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Umschulung während CoronaKölner Rapper „Tatwaffe“ ist jetzt Erzieher

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Alex Terboven arbeitet mit Mädchen im Rap-Workshop des Jugendzentrums „Glashütte“ in Köln-Porz.

Alex Terboven arbeitet mit Mädchen im Rap-Workshop des Jugendzentrums „Glashütte“ in Köln-Porz.

Köln – „Du musst was tun, Bruder! Ich weiß, wie weit der Weg ist“, rappt „Tatwaffe“ auf seinem neuen Album „Gleichgewicht“, das in dieser Woche erscheint. Der Mann gehört zu den Pionieren der deutschsprachigen Rap- und Hip-Hop-Szene. In Zeiten, als man noch CDs in nennenswerter Zahl verkaufen konnte, hat er als Solist sowie mit seinen Formationen „Das Duale System“ und „Die Firma“ nicht schlecht verdient. Mit dem Hit „Die Eine“ erreichte er Platinstatus in Deutschland. In Österreich gab es Gold.

Diese Zeiten sind vorbei, doch „Tatwaffe“ bleibt auch im Zeitalter von Youtube und Streaming aktiv. Die wichtigste Neuigkeit aus dem Leben des Kölner Rappers aber hat weniger mit neuen Songs zu tun: „Tatwaffe“ rappt nur noch nebenberuflich. Alexander Terboven hat die staatliche Prüfung zum Erzieher geschafft. Zurzeit macht er sein Anerkennungsjahr im Jugendzentrum „Glashütte“ in Porz.

Die Arbeit mit Jugendlichen ist ihm nicht fremd, weil er in den vergangenen Jahren immer wieder Rap-Workshops angeboten hatte. „Daher wusste ich, wie erfüllend es sein kann, wenn man sieht, wie Jugendliche so ein Angebot annehmen und anfangen, an sich zu arbeiten. Das bereichert mein Leben.“ Der neue Job passe prima zum alten: „Ich habe immer schon Lieder gemacht, die Werte und Perspektiven vermitteln wollten.“ Nun könne er zwei Leidenschaften miteinander verbinden. Die Musik eröffne den Jugendlichen die Möglichkeit, sich auszudrücken. „Rappen ist wie ein Rollenspiel. Das hilft, sich über die eigene Lage und die eigenen Gefühle klar zu werden. Die Jugendlichen investieren Mühe, Zeit und Arbeit.“ Und das mache sich dann auch außerhalb eines Rap-Workshops bemerkbar, bis hin zu besseren Leistungen in der Schule.

Lernen mit drei Kindern zu Hause

Der Weg in den neuen Beruf begann für Terboven mit der Entscheidung seiner Frau, die er einst im Hit „Die Eine“ besungen hatte. Sie hatte ein Ausbildungsangebot für sich entdeckt, das Quereinsteiger und Berufswechsler auf die Erzieherprüfung vorbereitet, und ihn gefragt, ob er nicht mitmachen wolle. Einfach wurde es nicht. Die Corona-Pandemie verlangte der Kölner Familie zusätzlich einiges ab: Zeitweise saßen die beiden lernenden Eltern mit ihren drei Kindern zu Hause, weil diese im Lockdown nicht in die Schule durften. „Es grenzt an ein Wunder, dass wir das geschafft haben.“

Leute wie Alexander Terboven werden dringend gebraucht – in sozialen Einrichtungen, in der Jugendarbeit und in Kindertagesstätten. Bis zum Jahr 2025 fehlen nach Angaben des Wirtschaftsinstituts Prognos rund 200 000 Erzieher in Deutschland. Es wird nicht reichen, nur junge Leute zu begeistern. Auch Quereinsteiger sind willkommen.

Quereinstieg in den Beruf

Neben dem „Elex“-Angebot gibt es weitere Möglichkeiten zum Quereinstieg. Das Bundesfamilienministerium hat Infos zu seiner „Fachkräfteoffensive“ im Internet zusammengestellt. Unter dem Stichwort „Wege in den Beruf“ kann man sich auch über die Rahmenbedingungen in NRW informieren.

www.fachkraefteoffensive.fruehe-chancen.de

www. erzieher-lehrgang.de

Terboven hat an der Qualifizierungsmaßnahme „Elex“ teilgenommen, die von der Agentur für Arbeit gefördert wird. Der Kurs verbindet den Bildungsgang zur Vorbereitung auf die externe Prüfung an einer Berufsschule mit den verlangten 480 Stunden Berufspraxis. „Elex“ wird als Teilzeitangebot organisiert, so dass auch Eltern, die kein ausreichendes Betreuungsangebot für ihre Kinder haben, mitmachen können. Im Laufe der vergangenen Jahre haben so bereits Hunderte aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern die Erzieher-Prüfung bestanden – von der Zahnarzthelferin über den Chemiefacharbeiter bis zur Modegestalterin. Ein studierter Bergbauer war genauso dabei wie ein Abwassertechniker oder die ehemalige Restaurantleiterin der Drachenburg auf dem Drachenfels. Die Mehrzahl der Kursteilnehmer waren Frauen. Doch die Zahl männlicher Interessenten wächst.

Anstrengung mit Erfolgserlebnissen

„Ich wollte etwas sinnvolles Neues machen“, sagt der 42-jährige Kursteilnehmer André Besseling. Eine private Krise habe sich mit dem Wunsch verbunden, sich beruflich neu zu orientieren. Das hat ihn nun in eine zweisprachige, private Kindertagesstätte in Köln-Niehl geführt. Neben dem Koch ist er dort der einzige Mann. Dass die Arbeit mit den Kindern „furchtbar anstrengend“ werde, sei ihm vorher klar geworden. Doch dafür gebe es viele Erfolgserlebnisse. „Ich bin viel mehr gefordert als in meinem alten Job, mit meiner ganzen Persönlichkeit.“ Und so fahre er jeden Nachmittag gut gelaunt und glücklich nach Hause.

Der ausgebildete Mediengestalter arbeitete zuvor als Tontechniker beim Fernsehen. Er sei das unstete Leben mit einer schlecht planbaren Freizeit leid gewesen. „Als Tontechniker habe ich immer nur zugehört und die Interaktion vermisst.“ Die erste Anregung, das zu ändern, habe er erfahren, als ihm bei der Suche nach einer Kita für seinen Sohn in einer Einrichtung ein männlicher Erzieher die Tür geöffnet habe. „Da habe ich gedacht, dass das auch was für mich sein könnte.“ Kinder bräuchten auch männliche Bezugspersonen in ihrer Kita, ist er überzeugt. Die Reaktionen von Kindern und Eltern an seinem neuen Arbeitsplatz bestätigten dies.

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Auch Besseling berichtet von anstrengenden Monaten vor der Prüfung. Als Über-40-Jähriger liege die Zeit schon länger zurück, in der man es gewohnt war, für Prüfungen zu lernen und Abschlussarbeiten zu schreiben. Die Vorgaben in Pandemie-Zeiten erschwerten den Austausch und die gemeinsame Teilnahme an den Kursangeboten. „Zeitweise war man ganz auf sich alleine gestellt. Da war man stark gefordert, die Lerndisziplin aufrechtzuerhalten.“

Hohe Erfolgsquote

Das schafft nicht jeder, mancher bricht die Ausbildung ab – nicht nur in Corona-Zeiten. Die Erfolgsquote bei denen, die durchhalten, ist jedoch hoch. Neben Alexander Terboven und André Besseling gingen 42 weitere Teilnehmer des letzten Elex-Kurses zu den Prüfungen an der Berufsschule. Nur zwei scheiterten.

Auch Rapper Terboven kann sich vorstellen, mal in einer Kita zu arbeiten. Bei den Praktika während der Ausbildung habe er erlebt, wie sich auch kleine Kinder dazu inspirieren lassen, über sich hinauszuwachsen. Das gelte vor allem für diejenigen, die aus Problemvierteln oder bildungsfernen Familien kommen. Sie bräuchten die Entfaltungsmöglichkeiten, die eine Kita oder später ein Jugendzentrum bieten können. Er habe schon in wenigen Monaten „viele tolle Erfahrungen“ gemacht, die ihn in der Entscheidung für den Zukunftsberuf bestätigt hätten. So sieht es auch André Besseling: „Ich kann jeden nur ermuntern, sich so einen Wechsel zu überlegen.“

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