Start UpsGute Geschäfte mit der Müllvermeidung

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  • Schärfere Vorschriften über Recyclingquoten begünstigen umweltfreundliche Ideen von Doli und Papacks

Köln –  Die Stadt Köln hat ein Müllproblem. Und zwar ein gewaltiges. „An einem besonders schönen Sommertag holen wir bis zu 40 Tonnen Müll aus den Grünanlagen“, sagt Wilfried Berf, Pressesprecher der Kölner Abfallwirtschaftsbetriebe (AWB). Die Tendenz sei seit zehn Jahren steigend. Produzierten die Kölner 2007 noch 19 610 Tonnen Leichtverpackungsmüll (also all das, was überwiegend in der gelben Tonne entsorgt wird), waren es 2017 bereits 26 958 Tonnen. Eine Zunahme von über 37 Prozent.

Bei den Kunststoffen ist es noch drastischer: Hier stieg der Wert zwischen 2011 und 2017 um über 530 Prozent. Fast surreal wirkt die Abfalllast bei Coffee-to-go-Bechern. Hier fallen momentan etwa 180 000 Einwegbecher am Tag an. Aufs Jahr gerechnet also deutlich über 65 Millionen. Und das allein in Köln, wo die Becher mittlerweile die Hälfte des städtischen Abfalls in den öffentlichen Papierkörben ausmachen.

Carla Stüwe vom Abfallwirtschaftsbetrieb der Stadt Köln kennt diese Zahlen und wirbt für ein Umdenken. Etwa beim Kaffee unterwegs. 450 000 Liter Kaffee trinken die Kölner am Tag. Deutlich zu viel davon aus Einwegbechern. Stadt und AWB haben in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer „Coffee-to-go Köln“ entwickelt, eine Internetseite, die zeigt, welche Cafés, Bäckereien und Büdchen den eigenen oder geliehenen Mehrwegbecher auf- und nachfüllen.

Allein sieben Millionen Euro kostet achtlos weggeworfener Müll – in der Forschung als sogenanntes „Littering“ bekannt – die Stadt jedes Jahr. Eingeholt wird das Geld über die allgemeinen Müllgebühren. Konkret heißt das: Alle zahlen für das, was nur Wenige zurücklassen.

Wer in Deutschland ein Produkt auf den Markt bringt, muss sich auch für das Recycling der Verpackung einen Entsorger suchen, ein sogenanntes Duales System. Diese Entsorger sollen in Zukunft die Preise nach der Wiederverwertbarkeit staffeln. Das macht intelligent verpackte Dinge günstiger und soll Schritt für Schritt die Recyclingquoten erhöhen. 2016 lag die bei Kunststoffen bei knapp unter 50 Prozent. Ab dem 1. Januar 2019 soll die Quote beim Kunststoffrecycling zunächst auf 58,5 Prozent steigen, 2022 dann schon bei 63 Prozent liegen.

Die neuen Vorschriften spielen manchen Unternehmern in die Karten. Regionale Start-ups wie Doli und Airpaq entwickelten umweltfreundliche Trinkflaschen und Rucksäcke aus recyceltem Material. Die Aachener Architektin Marcella Hansch gründete eine Plattform, mit der sie und ihr gemeinnütziger Verein Pacific Garbage Screening die Ozeane von bis zu 13 Millionen Tonnen Plastikmüll befreien wollen. Auch Tahsin Dag (35) hat sich mit Papacks am Markt etabliert. In einem Industriegebiet im Westen Kölns wachsen Dags Ideen seit fünf Jahren – und sie wachsen rasant. Papacks bietet intelligente Verpackungslösungen aus Recyclingpapier, aber auch aus nachwachsenden Naturfasern wie Nutzhanf, Agrarabfällen und Alge an, die vollständig wiederverwertet, recycelt oder kompostiert werden können.

Insgesamt zehn Jahre lang hat Dag für verschiedene Unternehmen in der Getränkebranche gearbeitet. Ihn störte die große Menge Müll, die bei der Verpackung der Getränke anfällt. Flaschen und Dosen etwa, die mit Tonnen von Plastikfolie eingewickelt werden. Auf der Suche nach Alternativen stieß er auf Eierkartons aus Faserguss, die gleich zwei Vorteile bieten: Das Material aus Altpapier oder nachwachsenden Rohstoffen wie Hanf, Heu oder Stroh ist zu 100 Prozent recycelbar. Zudem können die Verpackungsteile entweder komplett kompostiert oder als Altpapier wiederverwendet werden.

2013 machte er sich schließlich selbstständig und gründete die Papacks. Finanzielle Unterstützung bekam er von einem Schweizer Investor. Was einst etwas holprig in Eierkartonoptik begann, hat Dag dank mittlerweile 16 Patenten zu einer echten Marke entwickelt, die sowohl preislich als auch qualitativ mit herkömmlichen Verpackungen mithalten kann: „Unsere Oberflächen sind jetzt so gut verarbeitet, dass wir auch sexy sind“, sagt Dag, der seit zwölf Jahren in Köln lebt. Im Faserguss-Verfahren entstehen dabei für Kosmetik-, Pharma-, Elektro- und Automobilindustrie zugeschnittene Verpackungslösungen, die Plastik ersetzen. Zu den 500 Kunden – 60 davon aus Köln und dem Kölner Umland – gehören laut Internetseite unter anderem der Discounter Lidl, das Modeunternehmen Boss sowie Radeberger, Deutschlands größte Brauerei-Gruppe .

Ende des Jahres wird Papacks auch eine vollständig ökologische und lebensmittelechte Beschichtung anbieten und sein Portfolio noch einmal deutlich erweitern können. „Es gibt dann keine Grenzen mehr. Alles, was vorstellbar ist, ist machbar für uns“, sagt Dag, der vom kommenden Jahr an auch selbst produzieren und sein Angebotsspektrum damit noch einmal deutlich erweitern will.

Neben einer Aufstockung seines Teams auf dann 20 Mitarbeiter prognostiziert er auch ein deutliches Wachstum des Umsatzes, der für das Geschäftsjahr 2018 mit 3,5 Millionen Euro kalkuliert wird. In drei Jahren will Dag bereits mehr als 20 Millionen Euro umsetzen. „Wir müssen die Innovationen in diesem Sektor nach vorne bringen. Die Anforderungen des Marktes sind gigantisch geworden“, sagt der Firmenchef.

Derzeit ersetzt Papacks mit seinen Verpackungslösungen 1350 Tonnen Plastikabfall im Jahr. Schon Ende des Jahres, prognostiziert Dag, soll sich die Menge verdoppelt haben.

Aktionsplan gegen Plastikmüll

Im Kampf gegen Berge von Plastikmüll fordern die Grünen eine Vereinfachung des deutschen Pfandsystems und eine Abgabe auf Einweg-Flaschen für Getränke. „Wir wollen die Pfandsysteme so vereinheitlichen, dass jeder Laden ab einer bestimmten Größe auch alle Flaschen zurücknimmt“, heißt es in einem Aktionsplan gegen Plastikmüll.

Dazu gehöre, das Pfandsystem auf alle Einweg-PET-Flaschen auszuweiten – unabhängig vom Inhalt. Bisher gibt es Ausnahmen, zum Beispiel für Fruchtsäfte. Mit den Einnahmen aus einer Einweg-Abgabe wollen die Grünen nationale und regionale Mehrweg-Projekte fördern. Zudem unterstützen sie einen Vorschlag aus Brüssel, bestimmte Wegwerf-Produkte aus Plastik zu verbieten. Dazu gehören etwa Einweg-Plastikgeschirr, Strohhalme, Watte- und Rührstäbchen oder Luftballonhalter. (dpa)

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