Protokolle von UnternehmerinnenWie es ist, in einer Weltwirtschaftskrise zu gründen

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Annika Steinforth Mundschutz

Annika Steinforth hat eine Heilpraxis für Frauen gegründet.

  • Die Corona-Pandemie war für die Wirtschaft weltweit eine Katastrophe. Doch während viele Unternehmen ihre Mitarbeiter entlassen mussten, haben sich manche Menschen sogar in dieser Zeit selbstständig gemacht.
  • Wir haben mit sechs Gründerinnen und einem Gründer über ihre Erfahrungen gesprochen. Diese mutigen Menschen haben Erstaunliches zu berichten.
  • Protokolle von Glück, Verzweiflung, ersten Erfolgen und Rückschlägen.

Köln – Jobsuchende finden kaum Stellenanzeigen, immer mehr Unternehmen streichen Arbeitsplätze, Jobs müssen mit Staatsgeldern gerettet werden – die Corona-Krise hat die Arbeitswelt fest im Griff. Und dennoch gibt es Menschen, die sich wagen, ihre Pläne von der Selbstständigkeit durchzuziehen, mitten in der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg etwas Neues auf die Beine zu stellen. Wie sich das anfühlt, haben uns sechs Frauen und ein Mann berichtet.

Annika Steinforth zog ihre Praxispläne durch:

„Ich war neun Jahre in Elternzeit. Vor dem ersten Kind war ich selbstständige Heilpraktikerin mit einer Praxis in Ehrenfeld. Es war immer der Plan, wieder richtig durchzustarten, wenn mein jüngstes Kind in den Kindergarten kommt. Anfang des Jahres war es soweit. Ich erstellte einen Businessplan, ein Konzept für meine neue Frauenheilkunde-Praxis, ließ eine Webseite designen. Damals war das Virus total weit weg, irgendeine ferne Sache in China.

Aschermittwoch habe ich noch den Mietvertrag für die Praxisräume im Belgischen Viertel unterschrieben, danach wollte ich sie einmal komplett renovieren, hatte neuen Boden und neue Möbel bestellt.

Mitte März kam dann die Nachricht, dass alle Kitas und Schulen schließen. Das war mitten in der Gründung ein Schlag ins Gesicht: Ich musste mich nun um meine vier Kinder statt um meine Praxis kümmern. Dazu die ganzen Kosten, während die Zukunft unsicher ist. Mit meinem Mann, der auch selbstständig ist, habe ich entschieden, mutig zu sein und es durchzuziehen, ohne zu wissen, wie es weitergeht. Aber die nächsten sechs Wochen habe ich mich um die Kinder gekümmert. Homeoffice war da nicht möglich. Dann war auch noch Stillstand auf der Baustelle, wegen Corona hing der neue Boden an der Schweizer Grenze fest.

Ende April, kurz vor der geplanten Praxisöffnung, wurde ich mit meinem Job endlich als systemrelevant eingestuft und die Kinder wurden wieder betreut. Dann musste alles ganz schnell gehen. In der Praxis standen noch Kreissägen und Müllsäcke rum, eine Stunde vor der ersten Behandlung waren noch Handwerker da. Das war der helle Wahnsinn.

Am Anfang lief es träge. Aber seit Mitte Mai habe ich starken Zulauf. Vorher hatte ich mit zwei neuen Kundinnen pro Monat geplant, jetzt kommen aber drei bis fünf pro Woche.  Ich habe es geschafft, und jetzt geht es mir richtig gut.“ 

Jaye Pharrell gründete „Videobesuch“:

„Wir vier Gründer von »Videobesuch« haben uns 2019 in der Kölner Start-up-Szene kennengelernt. Als die Bundesregierung beim Hackathon »Wir vs. Virus« im März kreative Lösungen für Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus gesucht hat, haben wir uns dazu entschieden, gemeinsam teilzunehmen.

Uns war schnell klar, dass ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen wegen des Besuchsverbots von der Außenwelt abgeschnitten waren. Das wollten wir ändern. Wir hatten vorher Erfahrungen mit Immobilien, IT, Marketing und App-Design – von Pflege hatten wir aber keine Ahnung. Wir wussten nur, dass es in vielen Einrichtungen weder Internet gibt noch die Möglichkeit, Videoanrufe durchzuführen. Also kreierten wir die Idee zu »Videobesuch«, einer Mischung aus Videoanruf- und Planungssoftware.

Unser Fokus lag dabei darauf, den ganzen Vorgang technisch so einfach wie möglich zu halten. Hierbei legt die Pflegeeinrichtung virtuelle Besuchszeiten für Bewohner fest und Angehörige können dann über einen Buchungslink selbst einen Videobesuch vereinbaren. Die Einrichtung muss sich dann nur noch darum kümmern, ein Tablet zum Bewohner zu bringen. Der Anruf selbst startet dann zur vereinbarten Uhrzeit vollkommen automatisch.

Von mehr als 1500 Hackathon Projekten hat es unseres in die Top 20 geschafft, woraufhin wir ein Unternehmen gründeten. Etwa zwei Wochen nach dem Hackathon, konnten an Ostern bereits die ersten über unsere Software organisierten Anrufe stattfinden. Für diesen ersten Pilot haben wir mit Vodafone und Caritas Düsseldorf zusammengearbeitet. Seitdem haben wir etwa 300 Pflegeeinrichtungen als zahlende Kunden gewonnen, die über Tausend Anrufe mit »Videobesuch« durchgeführt haben.“

Jennifer Schäfer entwickelte einen pflanzlichen Proteindrink:

„Mein erstes Unternehmen, eine Mode-App, habe ich vor ein paar Jahren erfolgreich verkauft, blieb aber Geschäftsführerin. Ende 2019 habe ich wieder Lust bekommen, zu gründen, und kündigte. Ich wollte einen rein pflanzlichen Proteindrink entwickeln, der richtig gut schmeckt und »Unmilk« heißt.

Dafür habe ich früh Investoren an Bord geholt, die sich mit Food-Innovationen auskennen. Etwa zu der Zeit, als ich mit ihnen über ein Investment gesprochen habe, hörte ich das erste Mal vom Coronavirus. Ich habe es direkt ernst genommen. Weil ich stark an meine Idee und mein Produkt glaube, wäre es so traurig gewesen, wenn es am Zeitpunkt gescheitert wäre.

Dann haben auch noch viele Start-ups Alarm geschlagen, weil sich Investoren zurückgezogen haben. Bei ihnen saß das Geld nicht mehr so locker. Ich hatte mehr Glück, habe großen Zuspruch erfahren und konnte weitermachen. Aber ich konnte ja nirgendwo mehr hinfahren, um mit Lieferanten zu verhandeln, die Rezeptur zu entwickeln oder Geschmackstests durchzuführen. Das Rezept habe ich dann mit Unis und Instituten entwickeln. Sie haben in ihren Anlagen den Drink ultrahocherhitzt und mir die Proben geschickt, dann kam ich mit Änderungsvorschlägen. So ging es immer wieder hin und her, bis es perfekt war.

Geschmackstests wollte ich vor Supermärkten machen, aber wenig überraschen wollte in diesen Zeiten eine Probe von einer fremden Frau mit Maske annehmen. Ich habe dann aber auf Facebook eine Gruppe ernährungsbewusster Menschen gefunden, die sich bereit erklärt haben.

So bin ich Schritt für Schritt vorangekommen. In den Einzelhandel zu kommen, war sehr schwierig und Einkäufer am Telefon zu überzeugen eine echte Herausforderung.

Bei Rossmann habe ich Gehör gefunden und ihnen Proben geschickt. Mit Erfolg: An 20 Drogerie-Standorten läuft gerade ein Test. Das könnte ein echtes Sprungbrett für mich und »Unmilk«werden.“

Meike Haagmans startete mit einem neuen Geschäftsmodell:

„2012 habe ich mit »Joventour« einen Veranstalter für Rundreisen mit Linienbussen gegründet. Vor allem nach Süd- und Mittelamerika haben wir viele Reisen organisiert. Auch 2020 lief richtig gut an. Dann kam die weltweite Reisewarnung und innerhalb von zwei Tagen habe ich alle Umsätze verloren. Heute empfinde ich es als erstaunlich, wie ruhig ich das damals aufgenommen habe. Wir mussten Urlauber zurück nach Deutschland holen und Stornierungen bearbeiten. Ich brauchte meine Mitarbeiter, um das alles zu schaffen, gleichzeitig ging das Geld aus, um sie zu bezahlen. Es war das totale Chaos. Mit Kurzarbeit und Soforthilfen haben wir uns durch die nächsten Monate gekämpft.

Dann hatte ich eine Idee für ein neues Geschäftsmodell: Ich bin seit letztem Jahr Mutter, und bei uns hing ein hässliches Blatt Papier mit Erste-Hilfe-Hinweisen für Notfälle. Das hat niemand beachtet, ich habe irgendwann einfach Jacken darüber gehangen. Dabei ist es doch so wichtig, zu wissen, wie man richtig reagiert, wenn mal was mit dem Kind passiert. Aber in schön gab es das einfach nicht.

Mit meiner Freundin Lynn Zapp, die Designerin ist und die ich seit der ersten Klasse kenne, habe ich dann »Littleplan« gegründet. Seit Mai verkaufen wir über unseren Onlineshop richtig schöne, personalisierte Erste-Hilfe-Poster, die man sich gerne an die Wand hängt.

Die ersten zwei Monate liefen richtig gut, wir dachten schon, wir könnten schnell davon leben. Dann ist Gut Haswinkel in Leichlingen abgebrannt, Lynn hatte den Hof zuvor geerbt. Da stand dann erst einmal alles still. Wir haben zwar weiter produziert, aber keine Werbung gemacht. Jetzt zieht es wieder an, wir arbeiten auch mit Influencerinnen, und das Interesse an uns steigt. Unser großes Ziel ist es, dass in jedem deutschen Kinderzimmer ein »Littleplan«-Poster hängt und dass wir von der Produktion unserer zwei jungen Familien ernähren können.“

Kristina Elise Stoll musste ihre Pläne über Bord werfen:

„Im Frühjahr 2019 habe ich meinen Vollzeit-PR-Job gekündigt, um mich selbstständig zu machen. Ein eigenes Label für fair produzierte Kindermode war schon längere Zeit mein Plan. Um einerseits meinen Traum der Selbstständigkeit verfolgen zu können und gleichzeitig aber auch das Gründungsrisiko zu mindern, habe ich einen Teilzeitjob am Institut für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule Köln angenommen.

Im Frühjahr dieses Jahres stand mein Businessplan, ich hatte Kontakte zu Produzenten in Portugal und erste Muster waren fertig. Dann kam der Lockdown und meine Produzenten haben mir einer nach dem anderen abgesagt. Ein Jahr Arbeit war plötzlich futsch und das Geld, das ich bereits investiert hatte, war weg.

Aufgeben wollte ich trotzdem nicht, aber ich musste umdenken und vor allem auch kleiner denken. Ich bin schließlich noch eine One-Woman-Show.

Nach vielen schlaflosen Nächten habe ich dann Anfang Mai die Entscheidung getroffen mein eigenes Schmucklabel zu gründen. Für Echtschmuck habe ich einfach schon immer eine sehr große Leidenschaft und auch Schwäche. Als allererstes habe ich meine Marke »Kristina Elise« angemeldet und dann einfach den Hörer in die Hand genommen, um Goldschmiedinnen und Goldschmiede in Köln anzurufen. Innerhalb einer Woche hatte ich eine Goldschmiedemeisterin gefunden, der meine Idee gefallen hat. Seitdem arbeiten wir zusammen und die erste Kollektion von »Kristina Elise« ist fertig.

Mein finanzielles Risiko ist jetzt überschaubar. Ich designe kleine Kollektionen und die Schmuckstücke werden erst auf Bestellung angefertigt. Und wenn eine Kundin oder ein Kunde einen individuellen Wunsch hat, ist das, dank meiner direkten Zusammenarbeit mit der Goldschmiedemeisterin, ebenfalls möglich. Von ihr kaufe ich auch das Material, wie Gold, Silber und Platin und die Steine.

Davon leben kann ich bisher noch nicht, aber mein sicherer Teilzeitjob im öffentlichen Dienst hat sich, gerade auch in dieser herausfordernden Zeit, als großes Glück erwiesen.“

Rosi Mijoc hat während Corona ein Hotel gekauft:

„Schon lange bin ich in der Touristik tätig, und da träumt man natürlich vom eigenen Hotel. Dann kam es dazu, dass mein Mann über die Anzeige zu dem Hotel in Bergisch Gladbach gestolpert ist. Wir haben es besichtigt und es war Liebe auf den ersten Blick. Wir haben es Privathotel Bremer Garni genannt.

Als wir es kauften, war uns bewusst, dass es eine heikle Zeit ist, aber das hat uns nicht aufgehalten. Wir hatten Glück. Corona war für dieses kleine Hotel eher positiv, weil wir die Gäste aufnehmen, die aus den großen, oft geschlossenen Häusern auswichen. Wir haben auch viele Geschäftskunden der Firmen um Bergisch Gladbach. Insgesamt haben wir 22 Zimmer und sind diese Woche auch ausgebucht. Im November sieht es bislang aber nicht so gut aus, da haben wir bisher nur vereinzelt Buchungen.

Wir sind aber so weit, dass wir das Hotel renovieren und neue Mitarbeiter suchen. Vor allem haben wir dabei viele Bewerber aus großen Häusern. Trotzdem haben wir, wenn es mal nicht mehr so gut laufen sollte, einen Plan B im Kopf. Wir würden in dem Fall aus dem Hotel Wohnungen machen. Aber ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird.“ (aufgezeichnet von Constantin Lüdeking)

Melvin Schwarz hat gegründet und Abitur gemacht:

„Meine ursprüngliche Idee war es, einen Onlineshop rund um das Thema Home & Living zu gründen. Gemeinsam mit meinem Mitschüler Julian Meyer und jetzigen Arbeitskollegen Sinan Kuscu habe ich das Projekt. Das besonders Interessante an unserem Shop war unser integriertes Personalisierungs-System. Dieses war in der Lage, dem Kunden speziell nur die Produkte vorzuschlagen, die ihn auch wirklich interessieren und somit zum Kauf bewegen.

Nach einer gewissen Zeit wurde uns klar, dass unsere Partner, die ihre Möbel in unserem Shop angeboten haben, viel interessierter an unserer Personalisierung-Software waren, anstatt ihre Produkte bei uns im Shop anzubieten. Also haben wir unser Geschäftsmodell umstrukturiert. Mit »Recommendy« wollen wir den Markt der Online-Shop-Personalisierung revolutionieren. Im Gegensatz zu den meisten Technologien sorgen wir dafür, dass jeder Kunde andere und vor allem individuelle Empfehlungen erhält.

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Dadurch stand also während des Corona-Lockdowns gleichzeitig unsere Abiprüfung und unser Start-up auf der Agenda. Das war eine super stressige Zeit. Teilweise mussten wir nach der Schule nach Köln, dann nachts um drei Uhr zurück und morgens wieder in die Schule und lernen. Unterstützt wurden wir durch die Founders Foundation Bielefeld. Trotzdem war es schwer, Schule und Firma unter einen Hut zu bekommen. Glücklicherweise war jedoch unser Geschäftsmodell nicht von der Krise betroffen, wir haben sogar sehr stark von dem wachsenden Onlinehandel profitiert.“ (aufgezeichnet von Constantin Lüdeking)

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