Klimaexperte über Corona„Kreuzfahrten werden massiv an Attraktivität verlieren“

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  • In der Coronakrise hat die Politik sehr schnell sehr weitreichende Maßnahmen beschlossen. Viele fragen sich: Wieso klappt das nicht in der Klimakrise?
  • Uwe Schneidewind, Leiter des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie, erklärt im Interview, was das Coronavirus uns über das Klima lehrt.
  • Wie stark gehen die Umweltbelastungen aktuell zurück? Wann sind Menschen zu Einschränkungen bereit? Wieso verlieren Kreuzfahrten an Attraktivität.

Herr Schneidewind, in China hat die Corona-Krise zuletzt merklich die Luftverschmutzung verringert. Finden Sie es makaber zu sagen, dass das Virus gut für das Klima ist?

Es ist nicht ganz angemessen, diese Verbindung herzustellen – womöglich noch mit einem freudigen Unterton. Wir befinden uns zurzeit in einer Ausnahmesituation, in der der Klimaeffekt eine Nebenfolge darstellt. Dennoch lernen wir natürlich einiges, zum Beispiel über Zusammenhänge in der Klimakrise. Die Daten und Erfahrungen, die wir zurzeit sammeln, werden wir später sinnvoll nutzen und reflektieren können.

Inwiefern?

Wir lernen auf sehr vielen unterschiedlichen Ebenen dazu. Zum einen sehen wir konkret, wie stark bestimmte Umwelt- und Klimabelastungen aktuell sinken. Zum anderen ist es hilfreich, zu beobachten, wie diese neuen Formen digitaler Arbeit und digitalen Lernens in der Praxis funktionieren; wie sie sich auch langfristig in den Alltag integrieren lassen. Und: Wir lernen, unter welchen Rahmenbedingungen Menschen zu erheblichen Anpassungen und Solidarität bereit sind. Das alles wird uns viel über die Gesellschaft lehren – und natürlich sehr wichtig für die Klimadebatte sein.

Welche messbaren Auswirkungen hat das Virus denn zurzeit auf das Klima?

Wir stehen noch relativ am Anfang der sehr drastischen Maßnahmen, das heißt, es gibt dazu noch keine konkreten Zahlen. Aber wir werden ein sehr genaues Gefühl dafür bekommen, welche wichtige Rolle Mobilität für das Klima spielt – hier werden die massivsten Einschnitte zu sehen sein. Global, national, aber auch ganz konkret vor Ort, wo der Weg zur Arbeit und der Freizeitverkehr wegbricht. Auch bei den Ölverkäufen und an den Treibstoffmärkten wird sich das deutlich bemerkbar machen. Verkehr macht ja rund 20 Prozent aller CO2-Emmissionen aus.

Zur Person

Prof. Dr. Uwe Schneidewind leitet seit 2010 das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt- und Energie und ist Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Universität Wuppertal.

Der studierte Wirtschaftswissenschaftler forscht zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. 2018 erschien sein Buch „Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels“.

Uwe Schneidewind ist Kandidat von Bündnis 90/Die Grünen bei der Oberbürgermeisterwahl in Düsseldorf und wird seine Tätigkeit am Wuppertaler Institut zum 30. April 2020 beenden, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden.

Hinzu kommen natürlich auch andere Faktoren, von denen wir aus ökonomischer Sicht hoffen, dass sie nicht zu dramatisch ausfallen. Zum Beispiel wird der Energieverbrauch in der Industrie zurückgehen, wenn die wirtschaftliche Aktivität insgesamt zurücktritt. Je länger die Krise anhält, desto deutlicher wird das spürbar.

Was wird sich in den Haushalten verändern?

Die Wärme- und Kälteversorgung wird vermutlich konstant bleiben, vielleicht einen leichten Anstieg erleben. Auf der Nordhalbkugel geht gerade die Heizperiode zu Ende, in einigen Ländern werden dafür verstärkt die Klimaanlagen zu Hause laufen. In Deutschland werden wir diesen Effekt aber nicht so deutlich spüren.

Viele Menschen zeigen sich überrascht über die Schnelligkeit und Radikalität, mit der die Politik zurzeit Maßnahmen verabschiedet und Gelder mobilisiert. Wieso funktioniert in der Corona-Krise, was in der Klimakrise so schwerfällt?

Das ist ein interessantes Phänomen. Man merkt hier sehr stark, welche wichtige Rolle persönliche Betroffenheit spielt. Viele der jüngeren Menschen wissen zwar, dass das Coronavirus keine gravierenden Folgen für sie hätte. Aber sie alle haben Großeltern, Eltern; haben Freunde und Bekannte mit Vorerkrankungen. Die Solidarität ist sehr greifbar, weil jeder eine konkrete Vorstellung davon hat, wen die Maßnahmen schützen. Der Politik ist es sehr gut gelungen, das zu kommunizieren und dementsprechend zu reagieren. Es gibt anscheinend einen erheblichen Unterschied, ob ich mich rücksichtsvoll gegenüber Menschen verhalte, die ich kenne, oder ob es – wie beim Klimawandel – um Menschen in anderen Teilen der Welt und kommende Generationen geht.

Vor allem nationale Tendenzen schlagen gerade deutlich durch: Solidarität lässt sich einfacher der eigenen nationalen Bevölkerung gegenüber als auf globaler oder selbst europäischer Ebene organisieren. Es ist ein Stück weit erschreckend, wie tief die Idee von nationaler Identität und Grenze in uns steckt. Das hat sich in dieser Krisensituation gezeigt.

Was könnten weitere Gründe sein?

Geschwindigkeit ist natürlich ein Faktor. Die rasante Ausbreitung ist unmittelbar messbar und greifbar für die Menschen. Der Klimawandel vollzieht sich zum Beispiel in ganz anderen Zeitskalen. Das macht die Mobilisierung schwieriger.

„Stimmung kann sich radikal verändern“

Inwiefern spielt die Dauer der Maßnahmen eine Rolle? Aktuell sind die radikalen Einschränkungen ja noch sehr frisch – und wir gehen davon aus, dass sie nicht ewig anhalten werden…

Die Zeitschiene ist sehr wichtig. Die Menschen spüren zwar, dass die Corona-Krise nicht in zwei Wochen gelöst sein wird, aber gerade in der Anfangsphase ist alles so fremd, dass sich die Situation wie ein interessantes Selbstexperiment anfühlt. Diese Stimmung kann sich aber, je länger die Krise dauert, radikal verändern. Mittlerweile sind elf Millionen Schulkinder zu Hause, überall muss das Familienleben umorganisiert werden, in vielen Branchen drohen massive Umsatz- und auch Gehaltseinbrüche. Ausgerechnet die, die ohnehin in einer prekären Situation leben, sind besonders gefährdet.

Wenn mit Fortlaufen der Krise immer mehr Unternehmen in Schieflage geraten und sich konkrete materielle Folgen zeigen, dann wird sich zeigen, ob die kooperative Grundstimmung hält. Die politische Kommunikation muss den Sinn der Maßnahmen angemessen vermitteln, auch wenn sie länger anhalten. Bislang passiert das sehr vorbildlich.

Was müsste in der Klimadebatte passieren, damit die Menschen bereit wären, auch dort größere Einschnitte zu akzeptieren?

Der zentrale Ansatz ist, die Idee der Solidarität weiterzudenken. Hier ist die Coronakrise durchaus hilfreich, weil wir spüren, dass 80 Prozent der Bevölkerung bereit sind, mit massivsten Einschränkungen die 20 Prozent zu schützen, die zur Risikogruppe zählen. So etwas brauchen wir in der Klimadebatte auf globalem Maßstab: Hier kann der wohlhabende Teil der Bevölkerung durch relativ geringfügige Maßnahmen dazu beitragen, dass die arme Hälfte der Welt weniger hart durch die Klimafolgen getroffen wird.

Welche nötigen Maßnahmen sind dabei vielleicht schon im aktuellen Verzicht angelegt?

Wir denken gerade sehr viel darüber nach, wie viel Veränderung des Lebens eigentlich möglich ist, ohne die eigene Lebensqualität einzuschränken. Es ist möglich, auf die ein oder andere Geschäftsreise zu verzichten, wenn die Menschen sehen, wie gut Vieles über Videokonferenzen funktioniert. Und wenn Urlaube abgesagt werden, überlegen wir, wie sich die Osterferien hier im Nahraum verbringen lassen, wo es auch eine hohe Lebens- und Erholungsqualität gibt.

Erholungsmuster wie Kreuzfahrten werden durch die neuen Angstgefühle – was tue ich, wenn ich dort feststecke – wohl über die Krise hinaus massiv an Attraktivität verlieren. Zurzeit wird das eigene Berufs- und Freizeitverhalten überall reflektiert, vielleicht wird es das leichter machen, entsprechende Vorschläge für ein besseres Klimaverhalten durchzusetzen.

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Haben Sie nicht die Sorge, dass die Menschen nach der Pandemie sagen werden: Jetzt haben wir uns solange eingeschränkt – zu mehr sind wir nicht bereit?

Das ist genau die Herausforderung. Wir haben festgestellt, dass die Menschen in besonderen Situationen gemeinschaftlich über sich hinauswachsen können – so wie es in Deutschland zum Beispiel auch nach dem Zweiten Weltkrieg beim Wiederaufbau war. Vielleicht ist die Verbindung der Coronakrise mit der Epochen-Herausforderung Klima auch etwas, das helfen kann, die Solidarität zu stabilisieren. Nämlich wenn die Menschen merken, dass bestimmte Formen des neuen Arbeits- und Freizeitverhaltens in erheblicher Weise auf die globale Herausforderung einzahlen.

Aber solche kollektiven und sozialpsychologischen Phänomene sind extrem zerbrechlich und anfällig, daher sind Prognosen schwierig. Wenn den Menschen irgendwann die Decke auf den Kopf fällt und sie das Gefühl haben, Einzelne halten sich nicht an die Regeln – dann kann das sehr schnell nach hinten losgehen. Deshalb hängt jetzt so viel an guter politischer Führung, besonnener Kommunikation und einer Stärkung derjenigen, die die solidarische Stimmung vorantreiben, die wir international überall beobachten: Vom Balkonsingen in Italien bis hin zum Applaus für die Helfer in Spanien und zuletzt auch in Köln. Je mehr wir diese Kreativität fördern, desto besser ist das für die psychologische Stabilität in unserem Land.

Wie sieht das Ganze aus finanzieller Sicht aus – wird es nach Überwindung der Corona-Krise überhaupt noch genug Investitionsspielräume geben, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu finanzieren?

Für viele Unternehmen wird es ganz klar eine große Herausforderung sein, nach so einem ökonomischen Schock wieder zu investieren und die Wirtschaft ans Laufen zu bringen. Aber wir haben es damals in der Finanzkrise beobachten können: Bei einer klugen politischen Flankierung kann so ein stockender ökonomischer Motor doch sehr schnell wieder mobilisiert werden. Deshalb sind die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung wichtig und richtig.

Wenn die Ökonomie komplett zusammenbrechen sollte, ist klar, dass erst einmal andere Sorgen vorherrschen werden als globale Solidarität. Aber viele Klimafragen brauchen nicht einmal besonders viele Investitionen – sondern hängen auch viel mit unserem Verhalten und unseren Lebensgewohnheiten zusammen. Was diese Form des Klimaschutzes angeht, werden wir viele Lerneffekte aus der Krise mitnehmen.

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