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IHK-Präsidentin Nicole Grünewald„Wirtschaft nicht gegen Menschenleben ausspielen“

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  • Nicole Grünewald ist seit Ende Januar Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Köln.
  • Sie mahnt, dass es zu lange gedauert habe, bis Soforthilfen in NRW verfügbar gewesen seien. Außerdem berichtet sie von Schwierigkeiten bei der Antragstellung.
  • Zu der Diskussion um eine Exit-Strategie hat Grünewald eine klare Position.

Köln – Frau Grünewald, Bund und Land haben umfangreiche Hilfspakete geschnürt. Welche Rückmeldungen bekommt die Kammer von den Unternehmen?

Die Soforthilfen für kleine Unternehmen und Soloselbstständige konnten in NRW am vergangenen Freitag beantragt werden. Bayern war hier anderthalb Wochen schneller. Der Start war dann mit überlasteten Servern auch etwas holprig. Die IHK hat deshalb auch am Wochenende eine Hotline angeboten, diese war auch stark nachgefragt. Es war jedenfalls gut, die Antragsfrist für die Soforthilfe bis Ende Mai zu verlängern, um die Situation etwas zu entschärfen.

Wo gab es Schwierigkeiten?

Einige der Antragskriterien haben sich zwischendurch geändert, das war etwas verwirrend. Unsere Berater an der Hotline haben sich aber mit dem Ministerium abgestimmt und konnten dann das Meiste klären. Seit Donnerstag gibt es nun auch eine verbindliche FAQ-Liste.

Zur Person

Nicole Grünewald, Jahrgang 1973, hat in Münster Publizistik, Anglistik und Germanistik studiert und im Fach Kommunikationswissenschaft promoviert. Sie ist Inhaberin der  Werbeagentur „The Vision Company“.  In der IHK  war sie  Sprecherin des Netzwerks Mittelstand und Vollversammlungsmitglied. Von 2010 bis 2015 gehörte sie  dem Präsidium an. Am 28. Januar  diesen Jahres wurde Grünewald als erste Frau zur Präsidentin der IHK Köln gewählt. (cos) 

Sind denn die Hilfen bei vielen schon angekommen?

Seit Donnerstag gibt es die ersten positiven Rückmeldungen. Es war auch wirklich höchste Zeit. Die Soforthilfe ist richtig und wichtig, und vielen Unternehmen bis 50 Mitarbeitern ist damit vorerst geholfen. Die Betonung liegt aber auf vorerst. Die Hilfe ist für drei Monate angelegt. Beispielrechnungen zeigen aber, dass es in vielen Fällen nicht so lange reichen wird. Man darf nicht vergessen: Die Unternehmen, die schließen mussten oder hohe Umsatzeinbußen zu verkraften haben, trifft das alles völlig unverschuldet.

Wissen Sie von Fällen, die abgelehnt wurden und wenn ja, warum?

Ja, es gab einige Fälle bei unserer Hotline, teilweise sind die Anträge falsch ausgefüllt, teilweise geht es darum, dass die unternehmerische Tätigkeit nicht der Haupterwerb ist und deshalb keine Soforthilfe gezahlt wird. Die Fälle sind natürlich sehr individuell. Manche Anrufer haben noch keine Eingangsbestätigung und keine Bewilligung. Das ist sicher auch den 320.000 Anfragen in weniger als einer Woche geschuldet. Das Land bittet hier noch um etwas Geduld. Wie viele Unternehmen in der Region fürchten eine Pleite? In einer Bundesumfrage war das jeder fünfte Betrieb, darunter sehr viele Mittelständler. Das wird bei uns in der Region nicht anders sein.

Bei Mittelständlern mit über 50 Mitarbeitern greifen die Soforthilfen nicht. Welche Rückmeldungen haben Sie hier?

Neben Steuerstundungen und Anpassung der Steuervorauszahlungen haben diese Unternehmen zurzeit nur die Möglichkeit, einen Kredit zu beantragen. Und das gestaltet sich derzeit an vielen Stellen katastrophal. So können zurzeit nur Unternehmen Hilfen beantragen, die den Kredit innerhalb von fünf Jahren sicher zurückzahlen können. Wie soll man das in der jetzigen Situation verbindlich zusagen? Unternehmen berichten von Kreditangeboten mit 8,5 Prozent Zinsen – das würde dazu führen, dass sie nach der Krise auf einem hohen Schuldenberg sitzen. Das grundsätzliche Problem ist, dass niemand weiß, wie lange die Krise dauern wird. Daher ist die für die Banken notwendige Vorhersage über den weiteren Geschäftsverlauf unmöglich.

Die Banken stellen sich also unnötig quer?

Nein, denn die Banken sind nach wie vor an die Standards und damit an Kredit- und Risikoprüfung gebunden. Hier muss schnell und unbürokratisch Abhilfe geschaffen werden, um die Banken handlungsfähig zu machen. Den Unternehmen muss geholfen werden, aber nicht auf Kosten der Banken.

Bislang müssen die Kredite nach fünf Jahren zurückgezahlt werden. Müsste der Staat die Frist verlängern?

Ja, auf jeden Fall mindestens auf zehn Jahre. Besser wäre es, den Zugang zu den Hilfen zu vereinfachen. Zurzeit ist ein Modell im Gespräch, das die unbürokratische Auszahlung von drei Monatsumsätzen vorsieht, gedeckelt auf 500.000 Euro, bei dem die Rückzahlung auch an die wirtschaftliche Lage des Unternehmens gekoppelt ist. Das wäre ein guter Schritt. Wichtig ist, dass es jetzt schnell passiert, es dauert schon viel zu lange. Man kann die Unternehmen nicht länger in der Luft hängen lassen.

Es können jetzt auch Steuern gestundet werden. Reichen die Regelungen aus?

Das Wichtigste ist derzeit die Liquiditätssicherung. Alles, was nicht sofort gezahlt werden muss, ist da hilfreich. Doch es sind natürlich nur Stundungen und damit ein Verschieben des Problems in die Zukunft. Wer die Rechnungen noch zahlen kann, sollte es also tun. Positiv war übrigens die schnelle Reaktion der Stadt Köln. Gewerbesteuern können gestundet werden, ebenso wie Gebühren für Abwasser oder Abfall. IHK-Beiträge können natürlich auch gestundet werden.

Im Kammerbezirk haben viele Firmen Kurzarbeit beantragt…

In der Finanzkrise 2008 waren es in ganz Deutschland 190.000 Unternehmen, die Kurzarbeit beantragt haben. Heute sind es schon 500.000 – hier sieht man auch das Ausmaß der jetzigen Krise. Kurzarbeit ist ein wirksames Instrument, durch das Arbeitsplätze erhalten werden. Wünschenswert wäre aber auch die Einbeziehung von Azubis. Bislang kann man für sie kein Kurzarbeitergeld beantragen, die Gewerkschaften stellen sich hier noch quer. Wenn die Firma keine Gehälter mehr zahlen kann, wird das den Auszubildenden jedenfalls auch nicht helfen.

Wird die IHK plötzlich mehr geschätzt?

Eins muss ich hier mal sagen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der IHK machen einen großartigen Job! Als klar war, dass die Soforthilfeformulare erst Freitagnachmittag online gehen würden, waren sie ganz selbstverständlich auch am Samstag und Sonntag mit Rat und Tat für die hilfesuchenden Unternehmen da und sind auch dieses Wochenende erreichbar. Das wird von den Unternehmen auch gewürdigt. Unsere Hilfe ist sehr gefragt, ob per Hotline, Mail oder über unsere Internetseite oder unseren Corona-Newsletter.

Wie notwendig ist die Debatte über eine Exit-Strategie?

Wir alle erleben gerade eine völlige Ausnahmesituation. Für viele Unternehmen geht es um die Existenz. Natürlich ist es für jeden Unternehmer furchtbar, nicht zu wissen, wie lange dieser Ausnahmezustand noch dauert. Aber wir haben auch hier in Köln weiterhin steigende Corona-Zahlen. Wir können und dürfen die Wirtschaft nicht gegen Menschenleben ausspielen. Das kann man nicht zulassen. Es ist jetzt Aufgabe des Staates, die durch Corona verursachten finanziellen Probleme der Unternehmen zu lindern. Den Erkrankten muss geholfen werden – und der Wirtschaft ebenfalls. Wir sind ein wohlhabendes Land und werden gemeinsam durch diese Krise kommen.

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