Kölner Hotelbesitzer beklagt fehlende Hilfe„Ich warte noch auf eine Million Euro“

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Die Gastronomie in der Kölner Altstadt ist wieder geöffnet (Archivbild)

  • Haakon Herbst ist Hotelier und Regionalpräsident des Hotel- und Gaststättenverbands in Nordrhein-Westfalen.
  • Im Interview spricht er über fehlende Corona-Hilfen, Preissteigerungen und wieso er glaubt, dass die Hotellerie nie wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird.

Köln – Herr Herbst, Sie sind Hotelier und Präsident des Hotel- und Gaststättenverbands Nordrhein. Wie kommen Sie bislang durch die Pandemie? Ich kenne keinen einzigen Kollegen, dem es aktuell wirtschaftlich gut geht. Ich selbst mache in meinem Kölner Hotel normalerweise rund 1,3 Millionen Euro Umsatz im Jahr – während der Pandemie waren es exakt null. An anderen Standorten ist es ähnlich. Da ist klar, dass sich so etwas nicht auffangen lässt. Die Hotellerie befindet sich derzeit in einer mehrfach schwierigen Situation. Denn im Lockdown waren wir praktisch umgekehrt systemrelevant: Unsere Betriebe wurden sehr stark eingeschränkt, nicht weil wir zum Infektionsgeschehen beigetragen hätten, sondern um die Reisetätigkeit einzudämmen.

Wir haben als Gastgewerbe deshalb von Anfang an Schadensersatz für dieses Sonderopfer gefordert. Dass das Krisenmanagement handwerklich am Anfang sehr schlecht gelaufen ist – Stichwort Corona-Hilfen – hat mittlerweile jeder begriffen. Zu Beginn der Pandemie hatten wir noch Verständnis dafür, aber spätestens nach drei bis sechs Monaten hätte der Staat in der Lage sein müssen, ein richtiges Paket zu schnüren.

Sind denn die  Corona-Hilfen mittlerweile angekommen?

Der Dehoga hat Anfang Juni eine bundesweite Umfrage durchgeführt, an der sich auch 639 Gastronomen und Hoteliers aus NRW beteiligt haben. Danach warteten noch rund 75 Prozent auf die vollständige Auszahlung der Überbrückungshilfe III, auch bei den übrigen Hilfen gibt es einen Rückstau. Ich selbst warte derzeit auf eine Million Euro.

Zu Person

Haakon Herbst (56) ist seit 2002 Hotelier und Inhaber und Geschäftsführer der hotelfriends-Gruppe mit Betrieben in Köln, Düsseldorf, Hückelhoven und Essen. Seit Frühjahr 2021 ist er sowohl Präsident des Dehoga Nordrhein als auch einer der drei Regionalpräsidenten im Dehoga Nordrhein-Westfalen. Seit Juni ist er zudem Schatzmeister im Präsidium des Bundesverbands.  

Wie muss es weitergehen?

Wir sind natürlich auf die Auszahlung angewiesen, aber auch darauf, dass die Hilfen verlängert werden. Bislang laufen sie noch bis zum 30. September – also bezeichnenderweise bis direkt nach der Bundestagswahl. Gastronomen und Hoteliers benötigen sie aber bis mindestens März 2022, sonst steht uns als Branche eine Schließungswelle bevor. Außerdem gilt aktuell noch die Frist Juni 2022, um die Mietzahlungen, die wir vergangenes Jahr für drei Monate aussetzen konnten, nachzuzahlen. Ich weiß aber nicht, ob wir es schaffen – da wir aktuell mehrheitlich nicht unter Volllast arbeiten – bis dahin drei zusätzliche Monatsmieten zu erwirtschaften. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass wir eine sehr stark pachtgetriebene Branche sind. Das bedeutet, die Immobilienwirtschaft bekommt unsere Hilfen aktuell fast eins zu eins weiterüberwiesen.

Wie sehen denn die Besucherzahlen derzeit aus?

In der Berichterstattung sehen wir häufig Bilder von überfüllten deutschen Stränden. Die Hotellerie hier am Nordrhein funktioniert aber ganz anders. Die Mehrzahl der Betriebe hat zwar wieder geöffnet. Aber gerade in einer Stadt wie Köln lebt die Hotellerie überwiegend von Fernsehproduktionen, Fußballspielen, von Konzerten, Messen, Geschäftsreisen. Und weil die kaum stattfinden, hat zum Beispiel unser hiesiges Hotel noch geschlossen. Was nicht heißt, dass wir keine laufenden Kosten haben – neben der Miete kommen im Schnitt 20.000 Euro Personalkosten zusammen, nur, um alles am Laufen zu halten: Rohre durchspülen, damit sich keine Legionellen bilden, Rasen mähen und Buchungen bzw. Stornierungen managen. So etwas.

Wie ist die Lage in der Gastronomie? Die Außenterrassen wirkten zuletzt gut besucht.

Auch hier muss man unterscheiden zwischen dem, was wieder da ist und dem, was fehlt. Apropos: Nicht nur uns haben die Gäste gefehlt, sondern auch umgekehrt. Vermisst zu werden, ist ein schönes Gefühl und ein Beweis der Wertschätzung. Aber die wirtschaftliche Vor-Corona-Normalität wird sich absehbar noch lange nicht einstellen. Alle sehen volle Terrassen und gut besuchte Restaurants und denken: Läuft doch super. Aber dass die Mindestabstände weiter gelten und damit Plätze verloren gehen, dass die Kosten für Schutz- und Hygienekonzepte gestiegen sind, dass Veranstaltungen nur eingeschränkt möglich sind und  Clubs und Diskotheken noch gar nicht geöffnet haben, bleibt wirtschaftlich ein Kraftakt.

Und es fehlen Mitarbeiter.

In der Zeit von 2009 bis 2019 war die Zahl der Beschäftigten in der Branche allein in NRW von rund 300.000 auf über 400.000 gestiegen. Das Gastgewerbe war eine der Jobmaschinen. Nach dem ersten Lockdown hatten wir Ende Juni noch circa 360.000 Beschäftigte. Der zweite Lockdown von November hat sicher noch stärkere Spuren hinterlassen. Und die, die gegangen sind, werden vermutlich nicht so schnell zurückkommen. Viele haben sich leider umorientiert. Auch deshalb fordern wir als Dehoga so vehement eine „Offenbleibe-Perspektive“.

Ihr Geschäftsführer Christoph Becker hatte kürzlich in einer Podiumsdiskussion Preissteigerungen gefordert. Soll das die Not lindern? 

Der Warenkorb der Gastronomen ist teurer geworden, die Preise haben zugelegt. Corona-bedingte Kosten sind dazu gekommen, Plätze wegen Mindestabständen weniger geworden. Wir appellieren deshalb an die Betriebe, zu kalkulieren und zu prüfen, ob sie mit den aktuellen Preisen auf ihren Speisekarten über die Runden kommen. Natürlich muss jeder Betrieb letztlich seine Preise selbst kalkulieren. Restaurants agieren heutzutage ja noch in einem sehr statischen Gebilde. Ein Schnitzel kostet zu jeder Jahreszeit das gleiche. Die Hotellerie arbeitet zum Beispiel ganz anders, das ist ein Tagesmarkt mit flexibler Preisgestaltung.

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Wie viele Gastronomen und Hoteliers werden die Krise nicht überstehen?

Selbst wenn wir zeitnah auf einen normalen Vor-Corona-Umsatz kommen, könnten viele auf der Strecke bleiben. Ob das so kommt, hängt von zwei Faktoren ab: ob die Rückzahlungsfrist für die gestundeten Mieten verschoben und die Corona-Hilfen bis März 2022 verlängert werden. Ist beides nicht der Fall, werden wir im Januar bis März 2022 eine große Schließungswelle erleben, gefolgt von einer zweiten am Ende des Jahres. Das wäre das Horrorszenario.

Wenn die Pandemiebekämpfung aber politisch vernünftig läuft, könnte sich die Gastronomie im Verlauf des Jahres 2022 vollständig erholen, vor allem die Betriebe mit starken lokalen Wurzeln. Die Hotellerie könnte im Frühjahr 2022 zumindest wieder 80 Prozent eines normalen Jahresumsatzes erreichen. Aber in vielen Bereichen wird sich der Markt dauerhaft verändern. Die Messefrequenzen werden sinken, der Geschäftsreiseverkehr wohl dauerhaft um 20 bis 30 Prozent zurückgehen. Ich bin geneigt zu sagen: Wir werden in der Hotellerie nie wieder das Vorkrisenniveau erreichen.

Was wird die Folge sein?

Geschäftsmodelle, Kosten, und Preise werden sich verändern. Es wird auch zu Umnutzungen kommen und neue Konzepte geben. Vielleicht wird die Personalknappheit dazu führen, dass es mehr Restaurants mit Piepern gibt, wo sich die Menschen ihr Essen selbst am Schalter holen.

Generell wird es zentral sein, als Hotelier oder Gastronom eine eigene Nische zu besetzen. Sie müssen eine Zielgruppe finden und eine höhere Loyalität zu ihnen aufbauen bei gleichzeitig verbessertem Kostenmanagement. Vielleicht wird es auch Verhandlungsrunden mit den Vermietern geben müssen, um sich auf faire Preise zu einigen. 

Das klingt nach harten Zeiten.

Wir werden es auf jeden Fall mit einer Generationenfrage zu tun bekommen. Viele Betriebe sind in der Hand von Menschen in ihren 50ern und 60ern. Es kann gut sein, dass sich vor allem in ländlichen Regionen einige von ihnen für eine Betriebsschließung entscheiden werden, anstatt den Betrieb an die nächste Generation weiterzugeben. Aber ich glaube auch, dass unsere Branche sehr unterschätzt ist. Wir sind in den vergangenen 20 Jahren so viel besser geworden. Wir haben eine hohe Frustrationstoleranz. Wie sagt man so schön? Schlechte Zeiten sind gute Zeiten für gute Leute.

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