Regionaler, nachhaltiger, fairerWas essen wir in Zukunft?

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Kai Funada Classen (l.) und Finn Bußberg gründeten Mybugbar.

Markus Stetter verteilt die winzigen Körnchen auf seiner Hand. Ganz hell heben sie sich von seiner Haut ab. „Das sind Amaranthsamen, wie wir sie heute kennen“, sagt der Biologe. Die ursprünglichen Samen der Pflanze allerdings sehen anders aus, viel dunkler, rötlich. Auch die kann der 33-Jährige zum Vergleich vorführen, denn im Garten des Biozentrums an der Universität zu Köln wachsen die unterschiedlichsten Sorten des Pseudogetreides.

Der promovierte Nachwuchsforscher, Gruppenleiter am Institut für Pflanzenwissenschaft der Universität Köln, will herausfinden, wie sich diese Wildpflanze zur Kulturpflanze entwickelt hat. Überhaupt wie aus Pflanzen mit kleinen, mitunter ungenießbaren Früchten solche mit großen, nährstoffreichen Ernteprodukten entstehen. Wer das weiß, könnte einen wichtigen Beitrag zur künftigen Ernährungssicherung leisten.

Stetter ist Mitglied von CEPLAS, dem einzigen Exzellenzcluster Deutschlands auf dem Gebiet der Pflanzenforschung. Im Laufe der Zivilisation, sagt Stetter, wurden viele Tausende Pflanzen domestiziert. Heute lieferten jedoch allein drei Kulturpflanzen mehr als 40 Prozent der Kalorien für fast acht Milliarden Menschen. 2050 werden rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Das heißt: Die Lebensmittelproduktion muss erheblich gesteigert und vielfältiger werden – und das unter den schwierigen Bedingungen der Klimaveränderungen.

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Mit der gezielten Züchtung neuer und alter Sorten hoffen die Forscher, eine nachhaltige, schädlingsresistente und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Markus Stetter hat sich nun vor allem auf die Erforschung von Amaranth spezialisiert, eine Pflanze, die in Süd- und Mittelamerika einst eine wichtige Rolle spielte – hier und heute in der Regel aber nur noch gepufft im Müsli zu finden ist. „Amaranth zeichnet sich durch seinen hohen Gehalt an Proteinen, Oxidantien und Spurenelementen aus“, schwärmt Stetter.

Wahrscheinlich würde es ausreichen, sich ausschließlich von Amaranth zu ernähren. Die Pflanze gedeiht außerdem besonders gut in der Trockenheit. Stetter will nun wissen: Welche Gene sind für diese Stoffe und Merkmale verantwortlich, und wie haben sie sich verändert? Welche Pflanzen wachsen wo besonders gut und wieso?

Unter anderem mit Hilfe der Genomsequenzierung wird die Vielfalt dieser Pflanze dokumentiert und die Evolutionsgeschichte rekonstruiert. Das heißt, dass fast 30.000 Gene pro Pflanze, sprich 500 Millionen Basenpaare, ausgewertet werden. Mit dem Wissen und den Methoden von heute könnten vielleicht in einer einzigen Menschengeneration neue Nutzpflanzen produziert werden. „Wir beschleunigen quasi die Evolution.“

An welchem Punkt sich die Grundlagenforschung derzeit befindet, sei schwer zu sagen. Am Ende brauche es mehr, als nur die Pflanzen an die gewünschten Bedarfe anzupassen. Ganze Systeme wie die Ernte- und Anbautechnik müssten sich ebenfalls ändern. Nicht zu unterschätzen sei außerdem, die Akzeptanz der Menschen für neue Kulturpflanzen zu fördern. Deshalb spricht Stetter auch gerne öffentlich über sein Forschungsgebiet – in Vorträgen oder vor Journalisten.

Kräuter auf öffentlichen Plätzen

Woher kommt künftig unser Essen? Die Antwort auf diese Frage will sich Florian Sander nicht allein von der Politik in Berlin oder Brüssel auftischen lassen. Die Frage soll auch in Köln entschieden werden. Von Kölnern und Kölnerinnen. „Eigentlich sind wir alle gefragt“, sagt er. Sander ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins „Ernährungsrat für Köln und Umgebung“, eine der ersten zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich unter diesem Namen seit 2016 in Deutschland und inzwischen auch in anderen europäischen Ländern gemeinsam für lokale Ernährungsstrategien engagieren.

„Für uns ist es wichtig, regionale Lebensmittel zu fördern. Dazu gehört, dass es weiterhin kleinbäuerliche Strukturen gibt, deren Produkte vor Ort weiterverarbeitet und vermarktet werden. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Umweltfolgekosten und höhere Preise akzeptiert werden.“ Nur so könnten sich Landwirte ein Auskommen sichern und ihre Produktion künftig auch ökologisch gestalten, so die Idee.

In mehreren Ausschüssen und vielen verschiedenen, zum großen Teil ehrenamtlichen Projekten wirbt der Verein für seine Sache. „Da kann jeder mitmachen“, sagt Sander. An vielen Stellen bedeute das Engagement Vermittlungsarbeit zwischen Bürgern und Bürgerinnen, Stadtverwaltung und Politik. Wie, so eine Frage, könnten städtische Kantinen, Schulen und Kindergärten konsequent mit regionalen Lebensmitteln beliefert werden?

Solche Vorhaben umzusetzen sei zwar spannend, aber auch mühsam. Dafür braucht es Menschen mit langem Atem. Sehr viel griffiger dürfte für viele das Projekt „Essbare Stadt“ sein: In dieser, so definiert es der Verein, werden Lebensmittel von, mit und für Mensch und Tier in der Stadt und im städtischen Umfeld erzeugt. Daraus leitet sich etwa das Ziel ab, in jedem Kölner Veedel Gemeinschaftsgärten zu errichten. Oder die Flächen von Kleingärten zu erweitern, sowie auf öffentlichen Plätzen Kräuter und Gemüse zu kultivieren.

Auch Blühstreifen für Bienen und Streuobstwiesen gehören dazu. Selbst Gärten in Unternehmen, so wünscht es sich der Verein, sollen als ein Ort der Begegnung und des gemeinsamen Lernens erkannt werden.

Vom Dach in den Mund

Wer wissen will, wie unsere Städte in Zukunft mit frischem Gemüse und Obst versorgt werden könnten, sollte Oberhausen einen Besuch abstatten. Auf dem Dach des Jobcenters wurde vor zwei Jahren der Altmarkt-Garten installiert. Ein Gewächshaus, in dem auf einer Fläche von 1100 Quadratmetern ganzjährig Kräuter, Salate und Erdbeeren wachsen.

Vier Klimazonen sind hier eingerichtet, die je nach Bedarf an Temperatur und Feuchtigkeit der Pflanzen unterschiedlich gesteuert werden. Alle Pflanzen werden vollautomatisch durch eine Lösung ernährt.

Das Konzept hat das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) entwickelt, das hier gleichzeitig forscht. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Erträge zu erhöhen, sondern Ressourcen effizienter zu nutzen, Belichtungs-, Nährstoff- und Bewässerungssysteme zu optimieren und Kreisläufe zu schließen.

Eine Besonderheit des Projekts: Die Haustechnik wurde bereits auf das gesamte Vorhaben abgestimmt. „Gebäudeintegrierte Landwirtschaft“ nennt das Forschungsinstitut diese Art der nachhaltigen Lebensmittelproduktion. Das heißt, sie soll möglichst mit dem verknüpft werden, was der jeweilige Bau zu bieten hat. Genutzt werden sowohl Strukturen wie Dächer und Fassaden als auch Abwärme und Abwasser.

Die Ziele sind klar: Künftig muss wassersparend gewirtschaftet, CO2 eingespart, Pestizide vermieden, Transportwege wie Lieferketten verkürzt werden. Mit diesem urbanen Agrarsystem lassen sich neue lokale Wege der Ernährungssicherung erschließen.

Bislang ist der Altmarkt-Garten der einzige seiner Art in Deutschland. Düsseldorf lässt allerdings derzeit prüfen, ob das Konzept auf dem Carlsplatz umgesetzt werden könnte, um den dortigen Markt mit Basilikum und Co zu bestücken.

Drei Gänge mit sechs Beinen

Die Mutprobe war programmiert: Die Freunde Finn Bußberg und Kai Funada Classen reisten vor dem Schulabschluss durch Asien. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihnen ein Straßenverkäufer Snacks aus irgendwas mit sechs Beinen anbot. „Keine Ahnung, was das war. Aber wir haben es gegessen“, erinnert sich Finn Bußberg. Die Neugier war größer als der Ekel was dann folgte, könnte man Faszination nennen.

Die Schüler befassten sich nach ihrer Rückkehr mit dem Thema Ernährung der Zukunft und stießen auf die offizielle Empfehlung der Vereinten Nationen, mehr essbare Insekten zu züchten. Vieles spricht dafür: Insekten liefern hochwertige Proteine, Mineralien und Vitamine, die Ökobilanz fällt unschlagbar gut aus: Insekten sind leicht und artgerecht zu züchten, brauchen wenig Platz, verursachen wenig Emissionen. „Erst wollten wir irgendein Projekt daraus machen, sind aber dazu ermutigt worden, gleich ein Unternehmen zu gründen“, so Bußberg. Heute betreiben die 21-Jährigen die Firma „Entorganics“ und verkaufen unter dem Namen „Mybugbar“ Proteinpulver für Sportler, das unter anderem aus dem Mehl von Buffalo-Würmern besteht.

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Ihr Unternehmen sehen die Männer auch als Fortführung ihres Umwelt-Engagements. Beide stammen aus Erkelenz, das gleich um die Ecke des Braunkohletagebaus Garzweiler liegt. „Wir haben als Jugendliche viel dagegen und für mehr Klimaschutz protestiert.“ Eine ganz ähnliche Geschichte gibt es auch in Köln: Das von Charlotte Binder, Tim Dapprich und Nicolas Viegener gegründete Start-up „Isaac Nutrition“ verkauft ebenfalls Proteinpulver auf Basis von Insektenmehl, das aus Buffalo-Würmern gewonnen wird. Die Firma arbeitete gemeinsam mit Lebensmittel- und Ernährungswissenschaftlern der FH Münster an dem Produkt. Die Zielgruppe: Sportler.

Der Markt steht noch ganz am Anfang: Erst seit Mai 2021 ist der gelbe Mehlwurm als Lebensmittel zugelassen. Nach der Novel-Food-Verordnung gilt für andere ausgewählte Insekten seit 2018 zumindest eine Übergangsregelung. Angesichts der allgemeinen Verunsicherung bei vielen Menschen rät die Verbraucherzentrale immer wieder dringend dazu, nur Insekten zu essen, die ausdrücklich für den menschlichen Verzehr gezüchtet wurden.

Wer die Tierchen mal probieren will, kann sich auch einen Tisch im Restaurant „Mongo’s“ in Köln reservieren. Hier werden Salate der Saison mit Heuschreckentopping serviert, frittierte Buffalowürmer und Grillen. Wie das ankommt? Pressesprecher Eike Hoffmann formuliert es so: „Unsere Gäste sind in der Frage sehr gespalten.“

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