Kölner Messe-Chef Böse„Wir verlieren sieben Millionen Euro pro Woche“

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Messe-Chef Gerald Böse

  • Die Corona-Krise trifft die Wirtschaft hart. Auch die Messe Köln musste schon Ende Februar die ersten Messen verschieben. Nun sind nahezu alle Messen des ersten Halbjahres abgesagt.
  • Was hat das für Auswirkungen auf das Unternehmen? Welche Maßnahmen werden getroffen? Wird die Gamescom stattfinden? Und ständen die leeren Hallen im schlimmsten Fall für Lazarette bereit?
  • Ein Interview mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Kölner Messe, Gerald Böse

Herr Böse, nahezu alle Messen des ersten Halbjahres wurden nach Ausbruch der Corona-Krise abgesagt, wie sehr trifft das das Unternehmen Messe Köln?

Gerald Böse: Wir haben verschiedene Szenarien herausgearbeitet und sie dem Aufsichtsrat in einer außerordentlichen Sitzung vorgestellt. Das alles hat ja eine außerordentliche Dimension. Weltweit wurden 1700 große Business-Messen abgesagt, 315 sind es in Deutschland. Das ist ein gewaltiges Karussell, das uns noch einige Jahre belasten wird. Wir haben vergleichsweise gute Ausgangsbedingungen, weil 2019 für uns bei Gewinn und Umsatz ein Rekordjahr war. Aber seit Februar fahren wir auf Stufe Null.

Viele Messen waren betroffen in Köln und welche Konsequenzen hat das?

Neun eigene Messen wurden verschoben, sieben Gastmessen ebenfalls, und im Ausland mussten wir elf Veranstaltungen verschieben oder ganz absagen.

Zur Person

Gerald Böse ist seit 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung der Kölner Messe. Er wurde 1962 in München geboren, studierte dort Betriebswirtschaftslehre und begann seine Laufbahn bei der Messe München. Von 1992 bis 2005 arbeitete Böse bei der Igedo in Düsseldorf und stieg dort zum Geschäftsführer auf. 2005 wechselte er als Sprecher der Geschäftsführung zur Karlsruher Messe.

Die Messe Köln betreut in normalen Zeiten 80 Messen pro Jahr.

Die neue Steuerungskennziffer ist nicht der operative Gewinn, sondern die Liquidität, die wir brauchen, um auch bei Nullumsatz die Kernfunktionen aufrecht zu erhalten. Wir wollen die Zwangspause nutzen, denn es gibt ja auch ein Leben und ein Messegeschäft nach der Corona-Krise. Auch die Krise 2008/2009 haben wir genutzt und sind gestärkt daraus hervorgegangen. Wir überprüfen beispielsweise auch, welche Messe ist gut positioniert, welche nicht. Gibt es neue Ideen? Aber jetzt hat erst einmal die Fürsorge – vor allem für unsere Mitarbeiter – oberste Priorität.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, wird es bei der Messe Köln Kurzarbeit geben, wie hoch sind die Verluste?

Wir haben einen Einstellungsstopp verhängt, 40 neue Stellen werden erstmal nicht besetzt. Kurzarbeit für verschiedene Bereiche prüfen wir zurzeit. Die Neugestaltung der Fassaden an der Deutz-Mülheimer Straße wird verschoben. Bis mindestens Ende Juni findet bei uns keine Messe statt, das ist Szenario 1, das allein unser Ergebnis bereits um einen hohen zweistelligen Millionenbetrag ins Minus drückt. Szenario 2 sieht vor, dass erst im Oktober der Messebetrieb wieder losgeht. Bei Szenario 3 bleiben wir bis zum Jahresende in der Garage. Alles hängt an Liquidität und Cash Flow, davon verbrauchen wir ohne Messebetrieb bereits rund sieben Millionen Euro pro Woche.

Wie wollen Sie das aushalten, wann und wie müssen Sie tanken?

Unser Eigenkapital ist zunächst ausreichend, weil wir in den vergangenen Jahren erfolgreich gewirtschaftet haben. 280 Millionen Euro haben wir in den letzten Jahren in unser Gelände investiert – aus dem Cash Flow und ohne dafür Kredite aufzunehmen. Jetzt müssen wir Finanzierungsalternativen prüfen. Das sind Fördermittel von Bund und Land, aber auch Kapitalerhöhungen, Fremdkapital, Überbrückungskredite, der ganze Strauß von Optionen muss auf den Tisch.

Sie sprechen immer von Verschiebungen. Gibt der dichte Messekalender die ganzen Nachholveranstaltungen überhaupt her?

Das wird sicher sehr eng, es wird auch Komplettabsagen geben. Wir werden im ganzen Markt aber auch Konsolidierungseffekte sehen, bei Messen, Ausstellern und Besuchern. Alles hängt nun davon ab, ob der Verlauf der Krise wie ein V aussieht oder wie eine Badewanne mit langem Sockel. Wir planen mit einem V, allerdings mit abgeflachtem Anstieg.

Heißt das, wir bekommen bald abgespeckte Messen was die Zahl von Fläche, Ausstellern und Besuchern anbetrifft?

Abgespeckt klingt mir zu negativ. Aber ja: Diese Krise wird leider einen Ausleseprozess haben. Es wird definitiv nicht jedes Unternehmen schaffen. Es wird Übernahmen geben, etwa im Einzelhandel, es wird auch Schließungen geben. Die Wirtschaftswelt nach Corona ist nicht die vor Corona, so viel ist sicher.

Wird die Gamescom stattfinden?

Wir vermarkten schon aktiv Messen im zweiten Halbjahr und der ersten Hälfte des Jahres 2021, auch die Internationale Dentalschau IDS und die Anuga im Herbst. Und wir haben tolle Anmeldestände. Viele Firmen werden auch einen Nachholbedarf haben. Persönliche Kontakte, Austausch, Menschen treffen, das merkt ja jeder auch gerade zuhause, werden in der Wirtschaft ihren Stellenwert behalten.

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So etwas ist auch das Alleinstellungsmerkmal einer Messe. Die sozialen Beziehungen werden nicht vollständig durch das Internet aufgefangen werden können. Die Krise zeigt auch: Was Digitalisierung in den vergangenen zehn Jahren nicht geschafft hat, hat das Virus erledigt. Mit Blick auf die Gamescom bin ich vorsichtig. Die hat die Besonderheit, dass viele Aussteller aus den USA kommen. Und dort ist die Nervosität besonders groß. Wir planen definitiv eine „analoge“ Gamescom Ende August am Standort Köln – vielleicht mit einer noch größeren digitalen Plattform als es sie bisher schon gab. Wir fahren da derzeit zweigleisig.

Ihre Hallen stehen leer, könnten Sie diese auch für Lazarette im schlimmsten Fall bereitstellen?

Wir stehen jedenfalls mit dem Krisenstab der Stadt Köln in engem Austausch und werden uns dem nicht verschließen.

Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement von Stadt und Land?

Alle schauen derzeit auf den Staat. Es ist gut, dass es derzeit keine rechthaberischen Detail-Diskussionen gibt. Aber der Staat kann nur überbrücken. Den Wiederaufbau muss die Wirtschaft meistern, in einer Sozialen Marktwirtschaft. Da müssen wir sauber trennen und uns rasch auf ein Leben nach oder sogar mit Covid-19 vorbereiten. Da unterstütze ich voll und ganz unseren Ministerpräsidenten.

Ist die Krise schlimmer als die im Jahr 2008?

Es kommt auf den Exit aus dieser Krise an, und die Dauer. Noch sieht niemand Licht am Ende des Tunnels. Es gab ja schon Handelskonflikte, einen Mobilitätswandel, die Energiewende, den Brexit und Transformationsprozesse in der Industrie. Und dann kam die Corona-Krise obendrauf. Eine Woche nach dem Shutdown ist es zu früh zu urteilen, mein Bauchgefühl sagt mir, es ist schlimmer als bei der Finanzkrise. Dieser Shutdown lässt sich aber nur eine begrenzte Zeit aufrechterhalten. Es ist unsere Pflicht, unseren Kunden und ihren Branchen auch nach Corona eine Plattform zu bieten, über die sie zurück ins Geschäft kommen. Internationale Messen werden einen gewichtigen Anteil an der Rückkehr in die politische und wirtschaftliche Normalität haben.

Werden Sie den Bau der Halle eins nun stoppen?

Wir werden die Halle 1plus fertigstellen. Wir müssen den Standort sattelfest machen für die Zeit nach der Krise. Köln braucht eine prosperierende Messe. Andere Projekte müssen wir repriorisieren. Bei bestimmten Bauprojekten aber stehen wir unter Vertrag, da setzen wir unsere Arbeit an der Zukunft des Messestandorts fort.

Was wird mit dem Neubau Ihrer Zentrale?

Wir machen mit den Planungen weiter. Aber vielleicht anders. Denn das neue Arbeiten in der Krise zeigt uns, dass wir vielleicht ganz andere Büros brauchen, das war ja bisher nur theoretisches Wissen. 2025 läuft unser Mietvertrag aus, bis dahin brauchen wir eine Lösung, aber vielleicht mit viel mehr mobilem Arbeiten.

Werden Sie den Messebauern finanziell helfen?

Ja, aber es wird kein Gießkannenprinzip für alle geben. Messebauer, die etwa für die Eisenwarenmesse gearbeitet haben, die dann kurzfristig abgesagt wurde, werden wir auf jeden Fall fair behandeln und für geleistete Arbeit entlohnen.

Beantragen Sie Kurzarbeit für Ihre Mitarbeiter?

Zurzeit arbeiten ja nur 40 bis 50 Mitarbeiter auf dem Messegelände, der Rest von 450 Kollegen ist im Homeoffice, auch Teile der Geschäftsführung. Kurzarbeit wird geprüft, und zwar für alle Mitarbeiter. Es wird Einschnitte für Jedermann geben auch für Geschäftsführer und Leitende Angestellte. Aber eine gute Nachricht habe ich auch: Wir werden alle Azubis übernehmen, denn die jungen Mitarbeiter sind unsere Zukunft!

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