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Nach Kohleausstieg 2030Wie NRW die Energieversorgung sicherstellen will

Lesezeit 5 Minuten
Kraftwerk Niederaußem

Das Braunkohle-Kraftwerk und Windräder in Niederaußem (Rhein-Erft-Kreis)

Düsseldorf – Mehr als 55 Prozent des Stroms in NRW soll 2030 aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Das ist das Ziel der Energieversorgungsstrategie, die Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) am Donnerstag im Düsseldorfer Landtag vorgestellt hat.

Die Landesregierung passt ihren Plan aus dem Jahr 2019 damit den neuen Zielen der Bundesregierung an, die den Ausstieg aus der Kohleverstromung statt wie geplant 2038 jetzt möglichst schon 2030 erreichen will.

„Die Energieversorgung in NRW wird sich grundlegend verändern“, sagte Pinkwart. „Wir sind inzwischen Stromimportland und werden das auch bleiben. Erneuerbarer Strom wird unser zentraler sektorübergreifender Energieträger.“

Die Landesregierung habe einen konkreten Fahrplan „für den klimaverträglichen Umbau unseres Energieversorgungssystems und einen verantwortungsvollen Ausstieg aus Kohleverstromung und Kernenergie“, so Pinkwart.

Aber wie sieht der aus? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist der Hintergrund?

Der Bund hat das Klimaschutzgesetz im Juni 2021 deutlich verschärft. Die Treibhaus-Emissionen müssen 2030 gegenüber 1965 um mindestens 65 Prozent sinken. 2040 sollen es 88 Prozent sein. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. „Daher muss der Umbau des Energieversorgungssystems deutlich schneller erfolgen“, sagte Pinkwart. Deshalb habe die Landesregierung im Sommer damit begonnen, ihre Energieversorgungsstrategie aus dem Jahr 2019 fortzuschreiben.

Wie ist die Ausgangslage?

Beim 2019 im Kohlekompromiss verhandelten Kohleausstieg hat NRW die Vorreiterrolle eingenommen. 2020 wurde der erste Braunkohlen-Kraftwerksblock im Rheinischen Revier stillgelegt. In diesem Jahr werden in Niederaußem, Neurath und Weisweiler jeweils ein weiterer Block mit einer Leistung von 300 Megawatt folgen.

Bis 2029 übernimmt NRW mehr als 70 Prozent der Braunkohlekapazitäten, die deutschlandweit stillgelegt werden müssen. Bei der Steinkohle-Verstromung liegt die Quote bei knapp 50 Prozent. Dieses Tempo muss bei einem Kohleausstieg im Jahr 2030 deutlich erhöht werden.

Welche Rolle werden künftig Gaskraftwerke bei der Energiewende spielen?

Gas und Wasserstoff sind das Rückgrat der Energieversorgungsstrategie der Landesregierung. Wenn der Ausstieg aus der Kohleverstromung bereits 2030 gelingen soll, müssen bundesweit zusätzlich 23 Gigawatt Strom aus Gaskraftwerken zur Verfügung stehen, davon rund sechs in NRW. Das hat das Energiewirtschaftliche Institut Köln errechnet. Bisher waren für NRW vier Gigawatt bis 2032 vorgesehen.

Der Bau neuer „flexibel regelbarer Gaskraftwerke“ ist nach Auffassung der Landesregierung besonders wichtig, um die Stromversorgung auch bei hoher Nachfrage zu garantieren. Die neuen Kraftwerke müssen von vornherein wasserstoffgeeignet („H2-Ready“) sein, also in Zukunft teilweise oder vollständig klimaneutral mit Wasserstoff betrieben werden können.

Gibt es überhaupt Investoren für den Bau solcher Gaskraftwerke?

Im Prinzip schon. Der Strommarkt sei derzeit aber nicht „in der Lage, den notwendigen Zubau an Gaskraftwerken anzureizen“, sagte Pinkwart am Donnerstag im Landtag. Deshalb schlägt die Landesregierung vor, einen Kapazitätsmarkt einzuführen. Das bedeutet, dass die Energieversorger auch dafür bezahlt werden, dass sie eine bestimmte Strommenge vorhalten und garantieren. Dafür seien die Bundesregierung und die Europäische Union zuständig.

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So müsse die Frage geklärt werden, ab wann und unter welchen Voraussetzungen die neuen Kraftwerke „H2 Ready“ sein müssen. Grundsätzlich müsse die EU diese Technologie als nachhaltig einstufen, damit sie finanziell gefördert werden können. „Ohne diesen Investitionsrahmen fehlen die notwendigen Kapazitäten für die Absicherung des Kohleausstiegs und würden diesen verzögern“, warnte Pinkwart. 2045 sollen in NRW klimaneutrale Gaskraftwerke 20 Gigawatt Leistung bringen. „Wir hoffen, dass wir dann in der Lage sind, Überschuss-Energie hocheffizient in Wasserstoff umwandeln zu können.“ Noch gelte "grüner Wasserstoff" eher als als "Champagner der Energiewende“.

Was bedeutet das für das Rheinische Revier?

Für den Strukturwandel im Rheinischen Revier sind neue Gaskraftwerke eine gute Chance, weil sie an den bisherigen Kraftwerksstandorten entstehen können. Die Infrastruktur, also Leitungen und Netze, seien vorhanden. Das sei ein enormer Standortvorteil.

Was ist mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien?

Das Land will bis 2030 die Windenergie auf 12 statt bisher 10,5 Gigawatt ausbauen. Bis 2035 sollen es dann 15, bis 2045 rund 18 Gigawatt werden. Das seien „aufgrund der begrenzten Flächenverfügbarkeit, die rein faktische Grenzen setzt, nochmal ehrgeizigere Ziele“, so Pinkwart.

Um sie zu erreichen, sollen für eine Nutzungsdauer von bis zu 30 Jahren auch Windräder in Wäldern auf den Flächen gebaut werden, die durch Stürme und Schädlingsbefall so stark geschädigt sind, dass die Wiederaufforstung Jahrzehnte dauern wird. Auf diesen Flächen könnten bis zu drei Gigawatt Strom produziert werden. 

Gleichzeitig soll dort Mischwald nachwachsen. Nach diesem Zeitraum sollen die Anlagen nicht ersetzt werden. „Wir wollen deutlich machen, dass wir den Wald nicht beliebig in Anspruch nehmen“, sagte Pinkwart. Seit Juli 2019 dürfen Windenergieanlagen in NRW-Wäldern nur noch unter strengen Bedingungen errichtet werden.

An der 1000 Meter-Abstandsregelung zur Wohnbebauung will die Landesregierung festhalten. Die Kommunen hätten schon jetzt die Möglichkeit, davon abzuweichen. Das Land will überdies prüfen, ob auf Industrie- und Gewerbeflächen Windräder stehen können.

Bis 2045 soll der Anteil des Stroms, der in NRW durch direkte Stromanschlüsse aus Offshore-Windanlagen in Norddeutschland zur Verfügung steht, bei 14 Gigawatt liegen. Bis 2030 ist Offshore-Wind noch nicht eingeplant, weil der Leitungsausbau derzeit nur schleppend vorankommt.

Und die Photovoltaik?

Das Land erhöht die Ausbauziele gegenüber 2019 noch einmal deutlich. Bis 2030 soll sich die installierte Leistung von derzeit rund sechs mindestens auf 18 Gigawatt verdreifachen. Nach Möglichkeit sollen sogar 24 Gigawatt erreicht werden.

Dazu wird die bisher lediglich auf Gewerbeflächen ausgerichtete Photovoltaik-Offensive erweitert: auf ungenutzte Freiflächen in benachteiligten Gebieten, Mehrfamilienhäusern, Wasser- und landwirtschaftliche Flächen. Möglichst alle geeigneten Dachflächen sollen für die Solarenergie genutzt werden.

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