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Rückblick IIAn den weißen Kragen gegangen

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Uli Hoeneß

Uli Hoeneß

Köln – Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen wegen Prozessbetrugs – Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wegen Untreue – Formel 1-Zampano Bernie Ecclestone wegen Bestechung – Ex-Bayern-Präsident Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung: Das Jahr 2014 war dominiert von vielen spektakulären Kriminalfällen und derer juristischer Aufarbeitung.

Besonders im Blickpunkt stand Thomas Middelhoff. Bis zuletzt hatte der ehemalige Arcandor- und Bertelsmann-Chef keinerlei Einsicht gezeigt. Genau das hat man ihm im Strafprozess vor dem Landgericht Essen beim überraschend scharfen Urteil in seiner Hubschrauber-Flugaffäre übel genommen, ihn zu drei Jahren Haft verurteilt und wegen Fluchtgefahr gleich in U-Haft geschickt. Auf eine halbe Million Euro haben die Richter den Schaden für Arcandor addiert, den das einstmalige Wunderkind der deutschen Wirtschaft zwischen 2005 und 2009 angerichtet haben soll.

Das ist viel Geld – jedoch nichts im Vergleich zu 28 Millionen Euro an hinterzogenen Steuern, die dem ehemaligen Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß dreieinhalb Jahre Freiheitsentzug einbrachten. Und rein gar nichts zu den Anschuldigungen, die im Strafverfahren gegen Bernie Ecclestone in München in Rede standen. Der Formel-1-Boss kaufte sich im August vom Vorwurf, einen Manager der Bayern LB mit 44 Millionen Dollar bestochen zu haben, mit 100 Millionen Dollar frei – und verhöhnte am Ende noch die Justiz. „Eigentlich finde ich dieses kapitalistische System gut. So laufen die Dinge nun mal in Deutschland“, sagte Ecclestone anschließend.

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Ist das verhältnismäßig? Oder entspricht Thomas Middelhoff, der einstmals so schillernde Big T., nur genau jenem Manager-Typus, an dem die Gerichte gern mal ein Exempel statuieren? Oder ist die Justiz seit der Finanzkrise im Umgang mit Bankern und Topmanagern generell unnachgiebiger geworden? „Auf den ersten Blick könnte man das so sehen“, sagt der renommierte Strafverteidiger Franz Salditt, der im Untreue-Prozess gegen vier Ex-Oppenheim-Banker vor dem Kölner Landgericht Friedrich Carl Janssen vertritt. Betrachte man jedoch die milden Urteile und Freisprüche in den Strafverfahren gegen die Manager etlicher Landesbanken, sei die letztere These kaum zu halten.

Bloß kein Promi-Bonus-Verdacht aufkommen lassen

Doch für viele Beobachter ist zumindest eines offensichtlich: Unabhängig von der Höhe der Urteile tun Gerichte heute alles, um im Umgang mit exponierten Beschuldigten keinerlei Anzeichen eines Promi-Bonus’ aufkommen zu lassen. Manch Wirtschaftsjurist sieht daraus sogar schon einen Nachteil für illustre Mandanten erwachsen.

Middelhoff könnte das ähnlich sehen. Er könne sich kein Fehlverhalten vorwerfen, sagte er im Schlusswort seines Essener Prozesses. Mit dem Vorhalt der Staatsanwaltschaft, er habe mit nur einem Privatjet-Flug auf Arcandor-Kosten das Geld ausgegeben, das er 25 Verkäuferinnen von Karstadt ein Jahr lang vom Lohn eingefordert habe, konnte er nichts anfangen. Seine Auftritte verärgerten die Richter. Er habe selten einen Angeklagten erlebt, bei dem es zu derart vielen Widersprüchen gekommen sei. „Ihre Einlassung war nicht von dem Willen nach ehrlichem Umgang, sondern von rein prozesstaktischen Überlegungen getrieben“, sagte der Richter. Solche prozesstaktischen Schritte bringen 2015 auch die Deutsche-Bank-Topmanager Jürgen Fitschen, Josef Ackermann und Rolf Breuer vor Gericht. Sie sollen in der Prozess-Lawine um den Untergang des Kirch-Imperiums falsch ausgesagt haben, um ihre Bank vor Schadenersatzansprüchen zu bewahren. Auch das wäre nach Ansicht vieler Experten früher nicht so aufwändig verfolgt worden.

Deutlich sichtbar wird die geänderte Herangehensweise und der ausbleibende Promibonus auch im Falle Hoeneß. Viele Beobachter setzten anfangs auf einen Deal, der dem Fußball-Manager die Haft erspart hätte – doch der blieb aus. Zu stark hatte sich der Bayern-Chef in seinen viele Millionen Euro schweren Spekulationsgeschäften an der Steuer vorbei verheddert.

Hoeneß verteidigte sich als reuiger Sünder. Er verbringt gerade wieder die ersten Tage in Freiheit. Middelhoff verteidigte sich mit Angriff – und bleibt in Haft. „Man denkt ja nur noch, die letzten drei Monate waren mein Leben. Es gibt ja einen regelrechten Wettbewerb, wie man mich beleidigen, herabschreiben und demütigen kann“, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Für Bernd Irlenbusch zählt Middelhoff zu jenen Topmanagern, die irgendwann die Bodenhaftung verloren haben. „Ich kann mir schon vorstellen, dass er sich gar nicht so schuldbewusst zeigen kann, weil er in seinem Innersten gar kein Fehlverhalten verspürt“, sagt der Verhaltensökonom und Wirtschaftsethiker von der Universität Köln. „Er war davon überzeugt, etwas Gutes zu tun und glaubte, sich deshalb auch ein paar Freiheiten herausnehmen zu können.“

Dieses Phänomen werde in der Wissenschaft als „moral licensing“ bezeichnet. „Das ist mit einem gewissen Realitätsverlust verbunden. Es wäre sicher gut gewesen, wenn er sich mit den Karstadt-Verkäuferinnen abends mal zum Bier getroffen hätte, um sich deren Sorgen und Nöte anzuhören.“

In gewisser Weise sei aber ein solcher Realitätsverlust durch die heutigen Aufstiegswege bewirkt. „Manager gehen durch einen Auswahlprozess, der einen leicht glauben machen kann, dass man selbst der Größte ist. Dann ist es sehr schwer, Demut zu zeigen.“

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