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To-Go-Gastronomie in der KritikDeutschlands Müllberge steigen weiter an

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Das Müllaufkommen wird größer

Berlin – Deutschlands Müllberg wird höher. Das Abfallaufkommen privater Haushalte stieg laut Statistischem Bundesamt von 46,6 Tonnen im Jahr 2005 auf 51,6 Millionen Tonnen zehn Jahre später. Mit gut 628 Kilogramm sogenannten Siedlungsabfalls pro Kopf und Jahr belegt Deutschland auf der europäischen Müllrangliste den vierten Platz.

Bemerkbar macht sich Abfallschwemme auch im öffentlichen Raum: Die von öffentlichen Straßenreinigungsbetrieben eingesammelte Müllmenge beziffert die Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen, Katherina Reiche, auf mittlerweile mehr als 18 Millionen Tonnen pro Jahr. 1991 hatte der Wert noch bei 13,6 Millionen Tonnen gelegen.

Verstärktes Müllaufkommen hat Folgen

Das hat Folgen, nicht nur in der Arktis, wo Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts jüngst bis zu 12 000 Kunststoffpartikel pro Liter Meereis nachgewiesen haben, sondern auch in Städten und Gemeinden, wo vermüllte Straßen, Parks und Plätze für Ärger sorgen.

„Sauberkeit ist ein Wohlfühlfaktor, Sauberkeit erhöht die Lebensqualität“, sagt Reiche. Einen großen Anteil am wachsenden Abfallaufkommen hat einer Studie Langzeitstudie der Berliner Humboldt-Universität zufolge die rasante Zunahme von Einweg-Verpackungen der „To-Go-Gastronomie“ wie Burger-Schachteln, Pizzakartons, Salatschalen aus Kunststoff oder Getränkebecher.

Das Umweltbundesamt beziffert die Zahl der Einwegbecher mittlerweile auf sagenhafte 2,8 Milliarden Stück pro Jahr. „Das sind 320 000 in jeder einzelnen Stunde“, so Reiche.

Mehr Zigarettenkippen

Ein weiteres Problem stellen Zigarettenkippen dar. Durch umfassende Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden und der Gastronomie findet Tabakkonsum vermehrt auf der Straße statt. Laut WHO landen drei Viertel aller Kippen weltweit am Boden und belasten mit rund 7000 giftigen Substanzen die Umwelt.

Auch die „Mediteranisierung des Lebens“ - Grillen im Park, Feiern im Freien, Picknick auf dem Spielplatz – führe zu mehr Ex-und-Hopp. Fatal dabei ist eine Art Nachahmungseffekt: „Wo schon was liegt, kommt mehr dazu“, weiß Reiche.

Dessen ungeachtet haben die vielfältigen Bemühungen kommunaler Stadtreinigungsbetriebe um mehr Sauberkeit in den letzten Jahren ganz offenbar Früchte getragen, wie die Studie der Humboldt-Uni im Auftrag des VKU zeigt. In Umfragen, die die Wissenschaftler in Berlin und Frankfurt durchführten, stellten die Teilnehmer ihren Städten in Sachen Sauberkeit 2015 ein deutlich besseres Zeugnis aus als noch 2005.

Der Aussage, Straßen und Plätze ihrer Heimatstadt machten einen insgesamt sauberen Eindruck, maßen die Berliner 2015 einen Zustimmungswert von 3,9 auf einer siebenstelligen Skala zu, wobei der Wert 1 für volle Zustimmung und die 7 für das Gegenteil steht. 2005 war die Bewertung mit 4,35 deutlich schlechter ausgefallen. Auch in Frankfurt verbesserte sich das Urteil über die Sauberkeit der Stadt von 3,74 auf 3,23. Ähnliche Ergebnisse zeitigten Feldstudien in Köln und Hamburg.

Belehrungen erzielen keine Wirkung

Dabei führen viele Wege zum Erfolg, nur einer nicht: Moralisierende Belehrungen würden nicht nur von jungen Leuten abgelehnt, sondern liefen auch bei Erwachsenen ins Leere, weiß Rebekka Gerlach, Psychologin an der Humboldt-Uni und Co-Autorin der Studie. Humor sei dagegen ein wirkungsvolles Mittel. In Köln wurden Wege zum nächsten Abfallbehälter mit grünen Fußabdrücken markiert, ihre Nutzung mit Texten wie „Beifall für Abfall? Klar. Wenn er reinfällt“ anempfohlen.

In Berlin tragen die orangefarbenen Müllbehältnisse Aufschriften wie „Kippendiener“, „Becherbutler“ oder „Häufchenhelfer“, andere stellen mit „Putzdamer Platz“, „Tempelhöflichst“ oder „Friedrichsrein“ einen Bezug zum Stadtteil her.

Dagegen setzen Städte wie Ulm und Stuttgart auf drastische Bußgelder für Abfallsünder. In Freiburg wiederum wurden 31 000 Mehrwegbecher in Umlauf gebracht, die gegen Pfand in mehr als 100 ansässigen Geschäften und Gastro-Betrieben ausgeliehen und zurück gegeben werden können.

Mehrwegbecher soll „Statussymbol“ werden

Auch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) haben einen Mehrwegbecher entwickelt, der zu einem „Statussymbol“ für Umwelt- und Abfallbewusste werden möge, hofft BSR-Chefin Tanja Wielgoß. Hinzu kommen Initiativen wie „Clean up Europe“. An der Müllsammelaktion beteiligten sich 2016 fast 170 000 Menschen in Deutschland und damit 38 Prozent mehr als im Vorjahr. 940 000 Kilogramm Abfall kamen dabei auf Grünflächen und Straßen zusammen, ein Plus von 24 Prozent.

Allerdings können einzelne Kommunalbetriebe oder das Engagement der Bürger allein der Abfallflut nicht Herr werden. Vieles wird unnötig verpackt. So hat das Volumen von Kunststoffverpackungen für Obst und Gemüse laut Naturschutzbund Deutschland 2010 um 140 Prozent zugenommen.

Der VKU fordert daher eine finanzielle Beteiligung der Unternehmen, die Einwegverpackungen herstellen und in Verkehr, angemessene Steuerzuschüsse für die Reinigung des öffentlichen Raums sowie strengere europäische Richtlinien zur Herstellung von Verpackungen: Diese dürften nicht länger aus nicht wiederverwertbaren Verbundstoffen und Mischmaterialen hergestellt werden, sondern aus recycelbaren, langlebigen und umweltschonenden Komponenten.

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