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Kölner Arbeitgeber-Chef Herrmann„Die Industrie in Köln muss Gehör finden“

Lesezeit 8 Minuten
Gunnar Herrmann Ford Köln

Gunnar Herrmann ist Chef der Kölner Ford-Werke und Präsident der Kölner Arbeitgeber.

  • Gunnar Herrmann ist Chef der Kölner Ford-Werke mit 18.000 Mitarbeitern und Präsident der Kölner Arbeitgeber.
  • Im Interview spricht Herrmann über die Interessen der Kölner Industrie, die Debatte um die IHK und die Krise der Automobilbranche.
  • Hermanns Reaktion auf den Kölner Kommunalwahlkampf: „Ich bin erstaunt, und auch enttäuscht."

Köln – Herr Herrmann, Sie sind Chef von Ford und neuerdings Kölns Arbeitgeberpräsident. Ihre Branche steckt in einer Krise. Dennoch bürden Sie sich ein zeitaufwändiges Ehrenamt auf. Warum? Gunnar Herrmann: Der Arbeitgeberverband bietet die Möglichkeit, Allianzen zu schmieden. Und das ist in dieser Krise, wie Sie es nennen, sehr wichtig. Die Pandemie hat den Transformationsprozess unserer Industrien beschleunigt. Allein kommt man nicht so weit wie im Bündnis, in unserem Fall elf Verbände. Die Fragestellungen unterscheiden sich bei den Branchen von Zuckerindustrie bis Auto überraschend wenig.

Wofür steht Arbeitgeber Köln heute?

Der Verband ist sehr etabliert. Ich hatte erst kürzlich Treffen mit den Wirtschaftsministern Altmaier und Pinkwart zum Thema „Wo steht die Industrie?“. Wir stehen vor dem Konjunkturprogramm 2021 und unser Ziel ist es, unsere Cluster auszuarbeiten, eine Steilvorlage für unseren Verband. Und wir haben in Köln einen guten Split in Bezug auf Technologien.

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Zur Person & zum Verband

Gunnar Herrmann (60) ist seit August 2020 Vorsitzender des Verbands Arbeitgeber Köln. Er machte nach dem Abitur eine Lehre als Blechschlosser bei Ford, absolvierte die Wagenbauschule in Hamburg und kehrte als Ingenieur zurück zum Kölner Autokonzern. Der Leverkusener war an der Entwicklung des ersten Focus beteiligt. Seit 2012 ist er Mitglied der Geschäftsführung von Ford Europa. Zum 1. Januar 2017 wurde er zugleich Chef der Ford-Werke.

Arbeitgeber Köln ist der Dachverband der Unternehmer in der Region Köln. Als solcher ist er Interessenvertreter für insgesamt mehr als 7000 Betriebe mit rund 300 000 Beschäftigten.

Nur in Köln?

Guter Punkt, wir dürfen nicht mehr nur Köln sehen, sondern die ganze Region, die Metropolregion, mit Leverkusen, den Bergischen Kreisen und dem ganzen Umland. Ich habe mir für meine Amtszeit als Arbeitgeberpräsident auf die Fahnen geschrieben, in der Politik der gesamten Region Gehör für die Belange der Wirtschaft zu verschaffen.

Sie sprechen über die Schnittmengen der Branchen ihres Arbeitgeberverbandes. Wo bitte soll die Schnittmenge zwischen Ford Fiesta und Würfel-Zucker nun liegen?

Bei Zucker ist es wie bei Ford: Wir wechseln den Energieträger. Bei Zucker ist das von Braunkohle auf Gas, bei uns etwa von Benzin und Diesel auf Strom. In anderen Feldern sind die Schnittmengen noch viel größer. Denken Sie an Politik, Arbeit, Ausbildung, Verkehrsplanung. Wir sind eine Macht im Raum Köln, mit 207.000 Firmen und fast 1,8 Millionen Mitarbeitern. Wichtig ist nun, eine nicht allzu lange Agenda zu haben. Wir brauchen einen Leitfaden und schnelle Erfolge.

Köln und Umland, Ausbildung, Politikvertretung, das war traditionell das Feld der IHK…?

Wir waren bis vor kurzem als Ford in der IHK-Vollversammlung vertreten, jetzt sind wir es nicht mehr. Es haben sich bei der IHK Veränderungen ergeben, ob gut oder schlecht sei dahingestellt. Die IHK Köln ist momentan in einer Orientierungsphase. Wir sehen uns nicht als Konkurrenz. Aber wir haben freiwillige Mitglieder, die ebenso freiwillig ihre Beiträge erbringen. Ohnehin muss ich als Vertreter von Ford sagen: Unsere Positionen gegenüber der Politik und in bestimmten Netzwerken haben wir in der Regel selbst vertreten, nicht irgendeine Kammer, nicht irgendeine Kammer für uns.

Sie könnten über Kooption wieder Mitglied der Vollversammlung der IHK werden…

Der Dialog ist aufgenommen. Das ist die Aufgabe unseres Ford-Arbeitsdirektors, der lange in der IHK-Vollversammlung aktiv war.

In der IHK-Vollversammlung sind heute vor allem kleinere Firmen vertreten, nach einem Wahlkampf der heutigen Kammerpräsidentin Nicole Grünewald, die selbst Kleinunternehmerin ist. Fühlen Sie sich als mit 18.000 Mitarbeitern größter Arbeitgeber Kölns dort nicht vertreten?

Es haben sich bei uns und sicherlich auch in anderen Unternehmen, viele kritisch geäußert, dass die großen Firmen Kölns, Rhein-Energie oder Ford etwa, signifikant unterrepräsentiert sind. Auch mit Blick darauf, wie viele Ausbildungsplätze wir und die anderen so genannten Großen bieten. Da muss die IHK sich deutlich neu ausbalancieren. Ich verstehe die frühere Kritik am „Diktat der Großen“ durchaus. Ein-Mann-Betriebe ticken sicherlich ganz anders als Konzerne. Aber das Pendel ist zu weit in eine Richtung ausgeschlagen. Hoffentlich balanciert sich das wieder ein.

Kann es sein, dass der Arbeitgeberverband für Sie ein besseres Vehikel ist als die IHK? Schlicht, weil die IHK als Kammer in Sachen politischer Betätigung vielen Einschränkungen unterlegen ist?

Die Kammer unterliegt in Sachen Politik einem strikten Diktat. Dem wollen wir uns als Unternehmer nicht unterstellen, wir brauchen Freiraum. Ich habe auch als Fordchef diesbezüglich mit meinen Meinungen nicht hinterm Berg gehalten. Der Arbeitgeberverband kann ein guter Vermittler sein. Und er kann kritisch auftreten. Der Verband wird mehr Wahrnehmung bekommen, sicher!

In wenigen Tagen wird in NRW auf kommunaler Ebene gewählt. Wie stehen Sie zur Stadtführung?

Es wird spannend. Ich bin erstaunt, und auch enttäuscht, wenn ich sehe, mit welchen Schlagwörtern parteiübergreifend geworben wird. „Besserer Verkehr“, mehr „Wohlstand“, „mehr Nachhaltigkeit“. Das ist alles sehr unverbindlich. Fragen beantwortet im Grunde keiner, wenn man mal davon absieht von der Frage, ob eine Ost-West-Achse nun oben- oder untenrum geführt wird. Wir reden seit Jahren über den RRX. Passiert aber ist nichts. Radwege sind in aller Munde. Aber der Pendler von außen kommt nicht in die Stadt. Wir können diese Menschen nicht in enge KVB-Bahnen zwingen. Die neue Stadtspitze sollte den Dialog mit uns nutzen. Die Industrie ist der Experte für Technologien, Politiker sind meines Wissens keine ausgewiesenen Technologie-Experten.

Was meinen Sie?

Geofencing, Blockchain, meinetwegen die Grüne Welle, der Ausbau von Park & Ride-Parkplätzen für Pendler, die sind ja mittlerweile gar in den Hintergrund getreten. Irgendwie müssen die Menschen aus dem Umland ja in die Stadt und zur Arbeit kommen. Wir veranstalten ja keinen Bürger-Wandertag. Unsere Türen für Politik und Verwaltung sind offen. Aber sie werden nicht betreten. Wir haben der Stadtverwaltung angeboten, gratis unser Hygiene-Konzept von Ford für die Wiederherstellung der Verwaltung zu nutzen. Für die Umsetzung hätte man 14 Tage benötigt, um die Präsenz in der Verwaltung signifikant zu erhöhen.

Die aktuelle OB wird auch von den Grünen getragen. Wie stehen Sie als Industrievertreter dazu?

Man muss darauf achten, sich nicht zu stark von Ideologien treiben zu lassen. Jedem Demokraten muss klar sein, dass es nicht über Verbote gehen kann, sondern über Technologien. Die Metropole London hat das, nach einigem Murren, vorgemacht. Die Alternative zum Individualverkehr kann nicht sein, alle in überfüllte Bahnen zu stecken. Dennoch habe ich nichts gegen die Grünen. Ich habe seit vergangenem Jahr einen intensiven Austausch mit Anton Hofreiter. Beim ersten Treffen waren wir weit entfernt, dann haben wir den Blickwinkel des jeweils anderen eingenommen. Heute habe ich großen Respekt vor ihm.

Erlebt das Auto in Corona-Zeiten eine Renaissance als rollende Quarantäne-Zelle?

Durchaus, ja, wir haben sehr viele Erstkunden, die vorher nie ein Auto besaßen. Das sind Menschen, die um die 30 Jahre alt sind. Sie stehen für Nachhaltigkeit, fuhren lange Bus und Bahn, dann nutzten sie Carsharing, und je öfter sie das taten, desto schneller stellten sie fest, dass bei einer häufigen Benutzung irgendwann ein eigenes Auto einfach preiswerter ist. Und flexibler, vielleicht mit Kind. Das ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein echter Indikator. Verstärkt in den Zeiten der Pandemie. Und das Homeoffice hat das verstärkt. Eine Studie des NRW-Verkehrsminister hat gezeigt: Ein Tag Homeoffice pro Woche reduziert zwei Stunden an Staus im Land. Eine dramatische Veränderung des Verkehrs. Der komplette Verkehr ist dadurch entzerrt.

Was erwarten Sie vom nächsten Kölner Stadtoberhaupt?

Dass die Industrie ein Gehör findet. Die Bedeutung der Industrie verflüchtigt sich. Das Braunkohlerevier steht vor dem Aus. Aber alle reden bei freiwerdenden Flächen von Wohnungsbau oder idyllischen Seen. Dort aber gibt es ein fertiges Schienensystem, für Industrie extrem attraktiv, ein riesiges Potenzial, das manche nicht sehen. Wir müssen die Flughöhe ändern, um das ganze Bild zu sehen.

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Aus der Krise 2008 ging die Industrie als Gewinner hervor, wie ist es 2020?

Ein Teil der Industrie ist im Umbruch, ein Teil wird über kurz oder lang von der Insolvenz bedroht. Das permanente Wachstum der vergangenen Jahre hat seine Grenzen erreicht, oder überschritten. Kapital für neue Technologien ist nun in Krisensicherung geflossen. Der Handel hat sich nur durch Rabattschlachten neue Umsätze geholt. Die Lage ist ernst, und ich verstehe, dass wir für die Politik nicht unbedingt ein sexy Partner sind. Aber es wird auch neue Arbeitsplätze geben, Sie werden es sehen, es ist eine Transformation, kein Ende.

Wie sind Ihre Erwartungen an den Autogipfel in der kommenden Woche? Die Verkäufe sind eingebrochen und Ministerpräsident Söder hat nun wieder eine Prämie für Verbrenner ins Spiel gebracht…

Der Einbruch der Verkaufszahlen aufgrund der Corona-Pandemie gibt allen Herstellern derzeit Anlass zur Sorge. Die Planung der Fahrzeugproduktion wird derzeit massiv erschwert durch die einseitige Förderung allein von Elektromobilität, der die Kunden aufgrund der mangelhaften Ladeinfrastruktur noch skeptisch gegenüberstehen. Nachdem die Bundesregierung sich eher für ein „Zukunftspaket“ als ein „Konjunkturpaket“ entschieden hatte, sehe ich derzeit keine Realisierbarkeit einer generellen Kaufprämie. Es ist aber sicherlich unstrittig, dass diese ein bedeutendes Signal an die vielen deutschen Produktionsstandorte der Hersteller und Zulieferer senden würde, deren Beschäftigte von der Produktion moderner Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor abhängen.

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