings innerhalb von wenigen Tagen versiebenfacht und die Nutzung der Videotelefonie mehr als verdoppelt“, sagt ein Sprecher des Unternehmens.

Berner beschäftigt aktuell etwa 2500 Mitarbeiter in Deutschland, gut die Hälfte davon im Außendienst. „Im Lockdown waren wir zeitweise gezwungen, bis auf wenige Ausnahmen, alle Kollegen von zu Hause arbeiten zu lassen.“ Bei steigenden Infektionszahlen gilt derzeit, dass sich maximal die Hälfte einer Abteilung im Büro befinden darf. Das soll auch erst einmal so bleiben.

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Kaum jemand aber reagiert so radikal wie Jean-Marc Noёl. Der Geschäftsführer des Kölner E-Commerce-Dienstleisters Trusted Shops kündigte schon im Mai an: Alle 500 Mitarbeiter dürfen dauerhaft im Homeoffice arbeiten – wenn sie denn wollen. „Ohne die Corona-Krise hätten wir das Experiment nicht gewagt“, sagt Noёl: „Was anfangs zum Schutz für unsere Mitarbeiter gedacht war, hat sich als wertvolle Erfahrung herausgestellt.“

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