Steuer-Verschwendung in MillionenhöheLand NRW zahlte Beamten jahrelang zu viel Gehalt

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Geldscheine (Symbolbild)

Köln – Manfred L. kümmert sich eher um die Gefahren auf der Straße als um seine Gehaltsabrechnung. Und so fiel dem Polizisten nicht auf, dass sich seine Bezüge monatlich stets ein wenig erhöhten. Dem Polizeihauptkommissar auf einer Bonner Wache hatte das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) seit dem Frühjahr 2013 bei der Zulage für den Dienst zu ungünstigen Zeiten (DUZ) stets ein wenig zu viel überwiesen. Durch einen Abrechnungsfehler erhöhte sich der Betrag immer weiter. Doch niemand im Landesamt schien das Versehen zu bemerken.

Erst zwei Jahre später erkannte Manfred L. (Name geändert) das Malheur und informierte das LBV über die fehlerhafte Vergütung. Dort reagierte man prompt: Der Hauptkommissar habe knapp 4800 Stunden Zulage zu je 1,28 Euro zu viel bekommen, hieß es. Die Summe von gut 6000 Euro sollte er nun zurückzahlen. Manfred L. (Name geändert) wehrte sich vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Zahlungsaufforderung.

Die Richter gaben ihm zum Teil Recht. 2000 Euro durfte der Polizist behalten. Begründung: In Fällen, in denen die „überwiegende Verantwortung der Überbezahlung bei der Behörde“ liege, werden in der Regel 30 Prozent von der Rückforderung des Dienstherrn abgezogen. Das Urteil stützt sich auf eine Grundsatzentscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht aus dem Jahr 2012. Mit der Folge: Ein Drittel zu viel ausgegebener Steuergelder gehen dem Land häufig verloren.

400.000 Euro zurückgefordert

Nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist das kein Einzelfall: Christoph Arnold, Bonner Anwalt und Spezialist für Beamtenrecht, zählt im Jahr 30 bis 40 Fälle, in denen er Polizisten wegen zu hoher Bezüge erfolgreich vor Gericht vertritt. „Meist liegen die Summen zwischen 2000 und 6000 Euro“, weiß der Jurist. Stets dürfen sich seine Mandanten über den 30-prozentigen Abschlag freuen, wenn ihr Dienstherr, das Land NRW, falsch kalkuliert hat.

Häufig verrechnen sich die Kassenwarte des LBV bei Beamten-Zulagen, Kindergeldfragen oder in Unterhaltsangelegenheiten. Allein im Jahr 2017, so räumt das Finanzministerium ein, habe es 100 Fälle gegeben, in denen „400.000 Euro an zu viel gezahlten Gehältern nicht zurückgefordert werden konnten“, im Jahr zuvor summierte sich der Verlust demnach auf knapp 700.000 Euro. 

Zugleich weist das Ministerium daraufhin, dass diese Summen bei einem jährlichen Auszahlungsvolumen von 19,7 Milliarden Euro verschwindend gering seien. So rechnet das LBV monatlich insgesamt 480.000 Besoldungs- und Versorgungszahlfälle ab.

Zwei Ursachen für Überbezahlungen

Ministeriumssprecher Frank Lehmkuhl führt die Gründe für die Überbezahlungen auf zwei unterschiedliche Ursachen zurück. Zum einen darauf, „dass Beamte und Versorgungsempfänger ihre Bezüge monatlich im Voraus erhalten“. Somit würden Meldungen über Teilzeit, Beurlaubung, Scheidung, Tod, die nach der Berechnung und Auszahlung der monatlichen Bezüge dem LBV erfolgten, erst im Nachhinein berücksichtigt. In diesen Fällen würde komplett zurückgezahlt.

Wenn es denn so einfach wäre: So soll ein Beamter eines Spezialeinsatzkommandos nach der Trennung von seiner Frau in drei Raten gut 2500 Euro zurückzahlen, weil sein Sohn nicht mehr bei ihm lebt und ihm somit der Kindergeldzuschlag nicht mehr zusteht. Sollte der Landesherr seine Inkasso-Drohung wahr machen, will der Elite-Polizist notfalls den 30-prozentigen Strafrabatt einklagen.

Mehrere Millionen Euro verloren?

Ministeriumssprecher Lehmkuhl spricht hingegen von „Einzelfällen auf Grund einer fehlerhaften Sachbearbeitung. Diese Zuvielzahlungen können in der Regel rechtsprechungskonform nicht zu 100 Prozent zurückgefordert werden“, räumt er allerdings ein.

Markus Berkenkopf vom Bund der Steuerzahler vertritt eine andere Auffassung: Der Finanzexperte schätzt, dass die Öffentliche Hand durch die Fehler des LBV bereits etliche Millionen Steuergelder abschreiben musste. „Das sind keine Peanuts, es handelt sich um Fälle von Abrechnungsfehlern, die so nicht passieren dürfen.“

Der NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Arnold Plickert, kennt das Problem: „Wir raten stets zu klagen, weil das Verschulden in erster Linie im Besoldungssystem durch den Dienstherrn liegt.“ Oft genug versäumten es etwa Polizeibehörden, Änderungen im Beschäftigtenverhältnis an das LBV weiterzugeben, wodurch sich die Lohnzahlungen veränderten.

„Es ist ein Skandal“

Uwe M. fiel monatelang krankheitsbedingt als Streifenbeamter aus, dennoch kassierte er weiter die Sonderzulage, weil das Präsidium in Bonn offenbar vergessen hatte, den Ausfall an höherer Stelle mitzuteilen.

In diesen Fällen geht Beamten-Anwalt Arnold gegen die landesweite Zahlstelle vor und klagt 30 Prozent Rabatt ein – und erhält stets recht. „Es ist ein Skandal, dass das Land jedes Jahr nur durch schlechte Organisation des LBV Steuergeld verschwendet“, moniert der Jurist. „So nett es für die Beamten ist, zu Unrecht Geld behalten zu können – das darf wahrlich nicht passieren. Die Beamten dann auch noch anzuzeigen, um den eigenen Fehler zu vertuschen, ist der Gipfel.“

Martina R. (Name geändert) brach im vergangenen Jahr tränenüberströmt vor ihren beiden kleinen Kindern zusammen, als sie die Post von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf öffnete. Die Ankläger teilten mit, dass sie die Akte gegen die Kölner Lehrerin wegen Abrechnungsbetrugs wieder öffnen würden. Das LBV hatte Druck gemacht und der Einstellung des Verfahrens widersprochen.

Lehrerin kassierte 2000 Euro monatlich zu viel

Martina R. hatte nach einer längeren Zeit im Mutterschutz im August 2015 wieder in Teilzeit Schüler unterrichtet, erhielt jedoch den Lohn als Vollzeitkraft. Erst nach siebeneinhalb Monaten fiel der Besoldungszentrale der Fehler auf. Die Pädagogin sollte gut 16.000 Euro zurückzahlen. Überdies hatte das LBV sie angezeigt. Man warf ihr die Verletzung ihrer Treuepflicht als Beamtin vor. Dazu gehöre es auch, so die Begründung, „den Dienstherrn auf Fehler hinzuweisen.“ Schließlich habe sie monatlich mehr als 2000 Euro zu viel kassiert. Dies hätte die Lehrerin merken müssen, so der Vorwurf.

Dabei befand sich die Kölnerin in jener Zeit in einer schwierigen Lage. Gerade hatte sie sich von ihrem Mann getrennt, der bis dato die Finanzen der Familie betreute. Dies sei nicht die starke Seite seiner Frau gewesen, gab er später zu Protokoll. Die Lehrerin schien so blauäugig gewesen zu sein, dass sie wegen des hohen Verdienstes notariell auf Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Mann verzichtete.

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Nach längerem juristischem Hin und Her verhängte das Amtsgericht Düsseldorf einen Strafbefehl von 90 Tagessätzen. Martina R. sollte 5400 Euro Bußgeld bezahlen. Anwalt Arnold ging dagegen vor: Kurz vor Weihnachten kam es zum Prozess. Der Amtsrichter stellte das Verfahren wegen geringfügiger Schuld ein. Nun will Martina R. gegen die Rückzahlungsforderung klagen. Auch sie hofft in den Genuss der 30-prozentigen Rabattregel zu gelangen.

Fehler fiel erst bei Pensionierung auf

Der Fall dokumentiert die mitunter schlampige Abrechnungsweise des LBV. Im März 2017 wurde eine Lehrerin aus Gütersloh zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt, weil sie 77 000 Euro zu viel kassiert hatte.

Sechs Jahre lang überwies die Behörde einer anderen Pädagogin aus dem Sauerland die vollen Bezüge, obwohl sie längst in Altersteilzeit gegangen war. 237.000 Euro hatte das Land zu viel gezahlt. Im Strafprozess beteuerte die Angeklagte unter Tränen, dass ihr Mann stets das gemeinsame Konto verwaltet habe. Dem Gatten sei schlicht nicht aufgefallen, dass die Gehaltseingänge trotz der Halbierung ihrer Arbeitsleistung sogar höher ausgefallen waren, als in Zeiten der Vollbeschäftigung.

Erst bei der Pensionierung der Lehrerin hatte die Behörde den Fehler bemerkt. Eine Mitarbeiterin des LBV räumte als Zeugin im Gerichtssaal ein, dass es sich entweder um einen Eingabe- oder einen Rechenfehler des Computer-Programms gehandelt habe. Angesichts der jahrelangen Fehlüberweisung hatten die Richter in diesem Fall aber kein Verständnis mehr für die Angeklagte. Die überbezahlte Pädagogin erhielt neun Monate Haft auf Bewährung – nebst der Auflage, die komplette Summe zurückzuzahlen.

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