Long-Covid der WirtschaftWie eine Kölner Getränkehändlerin um ihre Existenz kämpft

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Peggy Voigt betreibt seit 2019 den Kölner Getränkefachhandel Be Unique in der Trierer Straße. 

Köln – In der Innenstadt wird geshoppt, die Märkte sind voll, in den Veedeln sitzen die Menschen vor Cafés und Restaurants, in Kinos laufen Filme, auf der Tribüne im Fußballstadion stehen Menschen – das normale Leben ist zurück. Mehr oder weniger.

Peggy Voigt steht für viele, deren Existenzen auf dem Spiel stehen

Mehr für die, die es zwar genervt hat, dass sie nicht auswärts essen gehen, Livesport gucken oder in Geschäften Kleidung kaufen konnten, die deshalb aber nicht um ihre berufliche Existenz bangen mussten. Und weniger für die Selbstständigen, die die bedrohlichsten Zeiten der Coronavirus-Pandemie überstanden haben, deren Geschäfte aber unter einer Art wirtschaftlichem Long-Covid leiden.

Einer von diesen Menschen ist Peggy Voigt, und sie steht für viele, deren Existenzen noch immer auf dem Spiel stehen. Peggy Voigt spürt, dass es eben nicht wieder ist wie vor dem Frühjahr 2020, als der Umsatz um mehr als 70 Prozent absackte. Nicht einmal ein ganzes Jahr davor eröffnete sie ihren eigenen Laden.

In ihrem Getränkefachhandel Be Unique im Kölner Pantaleons-Viertel führt Voigt eine mächtige Auswahl an Gin, Whiskey, Rum, Wein, Schnaps und anderen Spirituosen. Inklusive Geschenkartikeln für Köln-Liebhaberinnen und -Liebhaber hat sie rund 3500 Artikel gelistet.

Mehr als die Hälfte der Einnahmen mit der Gastronomie

„Wäre Corona nicht gekommen, wäre es ein erfolgreiches Unternehmen geworden, ohne mir groß einen Kopf machen zu müssen“, sagt Voigt. „Die Zahlen haben damals gepasst, ich hab alles gesund aufgebaut, meine Bankberaterin war zufrieden.“

Deutlich mehr als die Hälfte ihrer Einnahmen machen Bestellungen aus der Gastronomie aus, etwas mehr als ein Drittel nimmt das Verbraucher-Geschäft ein. „Ich habe jetzt noch immer 30 bis 40 Prozent weniger Umsatz im Monat als vor zwei Jahren“, sagt Voigt. Der Getränkehandel habe sich durch die Pandemie gewandelt. Online-Händler seien aus dem Boden geschossen, die Margen fielen nun kleiner aus. Selbst wenn sie wieder so viel verkaufen sollte wie in den Monaten vor dem Coronavirus, hätte sie jetzt doch unter dem Strich weniger Geld.

Aber selbst soweit ist es noch nicht. Die Gastronomie bestelle zwar wieder, aber nicht so viel wie vorher. Noch immer finden nur wenige Feiern in Kneipen und Restaurants statt, Volksfeste werden nur reduziert abgehalten, das macht sich im Getränkefachhandel bemerkbar. Und zwar so sehr, dass jeden Monat die Frage aufkomme, wie lange halte ich das noch durch?, erzählt Voigt. „Ich will aber nicht jammern, anderen geht es ja auch schlecht“, sagt sie.

„Manche haben Depressionen bekommen“

Vor wenigen Tagen veröffentlichte Zahlen des Statistischen Bundesamts verdeutlichen das: So lag der Umsatz des Gastgewerbes in Deutschland im Juli 2021 noch immer 23,5 Prozent unter dem Niveau des Februars 2020, dem Monat vor Ausbruch der Corona-Pandemie hierzulande. 

Was für ein Rattenschwanz an der stotternden Gastronomie, den Hotels und der Veranstaltungsbranche hänge, sagt Voigt und zählt Betroffene auf: die Wäschereien, die keine oder viel weniger Bettwäsche, Tischdecken oder Gardinen reinigen, Floristen ganz ohne Aufträge für Beerdigungen und Hochzeiten mitten im Lockdown und mit viel weniger Aufträgen für festlichen Tischschmuck noch heute. „Ich habe viele Solo-Selbstständige als Freunde“, sagt Voigt. „Wir alle konnten nachts nicht mehr schlafen, weil wir nicht wissen, wie es weiter geht. Manche haben Depressionen bekommen.“

Jammern möchte sie nicht, betont sie wieder, aber aufmerksam machen auf die Tatsache, dass noch immer eine große Unsicherheit unter und Gefahr für Selbstständige herrscht. Die nun auch dadurch verstärkt wird, dass bis Ende Oktober die Formulare mit den Soforthilfe-Auskünften eingereicht sein müssen. Jene Formulare, deren Inhalt darüber entscheidet, ob gebeutelte Unternehmerinnen und Unternehmer nicht doch etwas von dem Geld zurückzahlen müssen, das sie vom Staat im ersten Lockdown erhalten haben.

9000 Euro waren es im Fall von Voigt. Sie hat das Geld weder für Lebenshaltungskosten genutzt noch die Miete für ihr Ladengeschäft gestundet, sondern genau darauf geachtet, das Geld gemäß aller Bestimmungen und Bedingungen korrekt auszugeben. Und trotzdem sorgt sie sich, ob sie nicht doch etwas zurückzahlen muss. Wie ihr geht es unzähligen Selbstständigen, Kleinunternehmerinnen und Freiberuflern.

„Das ist mein Herzblut, mein Baby“

Peggy Voigt ist eigentlich Medizinisch-Technische Assistentin, eine Fachkraft mit top Ausbildung und 13 Jahren Erfahrung in kindlicher Epilepsie-Diagnostik und mit Herzkathetern in Bayern. Vor zehn Jahren schon wechselte sie aus dem belastenden Job voller Nachtschichten in die Selbstständigkeit und nach Köln. Im Karneval hatte sie zuvor ihre heutige beste Freundin kennengelernt, die sie 2019 schließlich auch ermutigte, den Spirituosenhandel in der Trierer Straße 21 zu übernehmen.

Voigt hat das Geschäft damals auf Vordermann gebracht, den Laden renoviert und vom reinen Gastro-Lieferanten zum Getränkefachhandel für Privatkunden und Gastronomen neu aufgestellt. Ihr Vater hat eine tropisch anmutende Tiki-Bar für das Geschäft gezimmert. Voigt weist stolz auf sie hin. Sie sei viel auf Messen unterwegs, erzählt sie, besuche Destillen und Winzer, nehme Marken aus dem Regal, wenn sie plötzlich im Discounter zu haben sind, lege Wert auf ein besonderes Angebot. „Ich habe mir einen Traum verwirklicht. Ich liebe es zu verkaufen. Das hier“, sagt sie, „das ist mein Herzblut, mein Baby.“

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Bis jetzt hat ihr Baby die weiterhin andauernde Corona-Krise der vielen Selbstständigen überlebt. Ende dieses Jahres will sie erneut Bilanz ziehen und schauen, ob es wieder bergauf geht, ob es eine langfristige Perspektive für sie und ihren Fachhandel gibt. Dann – und es sei nicht möglich gewesen, in der Zwischenzeit Rücklagen zu bilden – stehen auch bald schon die ersten Rückzahlungsraten des Corona-Kredits an. Eine Geldspritze im unteren fünfstelligen Bereich, die sie im zweiten Lockdown brauchte. Um es überhaupt so lange zu schaffen.

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