Organisierte KriminalitätDas große Geschäft mit gefälschter Ware

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461 des 870-Milliarden-Jahresumsatzes der Organisierten Kriminalität gehen auf das Konto gefälschter Uhren, Schmuckstücke, Medikamente, Textilien, Lederwaren, und ähnlichem. 

Berlin – Es handelt sich um einen Wirtschaftsfaktor ersten Ranges. Der Jahresumsatz liegt laut OECD  bei rund 870 Milliarden US-Dollar, die Wachstumsrate für die zurückliegenden 20 Jahren beträgt  1000 Prozent, allein auf den Bereich der Produktpiraterie entfallen 2,5 Prozent des Welthandels. „Die Organisierte Kriminalität (OK) hat ein enormes Ausmaß angenommen “, sagt Arndt Sinn. Der Direktor des Zentrums für europäische und internationale Strafrechtsstudien an der Uni Osnabrück hat Jahresstatistiken des Zolls und der Polizeibehörden sowie internationale Daten über Umfang, Geschäftsfelder und Strafverfolgungsmöglichkeiten zusammengetragen, um im Auftrag des Forums vernetzte Sicherheit Defizite aufzuzeigen und Empfehlungen für eine effektivere Strafverfolgung zu formulieren.

Rund 5000 kriminelle Organisationen in der EU

Sinn präsentiert in seiner 120-seitigen Studie eine Fülle an Daten und Beispielen, die eine globale Verbreitung und wachsende Vernetzung der OK belegen. Danach sind allein innerhalb der EU rund 5000 der OK zuzurechnende Organisationen aktiv, mehr als zwei Drittel von ihnen auch international.  Knapp die Hälfte ist in mehreren „Geschäftsfeldern“ wie Drogenhandel, Arzneimittelfälschung, Produktpiraterie, Autodiebstahl und Menschenhandel tätig. Allein deutschen Maschinen- und Anlagenbauern entstehen durch OK jährlich Schäden in Höhe von 7,3 Milliarden Euro. 

Teils kooperieren organisierte Banden, um gestohlene Waren von gemeinsam beauftragten Logistikunternehmen über Grenzen transportieren zu lassen. Teils finden sich hochspezialisierte Kriminelle auf Zeit zusammen, um Bankdaten im Internet abzufischen oder mit Schadsoftware Unternehmen zu erpressen. Für letzteres existieren laut Sinn regelrechte Franchiseunternehmen: IT-Kriminelle bieten Handlungsanweisungen zur Verbreitung von Computer-Viren an und erhalten als Gegenleistung einen vereinbarten Anteil am wirtschaftlichen Ertrag der Straftaten.

Gleichwohl zögert Sinn,  Cyberkriminelle pauschal der OK zu zuordnen: „Da ist eine neue Generation hoch intelligenter IT-Krimineller am Werk, die sich meist nur für begrenzte Zeit zur Begehung einer Straftat zusammentun“, sagt der Wissenschaftler. Eine dauerhafte Organisation, hierarchische Strukturen oder die Spezialisierung auf bestimmte „Geschäftsfelder“ und Regionen, wie sie etwa Mafiaorganisationen zu eigen ist, seien bei vielen Cybercrime-Aktivtäten nicht zu erkennen.

Ein Geschäft mit Leben und Tod

Besonders weit verbreitet und vom Umfang her bedeutendste OK-Branche ist die Produkt- und Markenpiraterie. 461 des 870-Milliarden-Jahresumsatzes der OK gehen auf das Konto gefälschter Uhren, Schmuckstücke, Medikamente, Textilien, Lederwaren, und ähnlichem mehr. Mit Blick auf  Arzneimittel liegen die Risiken auf der Hand: Patienten erhalten nicht die benötigten Wirkstoffe und nehmen möglicherweise sogar schädliche Substanzen zu sich, die Präparate können wegen unsachgemäßer Lagerung verdorben sein. Dabei wird mit gefälschten Medikamenten mittlerweile mehr Geld verdient als im Kokainhandel. Um Leben und Tod geht es  auch bei nachgemachten Amphetamine. Sie sollen Kampfkraft und Risikobereitschaft in kriegerischen Konflikten erhöhen. Nicht von ungefähr gilt Syrien mittlerweile als weltweit größter Produzent von Nachahmungen des Aufputschmittels Captagon. 

Abgesehen vom Arzneimittelsektor wird das große Fälschen laut Sinn aber weithin als Bagatelldelikt betrachtet -  und auch so geahndet. Zu Unrecht, meint  Hochschullehrer Sinn: „Wer mit seinem Auto im Halteverbot steht, bekommt ein Knöllchen. Wer vom Zoll mit ein paar nachgemachten Marken-T-Shirts erwischt wird, kommt ohne Sanktionen davon.“ Um die OK wirkungsvoll bekämpfen zu können, müsse bei offensichtlichen Fälschungen  auch über eine Mithaftung der Verbraucher nachgedacht werden. Denn mit ihrem Verhalten unterstützten die Käufer vielerorts untragbare Herstellungsbedingungen wie Zwangs- und Kinderarbeit. Nicht selten steckten Bürgerkriegsparteien und Terrororganisationen hinter der OK.

Prümer Vertrag noch nicht umgesetzt

Politik und Ermittlungsbehörden halten mit diesen Entwicklungen laut Sinn kaum Schritt. Teils seien nicht einmal die Datenbanken der deutschen Bundes- und Landespolizeibehörden  miteinander kompatibel, von internationaler Vernetzung zu schweigen. So hätten Italien und andere EU-Länder noch immer den  2011 in Kraft getretene Prümer Vertrag nicht umgesetzt, der einen grenzüberschreitenden Datenabgleich von Fingerabdrücken und genetischen Tatortspuren  vorsieht. Es fehle allenthalben an Expertenwissen, moderner Technik und Personal, so Sinn: Im Hamburger Hafen seien gerade zwei Personen mit der Kontrolle von Handelscontainern betraut. Auf rund 150 solcher Kontrollen komme das Team pro Jahr – bei neun Millionen Containern, die im Hamburger Hafen jährlich umgeschlagen werden.

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