Legales Cannabis in KanadaSo könnte das Geschäft in Deutschland aussehen

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Mike McKee (l.), Finanz- und Immobilienchef von Muse Cannabis mit einem Mitarbeiter.

Mike McKee (l.), Finanz- und Immobilienchef von Muse Cannabis mit einem Mitarbeiter.

  • Cannabis ist zu einem gewaltigen Geschäft in Kanada geworden: Umgerechnet rund 30,5 Milliarden Euro hat die Branche zum Bruttoinlandsprodukt beigesteuert.
  • Auch wenn es weiterhin viel Kritik an der Legalisierung gibt, sehen viele auch erhebliche Vorteile für Gesellschaft und Gesundheit nach der Entkriminalisierung.
  • Ein Besuch in Vancouver – und die Frage, wie das Geschäft in Deutschland aussehen könnte.

Vancouver – In South Granville, einem gehobenen Einkaufsviertel der kanadischen Stadt Vancouver, bewirbt das Verkaufspersonal in der Vitrine eines Ladengeschäfts seine liebsten Cannabis-Produkte. Julie empfiehlt eine lokale Marihuanasorte namens Black Truffle: 42,99 kanadische Dollar für 3,5 Gramm. Laut Produktbeschreibung schmeckt sie nach „würzigem Kaffee, frischen, fruchtigen Trauben und Heidelbeeren“.

„Wir möchten die Leute nicht mit etwas nach Hause schicken, was wir selbst nicht mochten“, sagt Verkäufer Angus. Er trägt Hemd und darüber eine Jeansschürze, eine Brille mit schwarzem Rahmen. Bei seiner Ladenführung geht es vorbei an losem Marihuana und vorgedrehten Joints, Ölen und Getränken, Cannabis-Gummibärchen und Schokolade. Alles in apothekenhaft anmutenden Verpackungen hinter Glas eingeschlossen. So verlangt es das Gesetz.

Cannabis-Verkauf nach dem Vorbild von Wein

„Der Einkauf hier ist mit dem in einem Weingeschäft vergleichbar“, sagt Mike McKee, Finanz- und Immobilienchef von Muse Cannabis. Insgesamt fünf Standorte hat das Unternehmen in der Stadt, im Jahr setzen sie etwa drei Millionen Euro um. „Viele Menschen mögen Wein, aber sie wissen nicht viel darüber – deswegen sind sie auf die Expertise unserer Kollegen angewiesen.“

Cannabis-Verkauf nach dem Vorbild von Wein: Während die Ampel-Koalition in Deutschland noch um die Details der Legalisierung ringt, gehört Hanf auf der anderen Seite des Atlantiks längst zur Normalität. Kanada war 2018 nach Uruguay das erst zweite Land der Welt, das den Anbau, Handel und Besitz von Cannabis flächendeckend legalisierte. Seit 2019 sind auch sogenannte Edibles, mit Cannabis angereicherte Lebensmittel, erlaubt. Bei der Frage nach den Zielen und Folgen der Legalisierung in Deutschland lohnt es sich also, einen genaueren Blick auf die kanadischen Erfahrungen zu werfen.

„Kanada hat das Cannabis-Gesetz eingeführt, weil die Regierung der Ansicht war, dass ein auf strafrechtlicher Verfolgung basierender Ansatz zur Kontrolle von Cannabis die Gesundheit und Sicherheit der Kanadier nicht angemessen schützen würde“, heißt es beim kanadischen Gesundheitsministerium auf Anfrage. Die Regierung wollte die Strafverfolgungsbehörden entlasten, sie wollte den Verkauf an Jugendliche eindämmen und die gesundheitlichen Risiken des Konsums eindämmen. Außerdem sollten Kriminelle keine Profite mehr mit Cannabis machen – stattdessen erhält der Staat eine lukrative Verkaufssteuer von einem Dollar pro verkauftem Gramm.

Cannabis-Industrie steuert mehr als 30,5 Milliarden Euro zu BIP bei

Nach einer Auswertung der Unternehmensberatung Deloitte hat die Industrie bis 2022 mehr als 40 Milliarden kanadische Dollar (rund 30,5 Milliarden Euro) zum Bruttoinlandsprodukt beigetragen. Die Zahl der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, war zuletzt tatsächlich stabil bis rückläufig. Und das einst vom Parlament geschaffene Canadian Centre on Substance Abuse and Addiction (CCSA) schreibt in seinem aktuellen Bericht von einer „dramatischen Reduzierung“ der angezeigten Cannabis-Vergehen.

Doch beim Blick auf die gesundheitlichen Folgen gibt es noch einige offene Fragen. So kommt eine aktuelle Studie der Universität Ottawa in der Provinz Ontario zu dem Ergebnis, dass seit 2019 deutlich mehr Erwachsene nach dem Konsum von Cannabis in der Notaufnahme landen. Damals wurde der Markt nach einer vergleichsweise restriktiven Startphase weiter geöffnet, Edibles wurden erlaubt, in Ontario eröffneten zahlreiche neue Geschäfte.

„Wir haben festgestellt, dass – wenn der Markt expandiert, wenn neue Produkte auf den Markt kommen, wenn die Anzahl der Läden von 62 auf Hunderte und Tausende anwächst und die Umsätze steigen – auch die Zahl der Einlieferungen in die Notaufnahme entsprechend zunimmt“, so Studienautor Daniel Myran. Unklar sei ein möglicher Einfluss der Corona-Pandemie. Eine weitere seiner Studien zeigt, dass auch die Anzahl der Kinder, die mit einer Cannabis-Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wird, zuletzt spürbar gestiegen ist – weil sie versehentlich mit Hasch versetzte Lebensmittel wie Kekse, Gummibärchen oder Brownies essen.

 „Die Kriminalisierung von Cannabis führt zu enormen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Schäden“

Dennoch ist Myran kein Gegner der Legalisierung. „Die Kriminalisierung von Cannabis führt zu enormen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Schäden“, sagt er. Vorstrafen seien früher überdurchschnittlich häufig gegen Mitglieder ethnischer Minderheiten verhängt worden, die Politik habe rassistische Implikationen gehabt. „Aber man kann diese sozialen und gesundheitlichen Schäden wahrscheinlich durch Entkriminalisierung oder sehr strenge gesetzliche Regulierung beseitigen. Man braucht keine kommerzielle Cannabisindustrie.“

Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen keine ähnlich eindeutigen Folgerungen ziehen. Shea Wood vom CCSA betont, man müsse die Zahlen weiter beobachten, um festzustellen, ob die steigenden Krankenhauseinlieferungen ein langfristiger Trend seien. Auch die Frage, ob die Zahl cannabis-induzierter Psychosen und Schizophrenie zugenommen habe, lasse sich noch nicht beantworten. „Es ist zu früh, um die Effekte auf die psychische Gesundheit insgesamt zu sehen.“ David Hammond von der Universität in Waterloo nennt die Legalisierung „überwiegend einen Erfolg“.

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Die Cannabis-Industrie macht Produkte vom Schwarzmarkt für den Anstieg medizinischer Notfälle verantwortlich. Der hält nämlich nach unterschiedlichen Schätzungen auch fast vier Jahre nach der Legalisierung noch immer Marktanteile von 30 bis 50 Prozent. Für die Industrie ein harter Konkurrent: „Der Schwarzmarkt hat einen großen Vorsprung“, sagt George Smitherman, ehemaliger Gesundheitsminister des Bundesstaats Ontario und heute Chef des Branchenverbandes Cannabis Council of Canada. „Wir zahlen hohe Steuern, wir haben ein kostspieliges regulatorisches Umfeld. Unsere Gebäude sind gebaut wie Pharmaunternehmen. Das sind sehr schwierige Wettbewerbsbedingungen.“

„Green Rush“ längst vorbei

Die Branche befindet sich derzeit in schwierigem Fahrwasser. Der sogenannte „Green Rush“ der Legalisierungstage ist längst vorüber. Damals stiegen etliche Großinvestoren in den Markt ein, Firmen erreichten Marktkapitalisierungen in Millionen- und Milliardenhöhe, noch bevor der Verkauf von Cannabis überhaupt startete. „Am Anfang dachten die Investoren, die Straße wäre mit Gold gepflastert“, so Mike McKee von Muse Cannabis. „Die Produktion hat den Bedarf bei weitem überschritten.“ Die Spekulationsblase platzte – und heute sind die Aktien der großen Anbieter im Keller. Canopy Growth, einst der Star der Branche, schrieb im ersten Quartal einen Milliardenverlust. „Jede Industrie hat Wachstumsschmerzen“, sagt McKee. Er sieht die Branche dennoch auf einem guten Weg: „Niemand kauft seinen Gin heute bei jemandem, der ihn in seiner Badewanne braut.“

Derweil blickt die kanadische Cannabis-Branche sehnsüchtig nach Deutschland: „Es gibt für uns im Moment keine größere Markt-Priorität“, so Smitherman. „Es gibt einige kanadische Unternehmen, die sehr international ausgerichtet sind – und die wolle sich an den dortigen Möglichkeiten und Chancen beteiligen.“

Hintergrund: Größter Lieferant für Deutschland

Seit der Freigabe von Cannabis zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken im Jahr 2017 hat Deutschland rund 57 Tonnen der Droge importiert. Das geht aus einer Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage aus der FDP-Fraktion hervor, über die am Freitag zuerst der „Spiegel“ berichtete. Gesetzliche und private Krankenkassen verzeichneten mit Cannabis-Medikamenten zwischen 2017 und 2021 demnach Umsätze von mehr als 588 Millionen Euro. Darauf seien fast 94 Millionen Euro an Umsatzsteuern angefallen, wie das Finanzministerium auflistete.

Größter Lieferant war bis Jahresmitte demnach Kanada mit 21,6 Tonnen Cannabis, gefolgt von den Niederlanden und Dänemark. „Die Zahlen zeigen: Bereits jetzt gibt es einen funktionierenden, legalen Markt weltweit“, sagte der FDP-Abgeordnete Maximilian Mordhorst dem „Spiegel“. Deutschland könne an diesem Markt teilhaben, wenn Cannabis schnell vollständig legalisiert würde. Laut dem Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), will die Ampel-Koalition spätestens Anfang 2023 einen Gesetzentwurf vorlegen. (mit dpa)

Unsere Autorin ist Wirtschaftsredakteurin beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ und berichtet zurzeit als Stipendiatin des Arthur F. Burns Fellowship aus Kanada.

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