Kritik an Flaschenpost und Co.„Schöne Worte verstecken knallhartes Arbeitsmodell“

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Flaschenpost Fahrzeuge

Flaschenpost-Fahrzeuge am Kölner Standort des Unternehmens

  • Bereits vergangenes Jahr hatten Mitarbeiter „menschenunwürdige Zustände“ beim Lieferdienst Flaschenpost angeprangert.
  • Nun wirft die Gewerkschaft NGG dem Start-up vor, die Gründung eines Betriebsrats behindert zu haben.
  • Auch NRW-Arbeitsminister Laumann schaltet sich in die Diskussion ein – während Experte Gerhard Bosch die Bedingungen in der Lieferbranche anprangert.
  • Bosch sagt: Das Geschäftsmodell ist das Problem.

Düsseldorf/Köln – Das Konzept des Münsteraner Lieferdienstes Flaschenpost ist für den Kunden bequem: Er bestellt Getränke, zwei Stunden später stehen sie vor seiner Haustür – egal, ob er im Einfamilienhaus oder vierten Stock ohne Aufzug wohnt.

Die Bedingungen, unter denen das geschieht, werden allerdings von Gewerkschaftern und Arbeitnehmern immer wieder kritisiert. Zuletzt hatte die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) dem Unternehmen die Behinderung einer Betriebsratsgründung am Standort Düsseldorf vorgeworfen und Strafanzeige gestellt. Bereits im vergangenen Sommer hatten sich Mitarbeiter mit einem offenen Brief an die Öffentlichkeit gewandt und unter anderem unsichere Vertragsbedingungen beklagt. Flaschenpost wies die Vorwürfe stets zurück.

Scharfe Kritik an Arbeitsbedingungen

Ein Arbeitsmarktforscher übt nun scharfe Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Flaschenpost und in der gesamten Lieferbranche. „Es gibt hier Betriebe, deren Geschäftsmodell auf niedrigen Löhnen basiert“, sagt Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Qualifikation an der Uni Duisburg-Essen.

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

Bei einfachen Dienstleistungen würden die Löhne niedrig angesetzt, um günstige Preise zu ermöglichen. Kritisch seien die Bedingungen vor allem dort, wo leicht ersetzbare Arbeitskräfte mit niedriger Qualifikation arbeiteten. Namentlich nennt Bosch neben Flaschenpost auch Anbieter wie die Lieferdienste Lieferando, Deliveroo und den Versandhändler Zalando.

Die Präkarisierung von Arbeitsbedingungen, die Bosch kritisiert, ist aber nicht nur ein Phänomen in der Lieferbranche. Auch in der Gastronomie und im Einzelhandel fänden sich häufig Beispiele. Arbeitnehmer würden immer häufiger in Teilzeit, Minijobs oder in Werkverträgen angestellt.

Machte der Niedriglohnsektor in Deutschland Anfang der 90er Jahre noch sechs bis sieben Prozent des deutschen Arbeitsmarktes aus, sind es heute mehr als 20 Prozent. Die Kehrseite der neuen Arbeitswelt, die Flexibilisierung eigentlich als Plus verstanden haben will?

„Hinter der Fassade von schönen Worten wird häufig ein knallhartes Arbeitsmodell versteckt“, sagt Bosch. Je nach Branche, Produkt und Dienstleistung sei die Situation aber sehr unterschiedlich.

NRW-Arbeitsminister meldet sich zu Wort

In die Diskussion um die Betriebsratsgründung bei Flaschenpost in Düsseldorf hat sich derweil auch NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann eingeschaltet: Betriebsräte erfüllten in der sozialen Marktwirtschaft eine wichtige Funktion: „Wenn die Vorwürfe der Gewerkschaft NGG zutreffen, ist das Verhalten der Firma Flaschenpost eine Sauerei.“ Er wolle sich nun aber zunächst einmal persönlich ein Bild der Lage machen und das Gespräch mit allen Beteiligten suchen.

Die Gerichtsverfahren im Kontext mit der Betriebsratsgründung laufen zurzeit weiter. Die NGG geht dabei auch gegen die Kündigung von acht Mitarbeitern am Düsseldorfer Standort vor. „Der Verdacht, dass die Kündigungen im Zusammenhang mit der Betriebsratsgründung stehen, liegt sehr nahe. Die Gekündigten waren alle Betriebsrats-Initiatoren“, sagt Zayde Torun, NGG Geschäftsführerin für die Region Düsseldorf-Wuppertal.

Flaschenpost widerspricht Vorwürfen

Flaschenpost wies diesen Vorwurf gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ Mitte Februar „aufs Schärfste zurück“. Die Entlassungen seien ausschließlich in der mehr als mangelhaften Führung des Standorts begründet. Das Unternehmen widerspricht auch dem Vorwurf, die Betriebsratswahl behindert zu haben.

Angefangen hatte die Auseinandersetzung in Düsseldorf damit, dass der Getränkelieferant eine einstweilige Verfügung gegen den gewählten Wahlvorstand einleitete, der für die Vorbereitung und Organisation der Betriebsratswahl verantwortlich ist. Nachdem das Düsseldorfer Arbeitsgericht sie abwies, legte Flaschenpost Beschwerde beim Landesarbeitsgericht ein. Ende März soll es dazu laut Torun einen Termin beim Gericht geben.

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Gleichzeitig hat die NGG selbst Strafanzeige gegen Flaschenpost gestellt. „Es ist eine merkwürdige Situation, weil sich Flaschenpost im Vorhinein unterstützend gezeigt hat und hintenrum dann eine einstweilige Verfügung einreicht und Kündigungen ausspricht“, sagt Torun. Der Wahlvorstand führe das Tagesgeschäft derzeit weiter. Die Betriebsratswahl ist für den 2. April angesetzt.

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