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Soziologe Jens Beckert im Interview„Krise verringert die Macht der Arbeitnehmer “

Lesezeit 4 Minuten
krankenschwester_dpa

Eine Krankenschwester bei der Arbeit. Jens Beckert bezweifelt, dass ihre Berufsgruppe bald mehr Lohn erhalten wird.

  • Der Soziologe und Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Jens Beckert erklärt, was Corona für unser Wirtschaftssystem bedeutet.
  • Dass prekär Beschäftigte, die uns durch die Krise helfen - Krankenpfleger, Busfahrer - bald mehr Lohn bekommen, hält er für unwahrscheinlich.
  • Im Gegenteil. Die soziale Ungleichheit wächst. Beckert sieht das Ende des Neoliberalismus gekommen.

Herr Beckert, was würde der Ausbruch einer zweiten Welle der Corona-Pandemie für die Wirtschaft bedeuten?

Jens Beckert: Zieht sich die Pandemie über lange Zeit hin, werden viele Institutionen diese Zeit nicht überstehen. Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern etwa auch für Kultureinrichtungen. Die Gründe sind nicht nur ökonomischer Natur. Die Pandemie könnte in der Gesellschaft zu habituellen Veränderungen in unserem Konsumverhalten führen. Wenn Menschen drei Jahre nicht bei Konzerten oder im Kino waren, entwickeln sie vielleicht die Einstellung, ich brauche das gar nicht. Wenn diese Einschränkungen nicht über Jahre andauern, werden wir wohl schnell wieder in unsere alten Verhaltensmuster verfallen.

Wie wird der Staat reagieren, sollte sich die Krise langfristig ausweiten?

Der Staat versucht gerade, soweit es geht Strukturen aufrechtzuerhalten, also Unternehmen vor dem Aus zu bewahren und Menschen in Arbeit zu halten. Er verhält sich der Erwartung entsprechend, dass die konkrete Gefahr bald vorbei ist.

Wir müssen uns verdeutlichen, dass das hier keine normale Wirtschafts- oder Finanzkrise ist. Es handelt sich um eine staatlich induzierte Reduzierung wirtschaftlicher Tätigkeit. Der Staat hat beschlossen, dass das öffentliche Leben eingeschränkt werden muss. Die Regierung ist dazu legitimiert, weil es um den Schutz der Bürger geht.

Aber die Ressourcen des Staates sind endlich.

Ja. Und die Hilfsprogramme, die gerade aufgesetzt werden, sind gigantisch. Ich halte diese Schritte dennoch für richtig. Die Alternative wäre, in Kauf zu nehmen, dass im Prinzip funktionierende Strukturen unseres Wirtschaftssystems komplett einstürzen.

Zur Person

Jens Beckert ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er forscht im Bereich der Wirtschaftssoziologie und beschäftigt sich mit ökonomischen Prozessen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Er lehrte an Universitäten in Europa und den USA, zuletzt in Köln und New York.

Dies hätte enorme Folgen. Ein Negativ-Szenario wäre eine Spirale immer weiter zurückgehender Wirtschaftstätigkeit und steigender Arbeitslosigkeit. Die Corona-Krise hat das Potenzial, zur Verarmung von Gesellschaften zu führen.

Legt die Pandemie bestehende Schwächen unseres Wirtschaftssystems offen?

Da sind wir beim Thema soziale Ungleichheit. Menschen, die in prekären Jobs arbeiten, sind von der Krise stärker betroffen. Und wer sich nicht ins Homeoffice zurückziehen kann, ist einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Das gilt weit häufiger für Busfahrer, Krankenschwestern und Polizisten als für die Angestellten im Büro mit höherem Einkommen. Die Krise macht soziale Ungleichheiten deutlich und verstärkt sie teils noch.

Sehen Sie die Chance, dass die Bezahlung der angesprochenen systemrelevanten Berufe nach der Pandemie steigt?

Was nachhaltige Veränderungen angeht, bin ich pessimistisch. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert, ja. Aber die Unternehmen sind finanziell geschwächt. In so einer Situation erhebliche Lohnzuwächse durchzusetzen, erscheint aussichtslos. Die Krise verringert die Macht der Arbeitnehmer. Dazu kommt, dass viele der betroffenen Beschäftigtengruppen beim Staat angestellt sind. Und dieser Staat verschuldet sich gerade mit Riesensummen bei gleichzeitigem Rückgang der Steuereinnahmen.

In prekären Arbeitsverhältnissen wie Minijobs sind vor allem Frauen beschäftigt.

Ja, die Corona-Krise bedeutet für berufstätige Frauen eine starke zusätzliche Belastung und Benachteiligung. Aus Befragungen weiß man, dass in Familien mit kleinen Kindern vor allem Frauen aktuell beruflich zurückstecken. Langfristig führt das dazu, dass den Frauen Aufstiegsmöglichkeiten verloren gehen. Das traditionelle Familienmodell, in dem der Mann arbeiten geht und die Frau sich um die Kinder kümmert, wird durch die Krise gestärkt.

Wird die Pandemie unser Wirtschaftssystem grundlegend verändern?

Ich sehe die Möglichkeit einer Veränderung im Verhältnis zwischen Staat und Markt. Auch in Deutschland gab es in den letzten Jahren einen erheblichen Druck, aus Gründen der Kostenersparnis Krankenhausbetten zu reduzieren.

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Die Pandemie hat deutlich gemacht, dass eine Gesellschaft auch auf den Bedarf vorbereitet sein muss, der in einer unvorhersehbaren Krise entsteht. Das kann nur durch staatliche Regulation gewährleistet werden. Eine Folge der Pandemie wird sein, dass der Staat eine bessere Vorbereitung auf mögliche Krisen einfordern wird. Die Tendenz zu mehr Regulation durch den Staat gibt es allerdings seit der Finanzkrise 2008.

Können sie den Zusammenhang näher erklären?

Wir haben seit den 70er Jahren eine Wirtschaftspolitik erlebt, die ganz stark auf den Markt als Regulationsmechanismus gesetzt hat. Der Staat hatte sich zurückgezogen. In der Finanzkrise ist dieses Modell in die Krise geraten. Das Versprechen der Finanzmarktakteure und der ökonomischen Theorie, dass diese Märkte effizient sind und Krisen nicht vorkommen, hat sich nicht erfüllt. Der Staat hat damals mit der stärkeren Regulation des Finanzmarkts reagiert. Ich glaube, dass wir am Ende eines spezifischen wirtschaftspolitischen Paradigmas angekommen sind: Des Neoliberalismus. Der Staat wird als Gestalter der Wirtschaft wieder an Bedeutung gewinnen.

Was würde der Bedeutungszuwachs des Staates gesellschaftlich bedeuten?

Der Staat ist die einzige Instanz, die Interessen der schwächeren Gesellschaftsgruppen durchsetzen kann. Für Menschen, die im Arbeitsmarkt keinen Fuß auf den Boden bekommen, verhindert der Sozialstaat den Absturz. Ich glaube nicht, dass ein Bedeutungszuwachs des Staates per se abgelehnt wird. Ein auf sozialen Ausgleich bedachter Staat steht in Deutschland in langer Tradition. Auch die Corona-Krise hat gezeigt, dass der Sozialstaat in Deutschland einen breiten Rückhalt hat.

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