Sexismus und RassismusWenn Firmen mit Tabus werben, steht viel auf dem Spiel

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Benetton ist bekannt für umstrittene Werbung.

Benetton ist bekannt für umstrittene Werbung.

  • Eine gelungene Werbung kann Unternehmen einen großen Gewinn bringen. Umso risikovoller wird es bei Tabuthmen.
  • Sowohl Start-ups als auch etablierte Firmen bedienen sich immer wieder in der Klischeekiste, um mit provokanter Werbung aufzufallen.
  • Doch geht diese Rechnung auf?

Manchmal braucht es nicht viel mehr als eine Flasche Fruchtsaft, um einen Sturm der Empörung auszulösen. Oder wahlweise einen bedruckten Pullover, einen Herrenrasierer, das Foto dreier Herzen. Immer wieder schalten Unternehmen provokante Werbekampagnen, um ihre Produkte zu vermarkten. Die Empörung, die sie damit ernten, ist einkalkuliert – kann aber auch aus dem Ruder laufen.

Zuletzt erlebte das zum Beispiel das Bonner Mischgetränke-Unternehmen True Fruits. Jens Böcker, Marketing-Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg erklärt, wann Provokation funktioniert und wann sie scheitert.

True-Fruits - Die Jungen Wilden

Start-ups wie der Bonner Smoothie-Hersteller entscheiden sich häufig für provokante Werbestrategien, da sie so mit vergleichsweise geringem Budget viel Aufmerksamkeit generieren. „Die Werbung wird von der Zielgruppe in der Regel gut angenommen“, sagt Böcker, der an der Hochschule lehrt, die einst auch die True-Fruits-Gründer besuchten.

Die Empörung derjenigen, die das Produkt ohnehin nicht kaufen, sei für diese „jungen wilden“ Unternehmen unwichtig. True Fruits hatte zum Beispiel mit Slogans wie „Noch mehr Flaschen aus dem Ausland“ und „Abgefüllt und mitgenommen“ geworben und sich damit Rassismus- und Sexismusvorwürfe eingehandelt.

Problematisch werde es für die Unternehmen, wenn ihnen die Kontrolle über die Debatte entgleite. Bei True Fruits sei dieser Punkt mit einer Petition gegen den Smoothie-Hersteller erreicht worden. Mittlerweile haben mehr als 30 000 Menschen das Gesuch mit dem Namen „truediskriminierung und sonst nichts. Nehmt true fruits aus Eurem Sortiment“ auf der Internetplattform „change.org“ unterzeichnet.  Kritisch wird es auch, wenn der Handel – in solchen Fragen in der Regel risikoscheuer – reagiert: Die Supermarktkette Rewe beispielsweise schmiss 2017 True-Fruits-Smoothies mit der Aufschrift „Vagina“ aus dem Sortiment.

Benetton und Gillette - Die Etablierten

Auch etablierte Firmen nutzen das Mittel der Provokation. Eines der bekanntesten Beispiele dafür ist die italienische Modemarke „United Colors of Benetton“, die  in den 80er und 90er Jahren mit Bildern eines sterbenden Aids-Kranken, eines elektrischen Stuhls oder der Abbildung dreier menschlicher Herzen für Diskussionen sorgte. Auf Dauer zahlte sich das nicht aus: „Die Kunden haben das am Ende nicht mehr verstanden und die Marke hat sich bis heute nicht davon erholt“, sagt Böcker. Dennoch holte der schwächelnde Konzern 2018 den Fotografen Oliviero Toscani, der damals für die Schock-Fotos verantwortlich war, zurück. Neue Kampagnen zeigten zum Beispiel ein Flüchtlingsboot im Mittelmeer.

Für das Scheitern der Benetton-Strategie nennt Böcker zwei zentrale Gründe: Zum einen sei keine Verbindung mehr zum Produkt erkennbar – die Provokation erfolge nur um der Provokation willen. Zum anderen sei die Marke zuvor sehr brav aufgetreten; ihr habe also die Glaubwürdigkeit gefehlt.

Ein ähnliches Risiko sieht er bei der aktuellen Kampagne des Rasierer-Herstellers Gillette. Der bewirbt seine Produkte mit einem Video, in dem aggressive männliche Stereotype kritisiert werden. „Das ist ein starker Widerspruch zu dem, was vorher das Image der Marke geprägt hat“, sagt Böcker. Es bleibe abzuwarten, ob die Marke ihr Image grundsätzlich neu ausrichten wolle – und ob die bisherigen Käufer das mitmachten.

Auf der Videoplattform Youtube wurde das Video bislang aber fast 30 Millionen Mal allein über den offiziellen Gillette-Kanal aufgerufen. „Allein die Auseinandersetzung mit dem Produkt hat Wert“, sagt Böcker. Es werde in der heutigen Zeit immer schwieriger für Unternehmen, sichtbar zu werden. Früher habe man seine Zielgruppe sehr einfach über Fernsehwerbung erreichen können – das sei heute anders. Die Medien- und Werbewelt verändere sich.

H&M – die Versehen

Immer wieder sorgen auch Werbekampagnen für Aufregung, bei denen im Nachhinein nicht von einer geplanten Provokation auszugehen ist, sondern ganz schlicht: von einem Versehen. Zu dieser Kategorie zählt Böcker ein Werbemotiv des schwedischen Mode-Riesen H&M aus dem Jahr 2018: Es zeigt einen dunkelhäutigen Jungen, der einen Pullover mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ trägt – was von vielen als rassistisch empfunden wurde.

Der Sänger „The Weeknd“ kündigte daraufhin an, seine Zusammenarbeit mit dem Unternehmen zu beenden; in Südafrika demonstrierten so viele Menschen, dass die Modekette ihre dortigen Filialen vorübergehend schloss. Der Pullover verschwand aus dem Sortiment. „Die einzig sinnvolle Reaktion“, sagt Böcker. „Wir wundern uns, wenn wir so etwas sehen – aber diese Fehler passieren immer mal wieder.“ Für ein Versehen spreche in diesem Fall auch die Tatsache, dass es sich um ein isoliertes Produkt handele, dass in keine Strategie eingebettet sei.

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