Interview mit Hans Peter Wollseifer„Azubis über die Eltern sozialversichern“

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Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, im Gespräch.

Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, im Gespräch.

  • Hans Peter Wollseifer ist Maler- und Lackierermeister. Bis 2009 leitete er seinen eigenen Betrieb.
  • Heute ist er Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT) und der Handwerkskammer Köln.
  • Im Interview spricht er über die Lage von Azubis während der Pandemie, das deutsche Ausbildungssystem und die Situation im Handwerk.

Herr Wollseifer, wir stehen kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres. Wie hat sich die Lage durch Corona verändert?

Hans Peter Wollseifer: Betriebe und Azubis kommen schwer zueinander, weil die sonst üblichen Kontaktwege in diesem Jahr ausgefallen sind. Wegen Corona gab es so gut wie keine Praktika, keine Berufsorientierung auf Messen und in Schulen, auch unsere Speed-Datings sind ausgefallen. Die Betriebe hatten kaum Zugang zu Bewerbern und umgekehrt. Deshalb sind bislang auch deutlich weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden als sonst um diese Zeit, dabei beginnt das Lehrjahr offiziell ja am 1. August.

Zur Person

Hans Peter Wollseifer ist Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT) und gleichzeitig Präsident der Handwerkskammer Köln.

Alles zum Thema Frank-Walter Steinmeier

Im Jahr 1976 legte der heute 64-Jährige seine Meisterprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk ab. Von 1985 bis 2009 leitete er seinen eigenen Betrieb, ein Unternehmen für Bauwerkschutz und Gestaltung. Wollseifer ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Das macht Sorgen, ist aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Denn Jugendliche können auch noch im September oder sogar im Oktober oder November mit der Lehre starten. Daher müssen jetzt im Eiltempo Betriebe und Ausbildungsinteressierte zusammengebracht werden.

Wie wollen Sie das auffangen?

Wir haben als Ersatz für Präsenzveranstaltungen viele Aktivitäten ins Netz verlagert: Webseminare, virtuelle Ausbildungsmessen, WhatsApp-Sprechstunden. Denn wir brauchen eine Aufholjagd in der Akquise neuer Lehrlinge.

Wie verändert sich die Zahl der Lehrstellen und Azubis ?

Die Zahlen sind schon besorgniserregend. Von Januar bis Juni wurden 16,6 Prozent weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs. Insgesamt sind noch über 33 000 Ausbildungsplätze frei in unseren 130 Handwerksberufen. Wir rufen unseren Mitgliedsbetrieben stets zu: Ergreift die Chance, bildet weiter aus. Das ist wichtig, damit ihr auch künftig qualifizierte Mitarbeiter habt. Doch viele Unternehmen sind unsicher angesichts enormer Umsatz-Ausfälle. In einem gemeinsamen Appell mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben wir Betriebe und Jugendliche aufgerufen, sich trotz aller Widrigkeiten gerade jetzt für eine berufliche Ausbildung zu entscheiden.

Wie bewerten Sie die Prämien, die der Bund für Betriebe auslobt, die trotz Corona-Krise ausbilden?

Die Prämien mögen manchem angesichts von Umsatzausfällen bei den Betrieben von 60 Prozent und mehr oder mit Mitarbeitern in Kurzarbeit nicht besonders hoch erscheinen: Pro Ausbildungsplatz soll es einmalig 2000 Euro geben, für jede zusätzliche Lehrstelle 3000 Euro. Aber dass hierfür – auch auf unser Drängen hin – überhaupt Geld locker gemacht wurde, werten wir als ein wichtiges Signal der Wertschätzung für die duale Ausbildung. Und es ist ein Signal an die Betriebe, in ihrem Ausbildungsengagement möglichst nicht nachzulassen.

Wie läuft die Prämienzahlung ab, da gibt es Unsicherheiten?

Die Auszahlung wird über die örtlichen Arbeitsagenturen erfolgen. Natürlich werden die 2000 Euro oder 3000 Euro am Ende eher als eine Anerkennung der Ausbildungsleistungen der Handwerker zu verstehen sein, die Ausbildungskosten können sie nicht decken. Aber immerhin! Denn einen Betrieb kostet die Ausbildung eines Azubis im Durchschnitt rund 16 500 Euro, in manchen Gewerken etwa beim Elektroniker auch deutlich mehr.

Was wünschen Sie sich stattdessen, um das deutsche Ausbildungssystem zu retten?

Wir Handwerker wollen keine Subventionen, wir schlagen stattdessen vor, unsere Azubis gleichwertig zu Studenten zu fördern und zu behandeln. Studenten dürfen bis zum 25. Lebensjahr auf dem Ticket ihrer Eltern kranken- und pflegeversichert sein. Warum steht das Auszubildenden eigentlich nicht zu? Ähnlich die Unfallversicherung.

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Für Studenten werden die Kosten von den Ländern getragen – also aus Steuermitteln. Eine solche Entlastung bietet die Gelegenheit, einmal Ernst zu machen mit einer gleichwertigen Behandlung von beruflicher und akademischer Ausbildung.

Aber Azubis bekommen Geld, Studenten zahlen welches für die Ausbildung…

Azubis bekommen keinen Lohn, sondern eine Vergütung. Das ist keine sprachliche Haarspalterei, sondern ein echter Unterschied. Gehalt oder Lohn sind dazu da, den Lebensunterhalt vollständig zu bestreiten, eine Vergütung jedoch ist ein Zuschuss zum Lebensunterhalt während einer Zeit des Lernens. Dazu kommen noch Kindergeld und andere soziale Förderungen.

Wo läge die Ersparnis, wenn Lehrlinge bei den Sozialabgaben mit Studenten gleichgestellt würden?

Nehmen wir beispielsweise eine Ausbildungsvergütung von 900 Euro: Dann hätten die Azubis rund 90 Euro mehr in der Tasche, der Betrieb gleichermaßen diese 90 Euro und zusätzlich eingesparte Beiträge zur Unfallversicherung. Rund 200 Euro Entlastung für Azubi und Betrieb zusammen wäre für unsere Betriebe ein klares Signal „Pro Ausbildung“. Außerdem würde das handfest die Gleichwertigkeit von Ausbildung und Studium unterstreichen.

Wie hat die Corona-Krise das Handwerk gesamt getroffen?

Die Gewerke im Handwerk waren sehr unterschiedlich betroffen: Das reichte von Betrieben mit komplettem Umsatzausfall bis hin zu Betrieben vor allem im Bau- und Ausbaubereich, die während des Lockdowns weitgehend weiterarbeiten konnten und nur geringe negative Auswirkungen gespürt haben. Wegen nicht nachkommender Aufträge ist in diesen Gewerken in den kommenden Monaten allerdings ein Konjunkturknick zu befürchten. Besonders alle Gewerke im Messebau und Veranstaltungsbereich, wie auch die personennahen Dienstleister hat es böse erwischt. Für viele ist es auch nach den Lockerungen schwierig: Friseure etwa können wegen der Abstandsregeln häufig nicht mehr alle Stühle nutzen. Die Hygienevorschriften wirken sich in den Gesundheitshandwerken aus. Im Mai haben noch 42 Prozent der Handwerksbetriebe von teilweise heftigen pandemiebedingten Umsatzrückgängen berichtet.

Werden Sie die Verluste im dritten und vierten Quartal 2020 wettmachen?

Das Handwerk ist super ins Jahr gestartet, war auf einem klaren Wachstumskurs. Im ersten Quartal waren viele noch im Plus. Dann kam der März. Nun hoffen wir alle, dass die Konjunktur wieder anzieht. Aber auf das Normalniveau werden wir – selbst wenn es bald wieder gut laufen sollte – in diesem Jahr nicht mehr kommen. Viele Geschäfte werden nicht nachgeholt. Die Leute kaufen nicht zweimal beim Bäcker oder Metzger und gehen jetzt auch nicht häufiger zum Friseur.

Profitiert das Handwerk von der Mehrwertsteuersenkung?

Es ist ein enormer administrativer Aufwand für unsere Betriebe, die Kassen und Abrechnungssysteme umzustellen. Im B2B-Bereich entfällt die Wirkung der Steuersenkung, weil die Mehrwertsteuer dort nur ein durchlaufender Posten ist. Im B2C-Bereich mit Endkunden könnte es etwas bringen. Wer für 40 000 Euro ein Auto kauft, spart immerhin 1200 Euro – vorausgesetzt, die Steuersenkung wird weitergegeben. Bei einem neuen Dach ist man auch schnell bei einer Ersparnis von 1000 Euro. Steuersenkungen sind auch viel Psychologie, und das ist bekanntlich das halbe Geschäft.

Finden Sie, die Politik hat richtig gehandelt?

Die Politik hat die Gefahr für die Wirtschaft schnell erkannt und vor allem schnell und angemessen gehandelt. Keine Frage: Der Wirtschaft wurde viel zugemutet. Aber in der Abwägung der Gefahrenabwehr und des Gesundheitsschutzes waren viele Maßnahmen zumindest aus meiner Sicht alternativlos. Besonders die schnellen Liquiditätshilfen über Soforthilfen und Überbrückungsgelder waren die richtigen Schritte nach dem heutigen Stand.

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