Rekord, Crash, RekordPandemie und Hilfspakete bewegten die Börsen

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Bulle und Bär Börse Frankfurt Aktien Dax

Vor der Frankfurter Börse steht der Bär für fallende, der Bulle für steigende Kurse. In diesem Jahr kamen bereits beide zum Zug.

Frankfurt – Das Börsenjahr 2020 war „absurd“ – so empfindet es jedenfalls Hermann-Josef Tenhagen, Chef des Verbraucherportals Finanztip: Im Februar erklomm der Dax ein Rekordhoch, obwohl die Konjunktur schwächelte. Im März folgte ein historischer Einbruch, weil das Coronavirus Europa erreichte. Und zum Jahresende hat der Aktienindex nach der wohl schnellsten Erholung der Börsengeschichte den Februar-Rekord noch übertroffen – während die Pandemie weiter wütet. Zwischendurch entpuppte sich noch der Dax-Hoffnungswert Wirecard als Betrugsnummer.

Ein Jahr der Extreme

Vergleicht man nur die beiden Stichtage, sieht 2020 dagegen wie ein solides, stressarmes Börsenjahr aus: Um 4 Prozent ist der Dax gegenüber dem Jahresbeginn gestiegen. Auch international legten die Aktienmärkte spürbar zu. Doch die persönliche Bilanz jedes Anlegers hängt mehr als je zuvor von den Käufen und Verkäufen dazwischen ab. Man konnte im Dax innerhalb weniger Wochen mehr als 40 Prozent verlieren, wenn man nach dem Corona-Crash Mitte März panisch ausstieg. Wer sich zu dieser Zeit den Einstieg traute, geht dafür zum Jahresende mit 60 Prozent Gewinn nach Hause.

Die ersten Kurstreiber waren die Technologiewerte: Anteile von Amazon, Netflix und Shopify gewannen 2020 ebenso rasant an Wert wie die Papiere manch kleiner Händler von Homeoffice-Ausstattung. Wegen der Pandemie veränderte Konsumgewohnheiten schlugen sich in den Aktienkursen nieder. Onlinehändler und Lieferdienste profitierten vom Shutdown, Hersteller von Medizintechnik galten als sichere Wette: Der Wert des Göttinger Laborausrüsters Sartorius hat sich seit März verdoppelt. Doch Tesla schlug sie alle. Finanziell hat sich der Autobauer stabilisiert, technisch gehört E-Mobilen die Zukunft – der Kurs schoss binnen Jahresfrist von etwa 76 auf gut 540 Dollar hoch.

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Die größten Verliere sind die Flug- und Reisebranche

Weniger eindeutig fällt ein Blick auf andere Gewinner und Verlierer aus: Im Dax gehört mit Merck ein Pharmahersteller mit einem Kursplus von gut 30 Prozent auf Jahressicht zu den Krisengewinnern. Medizingerätehersteller Fresenius sackte dagegen trotz Gesundheitskrise um 23 Prozent ab. Klare Krisenverlierer sind vor allem die petrochemischen Unternehmen und die Reisebranche – die aus dem Dax geflogene Lufthansa notiert immer noch knapp 30 Prozent unter ihrem Vorjahreswert.

Tenhagen sieht den Aktienboom mit gemischten Gefühlen: „Mit der Realität der Pandemie hatten die Entwicklungen nicht viel zu tun.“ Immerhin sind die Unternehmensgewinne, die auch Aktienwerte prägen, zum Teil massiv abgerutscht. Unter Fachleuten ist umstritten, ob die aktuelle Börsensause ein wirtschaftlich glimpfliches Ende der Pandemie vorwegnimmt, oder ob die vielen Rettungspakete nur über eine triste Realität hinwegtäuschen.

Für Ersteres spricht, dass gegen Jahresende einige heikle Themen politisch abgeräumt wurden: Es gibt einen Brexit-Deal, das Ende der erratischen Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump naht, und der Impfbeginn nährt – zumindest in wohlhabenden Ländern – die Hoffnung auf ein besseres Jahr 2021. Andererseits hätten die guten Nachrichten allein für den Boom nicht genügt. Auch die lockere Geldpolitik der Notenbanken bläst die Kurse auf.

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„Wir sehen aktuell mehr Chancen als Risiken“, schreibt zum Beispiel Ulrich Stephan, Chefanlagestratege bei der Deutschen Bank, im Ausblick auf das Jahr 2021. Zwar gebe es Risiken, doch er rechnet mit einer wirtschaftlichen Erholung im neuen Jahr. Davon dürften Stephan zufolge vor allem Tourismus, Industrie, Automobile sowie Metall-und Bergbau profitieren. „Die Verlierer der Krise werden aufholen“, sagt Stephan. Comdirect-Marktstratege Andreas Lipkow geht davon aus, dass besonders Technologiewerte nicht mehr so stark anziehen dürften. „Da ist schon sehr viel eingepreist“, sagte er dem Aktienportal Onvista.

Doch was bedeutet all das für Kleinanleger? „Ich würde langfristig immer auf Aktien und zwar als Teil eines Fonds setzen“, sagt Tenhagen. Indexfonds wie ETFs etwa hätten von den insgesamt steigenden Kursen durchaus profitiert. Über 15 Jahre seien durchaus 7 bis 8 Prozent jährliche Rendite drin, so Tenhagen. Ein weiterer Vorteil: Breit gestreute Fonds preisen zunehmend ein, dass die Klimadiskussion in den kommenden Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen wird. „Aber auch explizit nachhaltige Fonds sind langfristig eine gute, manchmal sogar überdurchschnittlich gute Geldanlage“, sagt Tenhagen.

Dass im vergangenen Jahr laut Umfragen viele Menschen ihr Glück auch mit Einzelaktien versucht haben, sieht Tenhagen eher skeptisch. Allerdings würden viele der neu eröffneten Depots ohnehin kaum genutzt. Er bleibt angesichts des turbulenten Jahres 2020 bei seinem grundsätzlichen Rat zu Einzelaktien: „Wer das will, muss die Geldanlage zum Hobby machen – und sich täglich intensiv mit der Entwicklung der einzelnen Unternehmen beschäftigen.“ Wie schwierig das ist, habe sich bei Wirecard gezeigt: „Da haben Wirtschaftsprüfer über Jahre hinweg Probleme übersehen. Wie soll das einem Kleinanleger gelingen?“

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